[91] Anhang

An Albert von Thorwaldsen

Zu seinem Geburtsfest am 8. März 1827. 1


Als Stimme der Deutschen in Rom.


So sei gegrüßt zur heitern Feierstunde,
Wir nahen dir mit dankbarem Gefühl,
Nur Eine Liebe weht in unserm Bunde,
Nur Ein Gedank' im festlichen Gewühl:
Des Meisters Name tönt von unserm Munde,
Was in den Herzen glüht, ist groß und viel,
Den leeren Schwall der Worte laßt uns meiden,
Der Meister ist's, so sind auch wir bescheiden.
Ernst ist die Zeit und schwere Wolken liegen
An jenem reinen Himmel ausgestreckt,
Aus dem die Götter einst herniederstiegen,
Die jeden Keim des Irdischen geweckt,
Und ew'ge Mächte, die im Himmel siegen,
Das Haupt mit ird'schem Lorbeer sich bedeckt,
Da brach sich, durch den Erdendunst gezogen,
Die Kunst ihr Bild – der Schönheit Regenbogen.
Doch wie es kam, daß jene Götter schwanden,
Und jene hold lebend'ge Fabelwelt,
Aus der das himmlische Geschlecht erstanden,
Und Kunst und Leben, innig sich gesellt,
An Einem Urquell, ihre Kränze wanden,
Von gleicher Sehnsucht, gleicher Lust geschwellt,
Verschweigen wir's an diesem Freudentage,
Denn wo Entzücken ist, verstummt die Klage.
[92]
Bist du doch unser, der zu jenen Reichen
Der abgeschiednen Vorwelt Wege fand,
Alkmenes Sohn an Stärke zu vergleichen,
Hernieder stieg, den Schattenwächter band,
Dem Orpheus gleich, die Braut dir zu erreichen,
Hinaus drang bis an Lethe's Geisterstrand,
Und herrlich, als ein neues Frühroth lachte,
Die süße Braut – die Kunst vom Grabe brachte.
Und wenn dein Geist in seiner Schöpferfülle
Mit ihr am liebsten ew'ge Kinder schafft,
So stieg ihm doch aus reiner Himmelsstille
Herab die zarte wunderbare Kraft,
Die sich gezeigt in menschlich wahrer Hülle,
Der ernste Heiland, und hinweggerafft
Von seinem übermächtigen Erscheinen,
Vermochtest du zwei Welten zu vereinen.
Laß uns nur Einen hohen Wunsch, den heute
Die muntre Schaar vor deinem Auge hegt,
Nur Einen Stolz, der dir und uns bedeute,
Was uns das Herz fürs Vaterland bewegt:
Wir sind ein gutes Volk, in ew'gem Streite,
Voll Ernst und Kraft, von Allem angeregt,
Was Großes sich erzeugt in großen Seelen, –
O laß uns dich zu unserm Volke zählen!
Kann dieser Wunsch auch ganz uns nicht gelingen,
So tröstet deine höh're Heimath nur,
Denn zu Unsterblichen auf Götterschwingen
Enttrug dich dein unsterblicher Merkur!
So wenig wir ans ew'ge Herz ihr dringen,
Wir fühlen, lieben, ehren die Natur,
Wenn unser selbst die Sterne sind geworden,
So werd' auch du uns, großer Stern vom Norden!

Fußnoten

1 Diese Ottaven entstanden auf die Bitte einiger Künstler, und zur Freude mehrerer Landsleute, und sollten an dem Abend, da die Verehrer Thorwaldsens ihm zur Feier seines Geburtstags eine Musik brachten, dem verehrungswürdigen Meister vorgetragen werden. Allein der Neid, der Unverstand und das ganze traurige Elend, das den Künstler von dem Künstlergesindel unterscheidet, verhinderte den Dichter und seine bessern Freunde, dem Verehrten auf eine solche erhebendere und allgemeine Weise einige Worte des Dankes und der Achtung für Alle zu weihen. So mußten wir uns denn begnügen, nicht ohne Schmerz über die traurige immerwiederkehrende Erfahrung roher Verkehrtheit und bitterer Unwissenheit unter einer Nation, welche sich sonst durch so treffliche Männer auszeichnet, dem theuern und geehrten Manne das Gedichtchen bloß als den Ausdruck unserer eigenen Gefühle zu überbringen.

