Die siebenundvierzigste Fabel.
Von einem jungen Redner.
Ein junger gsell mit fleiß studiert
So lang, daß er ward promoviert
Magister in der freien kunst;
Doch trug er sonderlichen gunst
Zur rhetorik und redenheit,
Wie man mit kunst und gschicklichkeit
Mit worten sol ein sach ausfüren,
Nach glegenheit all umbstend rüren.
Da ward, wie sichs denn oft zutregt,
Demselben gsellen aufgelegt
Ein große sach, die er da solt
(Und er sich selb auch ieben wolt)
Vor herrn und vor landsfürsten tragen.
Auf daß ers nu dest baß mocht wagen,
Gedacht, er wolt sich selber prüben
Und etlich wochen vorhin üben.
Hub an an einem morgen fru,
Schloß sein bursen hinder im zu,
Nam hölzen schüßeln, teller, bret,
Leffel und molten, was er het,
Und stellts in ein ordnung daher,
Als obs dort bei den fürsten wer;
[252]Auf jedes stück ein namen schrieb
Und dacht: daß ich eim jeden gib
Sein titel, wie solchs heischt sein stat,
Und wie sie sitzen dort nach grat.
Darnach stellt er sein red und klag,
Sein repliken und widerfrag,
Und tet sich vor den schüßeln neigen,
Wie er sich wolt vorn fürsten zeigen.
Darin übt er sich etlich wochen.
Wie er het lang sein ghirn zerbrochen,
Zur bstimten zeit die fürsten saßen;
Da ward der gsell auch ingelaßen,
Daß er sein sach daselb vorbrecht,
So solt man im nach gmeinem recht,
Nach verhörung, antwort und klagen
Ein rechtmeßig urteil absagen.
Der gsell stund still und sahe sich umb,
Dacht: hilf, daß ich zum anfang kum!
Ich sihe wol, daß sich nicht so helt,
Wie ichs dort in die ordnung gstellt.
Sahe sie all nach einander an,
Daß sich auch wundert jederman;
Sprachen: »Heb an! dein sach erzel!«
Er sprach: »Ich hab daran ein fel,
Bin nit in meiner burs alleine,
Sihe meiner molten und schüßeln keine.«
Mancher hat kaum die kunst geschmeckt,
Meint bald, daß er voll weisheit steckt,
Des lerampts sich zu bald annimt,
E er zum schmack der künsten kümt,
So doch der, welchers lang hat braucht,
Oft von dem rechten wege straucht,
Wiewol sich stets der kunst bekümmert.
Der gut Homerus auch wol stümmert,
Und der sich auf das höchst befleißt,
Oft selb in seine weisheit schmeißt,
Wies auch ist eim locaten gan,
Der tet sein erste lection
[253]In der schul vor den kleinen knaben,
Die sonst kein große weisheit haben.
Dem daucht dieselbig stund so lang,
Daß im die zeit war we und bang;
Für angst und schweiß kam raus getroffen,
Als wer er aus eim ofen gschloffen,
Und sprach: »Box grind und heilger wund,
Was ghörn vil wort zu einer stund!
Jetzt ist mirs alles ausgeschworn,
Was ich hab glernt in zwenzig jarn.«