An den Grafen Platen

1.

Laß mich, Freund, in meiner Weise
Dir ein artig Liedchen singen!
Zürne nicht, wenn meine Muse
Nicht als ernste hohe Gottheit,
Nur als Schmetterling der Dichtkunst
Blumenhöhen heut umflattert,
Wenn sie von Anakreons
Bienenhonig gerne nippte.
Sind wir doch im ew'gen Frühling,
Wo im warmen Hauch des Südens
Uns die Frucht der Hesperiden,
Frohe Lebenslust, erblühet!
Drum so frisch und leicht und munter,
Wie Albanos Morgenlüfte,
Soll, o Sänger, dir mein Lied
Um der Schläfe Lorbeer wehen.
Laß den Ernst für heute schwinden,
In Italiens ew'ger Jugend
Wollten wir allein veralten?
Alles müssen wir erlernen,
Nun, so lernen wir uns freuen!
Nimm den Lorbeer ab, er runzelt
Nur die Stirn! ein Myrthenkranz
Und die Rose steht ihm besser!
[100]
Dich erquickt es ja zu wandeln
Durch die immergrünen Haine
Und du rufst ja, wenn sie glänzend
Von der Sonne Purpur träufeln,
Das ist Süden, das ist Schönheit!
Unter Blüthen, unter Blumen
Ließen wir den Freudenkranz
Uns allein vom Herbst entblättern?
Ferne sei's! Wie dieser Schöne
Lautrer Lebensstrom die Wunden
Meines Herzens heilen konnte,
Wie ich reiner und gesünder
Solchem Wunderbad entstiegen,
So erheiterten, erfrischten
Dich allein die Fluthen nicht,
Die den schönsten Himmel spiegeln?
Dich gewiß! In deines Herzens
Still verschlossnem Heiligthume
Hielt das schönste Paar des Himmels
Psyche mit dem Schalken Amor
Ihre lieblichste Vermählung,
Und du kennst der Psyche Freuden
Nur daß ein Elysium
Ihrem sanften Fluge fehlte.
Doch du hast es nun, du lerntest
Dein Parthenope genießen,
Und du singst, ein andrer Orpheus,
An elysisch holden Ufern
Fels und Wellen deine Lieder,
Und die Schattenbilder lockst du
Aus dem finstern Orkus selbst
Unsrer Heimath dir herüber.
[101]
Munter drum, laß uns genießen,
Und vergiß nicht, jener schöne
Jugendliche Gott der Dichtkunst
Ist derselbe, der die Traube
Mit dem heißen Blut begeistert,
Willst du seine Huld behalten,
Mein geheimnisvoller Freund,
Bring' ihm seine Freudenopfer.

2.

Noch gedenk' ich jenes Morgens,
Da wir uns zum erstenmale
So von ohngefähr gefunden,
Auf dem Esquilin! Des Klosters
Stillem Garten sahn wir mächtig
Sich der Palme Wuchs entheben,
Und in ihrer Herrlichkeit
Roms Ruinen sich entfalten.
Oftmals wanderten wir einsam
Der Metella Riesengrabe,
Oft der Grotte der Egeria,
Oft des Pincio süßen Höhen,
Oder wohl des Tibers Brücken
Und des Forums Tempeltrümmern,
Und dem Colosseum zu,
Wo der Genius uns geführet.
Und wie um der Römertempel
Altergraue düstre Reste
Lustig Laub und heitre Blumen
Gern in flücht'ger Blüthe wuchern,
[102]
Wand durch ernstere Gespräche
Still bedächtliche Betrachtung
Sich ein kecker muth'ger Scherz
In verweg'ner üpp'ger Fülle.
Wahr ist es, auf meinem Boden
Wuchs des Unkrauts viel, zerstörend
Traf ihn Sonnenbrand und Stürme;
Zwar die vollsten Rosenkränze,
Doch der Dornen allzuviele
Drückte mir auf's Haupt der Amor,
Dem ich in Genuß und Lust
Als ein irrend Weltkind glühte.
Aber du im Heiligthume,
Nie entweiht, hast ihm als Priester
Seine geist'ge Flamm' erhalten.
Ich verstand dich wohl, und gerne
Hast auch du mich stets geduldet,
Und so wehte mir die Schalkheit
Auch ins Herz den Blüthenduft
Deiner Muse, deiner Scherze.
Aber laß nun, mich zu schelten!
Ist die Sündfluth, die so schnelle
Meine kleine Welt zerstöret,
Endlich doch zurückgewichen,
Und die grünen lichten Höhen
Glänzen schon im Sonnenscheine,
Und der Friedensbogen ruht
Lächelnd im entwölkten Himmel.
Eine Taube ließ ich fliegen –
Deute sie – und einen Oelzweig
Brachte sie zurück! ich habe
Doch mein Bestes mir gerettet.
[103]
Freund, mein Herz! In frischer Weihe
Hat es der versöhnten Gottheit,
Hat's der Muse, die dich krönt,
Ew'ge Treue schon geschworen.
Und so könnt' ich wohl es wagen,
Dir die Freundeshand zu bieten;
Wär' ich noch ein Schwärmer, rief' ich
Alle Tempel Roms zu Zeugen,
Doch wozu? Du liebst zu schweigen,
Liebst die Einsamkeit, und freilich
Dir verdenk' ich's nicht, du hast
Alle Grazien zu Gespielen.

3.

Daß ich's aber nur gestehe,
Dieser Lieder heitre Weise,
Dieses schlichte Spiel der Leier
Ruft dich auf zum Wiederklange.
Sei's daß in gewicht'gem Ernste
Du ein Dichterwort mir sagest,
Oder daß die Fröhlichkeit
Dieses Himmels dich beseele!
Zwar verschwieg'ne Zauberhüter
Stehn an deines Herzens Pforten,
Und nur wen'gen läßt du's öffnen,
Wen'ge schauen in die Kammern,
Wo in flammendem Geblüte,
Schöpfrischer Natur geheiligt,
Sich des Goldes Lieblichkeit
Aus der Erde Schooß gerungen.
[104]
Doch beim duftigen Elysium
Des Gianicolo, den süßen
Veilchenauen vom Pamfili,
Bei des Pantheons Gewölbe,
Bei des Forums Tempel-Säulen,
Ja bei Roms Titanenbilde,
Wenn's in holder Rosengluth
Unaussprechlich herrlich leuchtet,
Oder kann's dich mehr bezaubern,
Bei Parthenopes Gestade,
Bei den Felsen von Sorrento,
Bei der Einsamkeit von Capri,
Bei dem Anblick all' des Landes,
All' des Meeres auf dem Gipfel
Des Vulkans beschwör' ich dich,
Mir ein Gegenlied zu singen.
Gern verwehe dann das meine,
Ist's ja doch nur leicht und munter,
Wie's die Vögel in Hesperien
Auch an Wintermorgen singen.
Mit Entzücken aber will ich
Dann der Nachtigall verstummen,
Und im tiefsten Lorbeerhain
Ihren sel'gen Tönen lauschen.

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TextGrid Repository (2012). Waiblinger, Wilhelm. An den Grafen Platen. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8C90-1