[93] Fragment eines größeren Gedichtes:


Die Nacht in St. Peter 1

1.

Am Tage, da St. Petrus einst in Rom
Den heil'gen Stuhl der Christenheit bestiegen,
Sieht man das Volk in seinem Riesendom
Vorm heil'gen Vater auf den Knieen liegen.
Und wie sie alle gläubig oder nicht
Von allen Enden zu dem Fest erschienen,
Da als der Glocke mächtiges Gewicht
Vom Schlag erklang, so kam auch ich mit ihnen –
Und als die Feier nun vollendet war,
Saß ich noch lange stumm an einer Säule,
Ich dachte manches mir, und wunderbar
Auch die Vergangenheit in stiller Weile.
Wenn hinter deinen stolzen Pinienhain
Die Sonne sinkt in ihren süßen Gluthen,
Gianicolo, wie da im Abendschein
Die Wolken trunken sind von goldnen Fluthen,
Ja, wie das Meer, wenn's auch die Klipp' umschäumt,
Die Fläche hin voll immer zärt'rer Töne,
Von dieses Himmels reinem Licht besäumt,
Doch glänzt in unaussprechlich hoher Schöne,
So sanft im Sonnenschein des Augenblicks
Erglühten alle Schatten meines Lebens,
Und selbst dem dunkeln Abgrund des Geschicks
Entdrohten alle Strömungen vergebens.
Dem Tantalus glich einst die Herzensqual,
Die mir die Tage nahm, die Nächte raubte,
Dem alten Halbgott, der das Feuer stahl,
Und das Geschlecht nur zu beglücken glaubte.
[94]
Fern vom Lebend'gen, in der Schattenwelt
Stand ich verwaist in grenzenloser Leere,
Die Brust vom heißen Wissensdurst geschwellt,
Von Sehnsucht nach Verdienst und Ruhm und Ehre.
Es winkte mir des Lebens goldne Frucht,
Und doch entschwang der Zweig sich meinen Lippen,
Und mitten in der Fluth war ich verflucht,
In Tropfen nur den kühlen Trunk zu nippen.
Und meine Schuld? Ach daß in kühnerm Drang
Nach höhern Dingen und nach größern Thaten
Mein Mund oft im begeisterten Gesang
Aus dem Olymp Geheimnisse verrathen.
Und als in reichem Frühling mein Gemüth
Die jungen frischen Augen aufgeschlossen,
In ungemeßner Liebe nun erblüht,
Den höchsten Schmerz, die höchste Lust genossen,
Da knüpft' ich thöricht an der Blüthe Saft
Die sel'ge Hoffnung eines ew'gen Segens,
Bald starb die schöne Wirkung mit der Kraft,
Die Blume mit dem Keim des frohen Regens.
Der Schlange glich ich nun, die halb zerstückt,
Vom blut'gen Schwerdt der Feinde schon zerspalten,
Im letzten ungeheuern Weh umstrickt,
Was sie für alle Ewigkeit will halten.
Doch wie sie aus sich selbst sich auch erneut,
So wuchs auch ich aus eignem Drange wieder,
Nur daß von schwerer Schicksalshand geweiht,
Des Gifts zuviel blieb in der grimmen Hyder. –
Jetzt sah ich mich im großen Gotteshaus
Der Christenheit allein in all' der Menge,
Sie beteten, sie gingen ein und aus,
Und Tausende verlor ich im Gedränge.
Hat ja ein Volk beinahe Raum genug
In diesem freundlich hochgewölbten Baue,
In dessen Hallen mich die Sehnsucht trug,
[95]
In dem ich auf, wie zu den Sternen schaue.
Still ist's um mich: der ferne Orgellaut
Klingt leise her zu mir aus der Kapelle,
Jemehr der Abend durch den Tempel graut,
Jemehr die Sonne schwindet und die Helle.
Bald schweigt's, und lange Züge seh' ich schon
Die weite Marmorebene durchwallen,
Ein heilig Lied in schwermuthsvollem Ton
Hör' ich in den Gewölben dumpf verhallen.
Sie sind verschwunden mit dem Volksgewühl:
Um mich und über mir ist's Todtenstille,
Und dieser Stätte schauderndes Gefühl
Ergreift das Herz in nie gekannter Fülle.
Wie's dunkelt! Wie schon von den Höh'n herab
Die Schatten wandeln in gewalt'gen Massen,
Wie seh' ich's düstern um St. Petri Grab,
Wie der Apostel furchtbar Bild erblassen!
Wie lagert sich voll heil'gem Grau'n die Nacht
Schon in der Kuppel wie in ihrem Schooße,
Wie Buonarotti's Geist in ihr erwacht,
Die über Berge ragt gleich einer Rose.
Mich faßt der Schwindel! Als ob Geister mich
Empor zur himmelweiten Rundung zögen,
Wie für Jahrtausende, so fürchterlich
Thürmt sich hinan die Marmorlast der Bögen.
Welch Pünktchen in der dunkeln Fläche dort!
Kaum sichtbar ist's – es regt sich – auf den Knieen
Liegt noch ein Mönch – bald schwebt auch dieser fort,
Allein bin ich mit meinen Phantasieen.
Ich blick' empor, und bin der Mücke gleich,
Wie klein der Lichterkreis das Grab umzittert,
In diesem übermächt'gen Schöpfungsreich
Fühl' ich vom Weltgeist schaudernd mich umwittert.
Mich fesselt eine namenlose Macht,
So daß die Sinne mir in Nebel schwinden,
[96]
Bis sich im Schlummer kühner angefacht,
Des Geistes Flammen, so wie nie entzünden.

