[18] Die Grotte der Diana am Albanersee

O du vom heil'gen Boden der Fabelwelt,
Vom Frühlingsgarten meines Hesperiens,
Von meiner Sehnsucht Grab und Wiege
Süßestes, theuerstes Schattenplätzchen!
Wohin die Schwermuth flüchtet, die Ewige
Verlassend, die Jahrtausende nicht gelehrt
Ihr stolzes Herrscherhaupt zu bücken,
Roma, die Einsame, wie die Eine!
Denn also ist des Menschen Gemüth. Der Geist,
Der einsam lastet über den Trümmern all',
Oft drückt er, und ein starkes Herz zürnt,
Wenn sich die Hehre vor ihm entfaltet,
Einst ach so großer Thaten und Götter voll,
Noch ohne Lorbeer glühet der Genius,
Und Scham ihm, gleich der Purpurblüthe
Künftiger Früchte, die Wange röthet.
Zu schwach auch ist er. Immer im Tempel selbst
Verharrt die Andacht nicht. Der Olympier
Legt oft den Donnerkeil zur Seite,
Ueber den schlummernden Kronos lächelt
Die Charis. Eilig flieg' ich zu dir alsdann
In kühles Dunkel, wo den Erinn'rungen
Der fernen Vorwelt noch zum Denkmal
Epheugehänge dem Fels entsinken.
Da stört sie nicht in mächtiger Wirklichkeit
Die Ruhmsucht auf: sie wehet dem Lüftchen gleich,
Sie dämmert, wie die Abendröthe,
Duftet, wie Rosen, ums Angesicht mir.
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So ist's dem Kühnen, der aus der wogenden
Urnacht des Meeres schwindelnd hervorgetaucht,
Noch taumelnd von den Wundern allen,
Die er gesehen im ew'gen Abgrund.
Wie mir's ist, wenn ich deiner Gewalt entfloh,
O Rom, und dennoch hängt mein Gedank' an dir,
Herakles du der Weltgeschichte,
Nur daß ich ihn in der Wiege denke.
Denn wo die Fluth so selig durch Frühlingslaub
Vorblinkend, dort am felsigen Ufer spielt,
Stand ja die Mutter Alba, die ihr
Leben geopfert dem Zorn der Tochter.
Doch nicht die Schlachten, nicht die zerstörenden
Streitkräfte, nicht des Kriegesgetümmels denkt
Mein Geist; es jubeln hier und singen
Liebliche Vögel zurück die Götter,
Die alten, die zur Heimath das Seegestad,
Der Grotte Dunkel, und dies erquickliche,
Dies ew'ge Grün gewählt, und heimlich
Noch ihr unsterbliches Leben führen.
Die Menschen ja vergess' ich so leicht und gern,
Nur Eine Scheu ist's, die mich beängstiget,
Ob nicht dem Grottenbad entsteigend,
Plötzlich die Jägerin mir erscheine.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Waiblinger, Wilhelm. Gedichte. Oden und Elegien aus Rom, Neapel und Sicilien. Oden und Elegien aus Rom. Die Grotte der Diana am Albanersee. Die Grotte der Diana am Albanersee. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-89C7-0