An die Veilchen des Albanersees

Alles Schöne feiern die Dichter, Alles
So im Schooß der Mutter Natur, und so im
Menschenherzen schlummert, warum nicht euch auch,
Duftende Wesen,
Die ihr mein Elysium schmückt, vom Ufer
Meiner Lieblingsfluth in den kühlen Schatten
Immergrüner Eichen die Blumenfelsen
Freundlich emporblüht!
Was von allem Zarten der Erde glich' euch,
O ihr süß Verletzbaren? Ausgeathmet
Im verschämten Mutterverlangen hat als
Bräutlichen Seufzer
Euch die Frühlingserde: zum erstenmale
Ihr verborgnes Schmachten bekennend, lächelt
Sie aus blauen Augen zum Himmel, ihrem
Ewig Geliebten!
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Tiefe heil'ge Stille, wie dieser Landschaft
Ist auch euer Geist: ihr gehört der sichern
Gegenwart nicht an, nur der tiefern Ahnung,
Nur der Erinn'rung.
Eure Farbe wohl ist die schönste: denn sie
Trägt und liebt Hesperiens See und Himmel,
Nur daß eurem Blau noch der Sehnsucht Purpur
Lieblich entäugelt.
Alte Sagen kehren zurück und fromme
Fabeln, ja die heitern Gedanken schweifen
In die goldne Zeit, da Askan euch pflückte,
Sinnende Blümchen.
Dort am Fels, das nieder am Wasserspiegel
Mit der Last der üppigen Wälder grünet,
Führte ja Aeneas gekrönter Sohn den
Scepter von Alba.
Aber Alba sank, und des Troerfürsten
Enkel alle, Weiber und Greis' und Kinder
Zogen mit den Göttern aus den gestürzten
Mauern der Heimath
Roma's immerwachsenden Herrscherthoren
Weinend zu; da ward es an diesen Ufern
Oed' und wild, statt Königen sproßten
Einsame Veilchen.
Und wie selbst die rächende Hand des Schicksals
Rom auch traf, und furchtbar die Tempel stürzten,
Wo Triumphatoren den nun gefallnen
Göttern die Schätze
[13]
Der besiegten Erde zum Opfer brachten,
Dennoch bliebt ihr, sicher in eurem Laube,
Wo's der Gott im Tempel nicht war, der Cäsar
Nicht im Palaste,
Noch dieselben, wie ihr geblüht, als drüben
Dort am Rücken einst des Vulkans im Haine
Ferentina's Latiums Bürger sich am
Altar versammelt.
Ihr dürft nicht erzittern, so wie die Eiche,
Deren Kron' umwirbelt der Sturm, ihr schaut dem
Völkerwechsel zu, und am Ende pflückt euch
Selbst nur die Liebe.
Ich allein, holdlächelnde Frühlingskinder,
Ich, der, sterblicher ich als ihr, der Liebe
Sanfte Freuden lange nicht anders als im
Liede gekannt hat,
Ach, ich pflück' euch nicht! Als ein trüber Fremdling
Wandl' ich nur in eurer bescheidnen Heimath,
Meine Liebe suchend, die mit des Lebens
Blüthen verschwunden.
Eines fällt mir ein, ob Diana, dieser
Ufer Schutzgottheit, mir die Liebesfreuden
Nicht in euch verwandelt, da ihr so süß, o
Veilchen, mich anseht!

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Waiblinger, Wilhelm. Gedichte. Oden und Elegien aus Rom, Neapel und Sicilien. Oden und Elegien aus Rom. An die Veilchen des Albanersees. An die Veilchen des Albanersees. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8AB7-C