Fußnoten

1

Die Idee zu dem Gedichte, von dem wir hier einige Zeilen mitgetheilt haben, bekam der Dichter am Feste der Thronerhebung St. Petri, oder vielmehr des Abends, wo er einsam in den ungeheuern Räumen der St. Peterskirche die Nacht einbrechen sah. In wenigen Augenblicken war ihm die ganze Einrichtung aufgestiegen, und es sollte folgendermaßen ausgeführt werden.

Der Dichter befindet sich auf dem Hügel des Venustempels vor dem Colosseum. Er redet den Orion an, und erinnert sich dabei so vieler süßer und schmerzlicher Täuschungen seines Lebens. Noch hat er nicht gelernt, sie zu vergessen, auch unter den Denkmalen altrömischer Größe erinnert er sich noch der Erschütterungen in seiner Vergangenheit. Da tritt er ins Colosseum ein. Eindruck der ungeheuern Trümmermassen und historischen Bilder. Schon hat er seine kleinen bittern Erfahrungen aus dem Gedächtniß verloren. Jetzt erscheint ihm in einem niederwerfend erhabenen Gesichte der Geist der Geschichte unter den nächtlichen furchtbaren Gewölben des Vespasianischen Wunders. Dieser, wie er ihn zu Boden stürzte, hebt ihn mit stärkender Weihung wieder empor, und öffnet ihm das Auge zum Schauen der Geister. Der Dichter taumelt aus dem Colosseum, geht durch den Triumphbogen des Titus, und kommt an den Fuß des Palatin. Hier erscheint ihm der Geist des Romulus. Er erkennt ihn. In allen Tempeln belebt sichs, die via sacra ziehen die Vestalen und Priester hin, das Forum ersteht aus dem Schutt und bildet sich heran, das Capitol verändert seine jetzige Gestalt und der Tempel des Jupiter Capitolinus steigt düster und erhaben empor. Die Geschichte Roms und seiner Weltherrschaft, selbst sein fabelhafter Ursprung wird lebendig. Der Dichter ist hingerissen von Schauen, und wagt kein Wort. Romulus aber spricht Worte voll tiefen Sinns, und nun beginnt der Dichter zu klagen über den Zustand seines eigenen Volkes, da der König der Römer selbst das seinige beweint. Aber er wird, als er zu weit gehen will, gebieterisch von ihm zum Schweigen ermahnt und der Geist ruft ihm die Größe Deutschlands durch das Herrscherhaus der Hohenstaufen zurück. Diese sollst du ehren, sagt er ihm, diesen dein Leben weihen, darum siehst du diese Nacht die höchsten Schrecken des Staats, der Religion und der Kunst.

