2.

O hört mein Lied! Nicht Tand und Spielwerk nur,
Nicht Reim und Klang und Schall ist, was ich singe.
Nicht, wie gefaßt vom Fluche der Natur
Im Vaterlande jetzt der Dichterlinge,
Der gottverlaßnen, ungezählter Schwarm
Das Land der Staufen lästert und die Muse.
Zernichte sie, wenn auch an Bessern arm,
Der Nachwelt unerbittliche Meduse!
Von Lieb' und süßen Dingen sing' ich nicht,
Ein andrer soll, nicht Morpheus euch umschweben,
Mein Lied ist ein erhaben Traumgesicht,
Mein Lied ist ernst, wie Rom und wie mein Leben.
Man weiß, wie donnernd aus erschloßnem Grund
Urweltlich oft von seinem Zorn getrieben,
Der Erdgeist bricht durch seinen Flammenmund,
Daß Meere zittern, Berge selbst zerstieben:
So weht's gleich einer finstern Macht empor
Aus tiefster Seele mir, ein einz'ger Schauer,
Vom Herzen steigt es auf, wo's mächtig gohr,
Ein Feuerbild, voll schwermuthsvoller Trauer.
Auf Erden weilt die Freude ja nicht mehr,
Der Vorwelt Jubel sind der Mitwelt Klagen,
Die Muse wählt ein Herz von Kummer schwer,
Zu seinem Gram den ihren auch zu tragen.
So hört denn ihr im theuren Vaterland,
Hier aus St. Peters weltgepries'nen Hallen,
Wohin selbst von des Nils entferntem Strand,
Vom Libanon die frommen Pilger wallen,
Hört, was in ihm dein Geist mir eingeweht,
O Rom, du großer Tempel der Geschichte,
[97]
Und der Heroen ernste Majestät,
Erwachend im beseelenden Gedichte,
Denn mit des Weltgerichts Posaune weckt
Im Sturme der Begeisterung der Sänger,
Die schon Jahrtausende das Grab gedeckt,
Die Vorwelt auf; je schauriger und länger
Die Zeit um sie den ew'gen Schleier hüllt,
Um desto heiliger ist ihr Erscheinen,
Und höher wächst der Strom, je mehr gefüllt
Vom Urquell, Wetterbäche sich vereinen.
In Bildern red' ich euch ans offne Herz,
Die Wahrheit spricht so gern in düstern Fragen,
Im Dunkel klagt der Nachtigallen Schmerz;
Das Frühroth siehst du aus der Nacht nur tagen,
Und soll euch Wohllaut freuen im Gesang,
So sei's nicht Lautenton, dem Kinder lauschen,
Es sei des Meeres uralt heil'ger Klang,
In dem der Schöpfer ewig scheint zu rauschen.
Ihr aber, die der Genius nicht geweiht,
Mißgünst'ge, Todtgeborne treten ferne.
Wohlan! schwebt denn für alle Ewigkeit
In leerer Nacht, wie sonnenlose Sterne.
Ich stand auf jener klaren Höh' im Traum,
Da, wo des Venustempels alte Zelle,
Die halbzerfall'ne, mit der Büsche Saum
Sich rundlich wölbt, auf längst begrabner Schwelle.
Um mich herum lag es in ödem Graus
Von Säulenstücken und von Marmorblöcken,
Die, einst der Schmuck von Nero's goldnem Haus,
Das Gras gleich sterbenden Titanen decken.
Und vor mir unaussprechlich dunkel ragt
Das Colosseum in des Himmels Lüfte,
So wie vom Aar des Donnerers zernagt,
Prometheus Felsenherz in seine Grüfte.
[98]
Sieht's mich nicht an, das heil'ge Ungethüm,
Als ob in seiner ungeheuern Tiefe,
Gebändigt endlich von des Schicksals Grimm,
Der Römer Geist in seinem Grabe schliefe!
Wie klein in dieser eingestürzten Welt
Graut durch die Dunkelheit der Siegesbogen,
Durch den der Schlachten großer Herr und Held
Und seine ruhmbekrönten Heere zogen.
O was gewahr' ich? Ueberm Mauerkranz
Des halb zertrümmerten Gebirges wieder
In reinem ewig jungen Schöpfungsglanz,
Du Wonne meiner Lieb' und meiner Lieder,
Ach mein Orion du! Den ich geliebt,
Als ich von Platons Flügelrossen träumte,
Als noch krystallhell, rein und ungetrübt
Der Freude Lichtquell mir entgegenschäumte,
Du Zeuge jener süßen Himmelsgluth,
Als noch auf ihrem schönen Lockenhaupte
Dein milder Zauberschein auf ihr geruht,
Die mir so früh der Hölle Wahnsinn raubte!
Wenn ihre Lipp' in langer Seligkeit
Vollathmend heiß, auf meinem Munde glühte,
Und uns vom goldnen Frühlingsbaum der Zeit
Der schönsten Augenblicke Lust erblühte,
Da deutet' ich so oft hinauf zu dir,
Und abergläubisch hing an deinen Strahlen
Mein liebend Herz; ach warum wurd'st du mir
So bald das Sternbild meiner höchsten Qualen?
Du lächelst noch in deiner sel'gen Ruh,
Klar nach Aeonen wie am Schöpfungstage,
Mit deinem holden Augenlicht mir zu,
Du hörtest mein Entzücken, meine Klage.
Als einst wie auf das erste Menschenpaar
Auf mich sein Flammenschwerdt der Engel zückte,
Als mir des Abgrunds wachsende Gefahr
[99]
Entgegengrauste, weil ich lechzend pflückte,
Was mir die menschlich dürftige Natur
Zur hohen Götterfreiheit sollte schwingen,
Und weil ich los von jeder niedern Spur
Hier schon zum Lebensurquell wollte dringen,
Als ich nun plötzlich so verlassen stand,
Gleich einer Eiche, der man die Gespielen
All' um sie her gefällt, und ach mißkannt,
Verflucht, mit brennend marternden Gefühlen
Die Welt in Schutt und Asche sinken sah,
Da blickt' ich oft empor zu deinem Lichte
Denn immer bist du meinem Herzen nah,
So oft ich's trübe Auge zu dir richte.
Du bist ja einzig, unveränderlich,
Dein Sternengürtel glänzt in ew'ger Klarheit,
Der Mensch allein verliert die Welt und sich,
Und wer sich selbst verliert, verliert die Wahrheit. –
Nun mein Orion strahlt dein heilig Bild
Zum erstenmale hier dem Neugebornen,
Die Schwermuth weicht, es ist der Schmerz gestillt,
Entflohen sind die Schatten der Verlornen.
Zum heimathlichen Grabe fliehen sie
Vor höhern Geistern, die der Erd' entsteigen,
Entweicht – Rom trauert in Melancholie,
Die Weltgeschichte spricht, die Menschen schweigen.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Waiblinger, Wilhelm. Gedichte. Oden und Elegien aus Rom, Neapel und Sicilien. Anhang. Die Nacht in St. Peter. 2. [O hört mein Lied! Nicht Tand und Spielwerk nur]. 2. [O hört mein Lied! Nicht Tand und Spielwerk nur]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-89FF-3