So verschwindet der Heros und der Dichter sieht sich dem Campo Vaccino entrückt und vor der Riesenbasilike der katholischen Christenheit, dem St. Peter. Er tritt hinein in die gigantischen Hallen, die Thüre reißt ihm der Sturm auf, und ein zweites entsetzliches Gesicht wirft ihn zu Boden. In Einer Reihe sitzen alle Päbste vom Ersten bis zum Letzten um die vier Säulen über dem Grabe St. Petri. Christus, der Herr selbst, steht in einfacher Schönheit am Altar, und die Glorie umgiebt ihn. Der Dichter wagt kaum sein Aug' empor zu heben, er erkennt einige besonders ausgezeichnete Päbste, und schildert sie. Da ertönt ein gewaltiger Donner aus der Kuppel herunter, so daß das Gebäude bebt, die Welt zu stürzen droht, die Kolossen der Apostel und Heiligen wanken, und auf einmal fallen alle Päbste unter dem furchtbaren Hallen des Donners ins Nichts zusammen, nur ihre Kronen und Goldgewande bleiben noch leer und inhaltslos auf der Erde liegen, aber aus manchen kriechen Schlangen, Krokodille und schreckliche Thiere hervor. Christus allein steht noch in seiner seligen Klarheit und Einfalt am Altare, und bricht das Brod, und hält den Kelch. Siehe da erdröhnt ein anderer Schlag aus der Kuppel, noch fürchterlicher als der erste, und die titanischen Pilaster, die das Gewölbe wie einen Himmel tragen, schwanken und wollen zerfallen. Da verschwebt auch Christus und öde grauenvolle Nacht umgiebt den Dichter. Schon ist er der Verzweiflung nahe, als sichs in der unermeßlichen Kuppel über ihm zu lichten beginnt, ein sanfter linder Rosenschein erhellt sie himmlisch und eine tiefe, stille, liebende, selige Stimme spricht aus ihm unter entzückenden Akkorden: Ich bin dein unsichtbarer Gott – ich bin all ein! Und nahe und immer fernere Engelstimmen erklingen, und verschweben allmählich hinüber, und der Dichter flieht aus dem Tempel. Jetzt empfängt ihn eine majestätische Gestalt, die Muse. Aber es ist jene Muse, die nur die höchste Begeisterung entzündet. Mit stolzer anmuthsvoller Sprache empfängt sie ihn, und schildert ihm die Größe jener unsterblichen Seelen, die nur Sie geliebt, und die sie zum höchsten Rang erhoben. Zum Zeichen ihrer Macht reckt sie die Hand aus, und Michel Angelo's jüngstes Gericht sieht der Dichter mit schauenden Augen in dem Nachthimmel sich ausbreiten und entfalten. Schilderung des fürchterlichen Gesichts und Eindruck auf die Seele des Dichters, der fast zernichtet ist. Da führt ihn die gütige Muse, die ihn nur läutern aber nicht zerstören will, durch die Hallen und Gänge des ninifeischen Wunders, des Vaticans, und er sieht sich vor der Verklärung Raffaels. Feier dieses Augenblicks und Höchstes der Kunst. Da erscheint der Geist des Jünglings in seiner ganzen Liebenswürdigkeit, und redet mit dem Dichter, ihm tiefsinnige Worte über Harmonie und Schönheit sagend, und ihn zu bescheidenem, reinem, und vernünftigem Streben aufmunternd. Noch aber sagt ihm die Muse strafende und befeuernde Worte, und er sieht, plötzlich auf den grünen Pinienhügel des Janus zu Tasso's Grab versetzt, die Sonne glorreich über das ewige Rom emporsteigen.

Man sieht leicht, daß wir uns viel vorgenommen hatten, und sogar mehr, als wir damals auszuführen im Stande waren. In der Begeisterung des Abends im St. Peter dünkte uns alles leicht und schon wie herausgegangen aus dem Innern in reifer und gediegener Vollkommenheit. Allein mein Zimmer ist kein St. Peter; ich ward sogleich durch abenteuerliche Begegnisse gestört, konnte nicht fortfahren, das Carneval erschien, und in ihm schien mir wie die ganze Welt so auch mein angefangenes Gedicht närrisch zu sein, so unterbliebs. Freilich kann man sagen, daß der Dichter auch nicht nöthig gehabt hätte, das Maul so voll zu nehmen, weiß der Himmel was für ein erhabenes Ding zu versprechen und am Ende gar nichts zu geben, als eben das Versprechen. Aber man weiß ja, wie die Dichter sind, und wie sie gleich sich in Brand und Feuer setzen. Mein Wille übrigens und mein Ernst war allerdings etwas ganz vorzüglich Erhabenes zu erfinden und auszuführen, ja etwas so Ernsthaftes und Sublimes, daß man gar keinen Verleger dafür gefunden hätte. Allein es blieb einmal Fragment. Sollte nun jemand gar, wenn er das Bruchstückchen gelesen, der Meinung sein, daß es kein Schaden um das Uebrige sei, und daß ich gescheidt daran gethan, aufzuhören, so ist mir das fast das Angenehmste, was ich mir wünschen kann.

2.

O hört mein Lied! Nicht Tand und Spielwerk nur,
Nicht Reim und Klang und Schall ist, was ich singe.
Nicht, wie gefaßt vom Fluche der Natur
Im Vaterlande jetzt der Dichterlinge,
Der gottverlaßnen, ungezählter Schwarm
Das Land der Staufen lästert und die Muse.
Zernichte sie, wenn auch an Bessern arm,
Der Nachwelt unerbittliche Meduse!
Von Lieb' und süßen Dingen sing' ich nicht,
Ein andrer soll, nicht Morpheus euch umschweben,
Mein Lied ist ein erhaben Traumgesicht,
Mein Lied ist ernst, wie Rom und wie mein Leben.
Man weiß, wie donnernd aus erschloßnem Grund
Urweltlich oft von seinem Zorn getrieben,
Der Erdgeist bricht durch seinen Flammenmund,
Daß Meere zittern, Berge selbst zerstieben:
So weht's gleich einer finstern Macht empor
Aus tiefster Seele mir, ein einz'ger Schauer,
Vom Herzen steigt es auf, wo's mächtig gohr,
Ein Feuerbild, voll schwermuthsvoller Trauer.
Auf Erden weilt die Freude ja nicht mehr,
Der Vorwelt Jubel sind der Mitwelt Klagen,
Die Muse wählt ein Herz von Kummer schwer,
Zu seinem Gram den ihren auch zu tragen.
So hört denn ihr im theuren Vaterland,
Hier aus St. Peters weltgepries'nen Hallen,
Wohin selbst von des Nils entferntem Strand,
Vom Libanon die frommen Pilger wallen,
Hört, was in ihm dein Geist mir eingeweht,
O Rom, du großer Tempel der Geschichte,
[97]
Und der Heroen ernste Majestät,
Erwachend im beseelenden Gedichte,
Denn mit des Weltgerichts Posaune weckt
Im Sturme der Begeisterung der Sänger,
Die schon Jahrtausende das Grab gedeckt,
Die Vorwelt auf; je schauriger und länger
Die Zeit um sie den ew'gen Schleier hüllt,
Um desto heiliger ist ihr Erscheinen,
Und höher wächst der Strom, je mehr gefüllt
Vom Urquell, Wetterbäche sich vereinen.
In Bildern red' ich euch ans offne Herz,
Die Wahrheit spricht so gern in düstern Fragen,
Im Dunkel klagt der Nachtigallen Schmerz;
Das Frühroth siehst du aus der Nacht nur tagen,
Und soll euch Wohllaut freuen im Gesang,
So sei's nicht Lautenton, dem Kinder lauschen,
Es sei des Meeres uralt heil'ger Klang,
In dem der Schöpfer ewig scheint zu rauschen.
Ihr aber, die der Genius nicht geweiht,
Mißgünst'ge, Todtgeborne treten ferne.
Wohlan! schwebt denn für alle Ewigkeit
In leerer Nacht, wie sonnenlose Sterne.
Ich stand auf jener klaren Höh' im Traum,
Da, wo des Venustempels alte Zelle,
Die halbzerfall'ne, mit der Büsche Saum
Sich rundlich wölbt, auf längst begrabner Schwelle.
Um mich herum lag es in ödem Graus
Von Säulenstücken und von Marmorblöcken,
Die, einst der Schmuck von Nero's goldnem Haus,
Das Gras gleich sterbenden Titanen decken.
Und vor mir unaussprechlich dunkel ragt
Das Colosseum in des Himmels Lüfte,
So wie vom Aar des Donnerers zernagt,
Prometheus Felsenherz in seine Grüfte.
[98]
Sieht's mich nicht an, das heil'ge Ungethüm,
Als ob in seiner ungeheuern Tiefe,
Gebändigt endlich von des Schicksals Grimm,
Der Römer Geist in seinem Grabe schliefe!
Wie klein in dieser eingestürzten Welt
Graut durch die Dunkelheit der Siegesbogen,
Durch den der Schlachten großer Herr und Held
Und seine ruhmbekrönten Heere zogen.
O was gewahr' ich? Ueberm Mauerkranz
Des halb zertrümmerten Gebirges wieder
In reinem ewig jungen Schöpfungsglanz,
Du Wonne meiner Lieb' und meiner Lieder,
Ach mein Orion du! Den ich geliebt,
Als ich von Platons Flügelrossen träumte,
Als noch krystallhell, rein und ungetrübt
Der Freude Lichtquell mir entgegenschäumte,
Du Zeuge jener süßen Himmelsgluth,
Als noch auf ihrem schönen Lockenhaupte
Dein milder Zauberschein auf ihr geruht,
Die mir so früh der Hölle Wahnsinn raubte!
Wenn ihre Lipp' in langer Seligkeit
Vollathmend heiß, auf meinem Munde glühte,
Und uns vom goldnen Frühlingsbaum der Zeit
Der schönsten Augenblicke Lust erblühte,
Da deutet' ich so oft hinauf zu dir,
Und abergläubisch hing an deinen Strahlen
Mein liebend Herz; ach warum wurd'st du mir
So bald das Sternbild meiner höchsten Qualen?
Du lächelst noch in deiner sel'gen Ruh,
Klar nach Aeonen wie am Schöpfungstage,
Mit deinem holden Augenlicht mir zu,
Du hörtest mein Entzücken, meine Klage.
Als einst wie auf das erste Menschenpaar
Auf mich sein Flammenschwerdt der Engel zückte,
Als mir des Abgrunds wachsende Gefahr
[99]
Entgegengrauste, weil ich lechzend pflückte,
Was mir die menschlich dürftige Natur
Zur hohen Götterfreiheit sollte schwingen,
Und weil ich los von jeder niedern Spur
Hier schon zum Lebensurquell wollte dringen,
Als ich nun plötzlich so verlassen stand,
Gleich einer Eiche, der man die Gespielen
All' um sie her gefällt, und ach mißkannt,
Verflucht, mit brennend marternden Gefühlen
Die Welt in Schutt und Asche sinken sah,
Da blickt' ich oft empor zu deinem Lichte
Denn immer bist du meinem Herzen nah,
So oft ich's trübe Auge zu dir richte.
Du bist ja einzig, unveränderlich,
Dein Sternengürtel glänzt in ew'ger Klarheit,
Der Mensch allein verliert die Welt und sich,
Und wer sich selbst verliert, verliert die Wahrheit. –
Nun mein Orion strahlt dein heilig Bild
Zum erstenmale hier dem Neugebornen,
Die Schwermuth weicht, es ist der Schmerz gestillt,
Entflohen sind die Schatten der Verlornen.
Zum heimathlichen Grabe fliehen sie
Vor höhern Geistern, die der Erd' entsteigen,
Entweicht – Rom trauert in Melancholie,
Die Weltgeschichte spricht, die Menschen schweigen.

Zweites Bruchstück

Einst führte mich in einem Traum der Geist
Zum Tiber: mondhell stieg das Kaisergrab
Gleich einem Schreckensbild der Unterwelt,
Am stillen Ufer riesenhaft empor:
Und schweigend wandelt' ich die Brücke hin,
[100]
Mit jedem Schritt wuchs meiner Seele Grau'n –
Noch zittert mir das scheue Herz – jemehr
Ich mich dem Mittelpunkt der Christenheit,
Der Erde größtem Tempel näherte.
Und sieh, umfangen vom Gigantenarm
Der Säulenhallen öffnet sich der Platz,
Und wie von Innen zweifelhaft erhellt,
Erhebt der stolze Bau sich in die Luft,
Und über ihm, von Sternen hold umglänzt,
Der dunkeln Kuppel ungeheures Rund.
Und lange Züge, wie von Geistern sieht
Mein zitternd Auge schweben hin und her,
In Leichenkleidern zieht's die Halle durch
Und über Treppen weg, und immer wogt's
Von nebligen Gestalten aus der Nacht
Des Portikus, in weiten Kreisen tanzt's
Um Obelisk und Wassersäule selbst.
Dem Sterblichen entsinkt das Herz: doch führt
Der Geist ihn unaufhaltsam fort, er steigt
St. Peters Treppen halbentseelt empor,
Und ganze Heere sieht er bleich und still
Von Grabbewohnern wimmeln auf und ab.
Da hält ihn eine mächtige Gestalt:
Nicht aus der Gruft, vom heiteren Olymp
Scheint sie zu kommen, so erhaben steht,
So göttlich schön die Hehre vor ihm da;
So wie's der Vorwelt schöpferische Kunst
Gebildet aus des Marmors reinem Schnee,
So glänzet sie von ernster Majestät.
Ein weiß Gewand umfließt den hohen Wuchs,
Ein Lorbeerkranz umflicht das reiche Haar,
Doch von des Angesichtes Herrlichkeit
Geblendet sieht er sich der Augen Licht.
[101]
Ich bin die Muse, spricht sie, näh're dich!
Nicht die jedoch, von der die feile Schaar
Der heut'gen Tage sich begeistert dünkt,
Ich bin die Muse, die dem Sänger einst
Der Helden Lob, der Götter Feierlied,
Des Schicksals unerklärbar Werk gelehrt.
Ich öffne dir die Augen, bebe nicht!
Ich schütze dich! Ertrage das Gesicht!
Tritt ein!
Und von gewalt'gem Schlag erklingt
Die heil'ge Pforte, die nur viermal sich
Eröffnet im Jahrhundert, und von Schreck
Ergriffen tret' ich in den Tempel ein.
Doch ach! erfaßt' ich des Gesichtes Grau'n
In Worten, konnt' ich's, dem Verschiednen gleich,
Der aus dem Grabe kehrt, und des Gerichts
Entsetzliches Geheimniß euch enthüllt?
In langer Doppelreihe sitzen sie,
Sie alle, die auf Petri Thron geherrscht,
Im ird'schen Glanz des Purpurs und des Golds,
Geschmückt mit ihren Kronen strahlenvoll
Hinab, bis wo auf des Apostels Grab
Zur Sternenwelt der Kuppel festlichhell
Des Hauptaltars metallne Säule ragt.
Und kühner schon – zu meiner Seite stand
Mir die Begleiterin – schaut' ich die Reih'n
Der goldgekrönten grauen Häupter weg,
Und viele kannt' ich, deren Thaten noch
Mit Staunen, Ehrfurcht, oder Fluch und Schmach
Aus ferner Vorzeit die Geschichte nennt.
Sie alle sitzen stumm in ihrem Gold.
Doch am Altar, in holder Einfalt steht
Voll Milde, Liebe, Demuth und Geduld
Der Herr in seiner Schönheit, Brod und Wein,
Die heil'gen Zeichen seines Opfertods,
[102]
Verwaltend mit beseligender Hand.
Anbetend sink' ich nieder, da erschallt
So furchtbar donnernd durch den Tempel hin
Aus Höh' und Tief' ein grauenvoller Laut,
So grunderschütternd, daß der ganze Bau
Erbebt, der Bögen Marmorlast erdröhnt,
Die Heil'genbilder niederstürzen, selbst
Der Kuppel Wölbung überm Altar schwankt;
Da sinken die gekrönten Häupter all'
Wie Nichts zur Erde, schnell verschwunden ist
Ihr Leib, leer liegt das purpurne Gewand,
Der Krone Schmuck, ein flücht'ger Erdentand,
Und da und dort, mit Schaudern seh' ich es,
Entwinden sich dem fürstlichen Talar
Schreckvolle Schlangen, Drachen rollen sich
Und das Gezücht der Hölle blutig auf.
Doch unerschüttert am Altare steht
In seiner Herrlichkeit der Herr, es graut
Die schwarze Nacht des Grabes überall,
Und nur den Herrn umstrahlt ein süßes Licht,
So rein und mild, wie seiner Lehre Geist.
Der Donner schweigt, ein sanfter Rosenschein
Klärt dämmernd schon der Kuppel Wölbung auf.
Und himmlische Gesänge klingen fern
Aus ihrem Duft herab; es blickt der Herr
Nach Oben, und verschwindet meinem Blick.
Doch Alles schweigt, und eine Stimme spricht,
Wie Gottes Stimme schallt's den Tempel hin:
Ich bin der Einz'ge, bin der Ewige!

Notes
Erstdruck im Anhang von: Blüthen der Muse aus Rom. 1827, Berlin (G. Reimer) 1829.
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Citation Suggestion for this Edition
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