Georg Weerth
Leben und Taten
des berühmten Ritters Schnapphahnski

[289] Vorspiel

Als der Verfasser des Lebens und der Taten des berühmten Ritters Schnapphahnski die ersten Arabesken seiner wundervollen affen- und ebenteuerlichen Geschichte schrieb, da fiel es ihm im Traume nicht ein, daß zur Belohnung für all die herrlichen Erzeugnisse seines unsterblichen Geistes einst ein Gerichtsvollzieher bei ihm erscheinen werde, um ihn mit würdiger Miene, aber in sehr nachdrücklichem Tone vor den Herrn Instruktionsrichter des Königlich-Preußischen Landgerichtes in Köln zu zitieren.

Der Verfasser des Schnapphahnski hielt sich bisher für einen der unschuldigsten Menschen unsres verderbten Jahrhunderts. Er hatte sich oft darüber geärgert – denn nichts ist langweiliger und uninteressanter als die Unschuld. Als er aber den Gerichtsvollzieher sah und den Erscheinungsbefehl, in dem es klar und deutlich zu lesen war, daß er sich binnen zwei Tagen in dem Verhörzimmer des Richters melden solle, widrigenfalls nach der ganzen Strenge der Gesetze gegen ihn verfahren werde – kurz, als er sich davon überzeugte, daß man ihn für nichts mehr und nichts weniger als einen – Verbrecher halte: da sprang er empor mit dem Schrei des Emzückens, mit dem Jubel der Freude ob der endlich verlorenen Unschuld – er warf den Sessel um und den Tisch und alles, was darauf stand, und wäre fast dem Gerichtsvollzieher [289] um den Hals gefallen, um ihn zu herzen und zu küssen, und ein über das andere Mal frohlockte er: »Ich bin ein Verbrecher! ein Verbrecher! Verbrecher!«

Die Freude des Verfassers hat sich seitdem in etwa gelegt. Er erschien nämlich wirklich vor Gericht, und es wurde ihm plötzlich sehr seltsam zumute. Das heilige Gerichtsgebäude der fröhlichen Stadt Köln machte trotz alledem einen unangenehmen Eindruck auf ihn. Mit den zwei nach vorn gekrümmten Seitenflügeln schien es ihn wie mit zwei abscheulichen Armen ergreifen und nicht wieder loslassen zu wollen. Und als nun gar rechts einige Erzengel der Gerechtigkeit mit langen Schleppsäbeln und großen häßlichen Schnurrbärten aufmarschierten und links Advokaten, Instruktionsrichter und Landgerichtsräte – alles Leute, die am Abend, im Wirtshause, bei einer Flasche Wein ganz manierlich aussehen – in langen wallenden Talaren, mit weißen Beffchen und altmodischen, höchst schauerlichen Mützen vorbeispazierten: da regte sich mit einem Male eine gewisse Stimme in der Seele des Angeklagten und sprach: »Wehe dir, wenn du etwas Böses getan hast; mit der heiligen Themis ist nicht zu spaßen!«

Doch was soll ich meinen Lesern die Gemütsbewegungen des unglücklich-glücklichen Verfassers noch weiter schildern –? Was geht meine Leser der Verfasser an? – Wenden wir uns daher zu dem Prozesse selbst.

Die Anklage lautet auf Verleumdung. Cervantes verleumdete den Don Quijote, Louvet verleumdete den Chevalier Faublas, ich soll den Ritter Schnapphahnski verleumdet haben. Das ist schrecklich!

Hat man den Cervantes gehängt? Nein. Hat man den Louvet guillotiniert? Nein. Wird man mich köpfen?

[290] Wer weiß es? Es wäre schade um mich. Es gibt nichts Schlimmeres auf Erden, als wenn man den Kopf verliert.

Einstweilen besitze ich ihn noch, und hin und her habe ich mich besonnen, ob es wohl schon je so etwas gegeben hat, was dem Prozesse Schnapphahnski ähnlich sah. Die heilige Justiz möge mir verzeihen, wenn ich ihr unrecht tue – ich konnte noch nichts finden. Und nähmt ihr die Flügel der Morgenröte und flögt bis zum äußersten Meere: ihr fändet noch keinen zweiten Prozeß Schnapphahnski.

Das einzige, was ihm entfernt ähnlich sieht, finden wir aufgezeichnet in dem 11. und 12. Kapitel des 2. Buches der »Erschrecklichen Heldentaten und Ebenteuer Pantagrueli, der Dipsoden König, in sein ursprünglich Naturell wiederhergestellt durch Meister Alcofribas, der Quintessenz Abstraktor«. Ich brauche meinen Lesern nicht zu bemerken, daß dieser Alcofribas niemand anders ist als: Meister Franz Rabelais, der Arzenei Doktoren.

Meister Franz schildert uns in dem erwähnten Kapitel seines unübertrefflichen Werkes, für das er ebenfalls weder gehängt, guillotiniert noch geköpft wurde: den Prozeß Leckebock-Saugefist. Um meinen Lesern einen Vorgeschmack von dem möglicherweise zum wirklichen Ausbruch kommenden Prozeß Schnapphahnski zu geben, führe ich das Plädoyer jenes merkwürdigen Falles wörtlich an:

»Da sprach Pantagruel zu ihnen: Seid ihr es, die ihr den großen Streit mit einander habt? – Ja, gnädiger Herr, antworteten sie. – Und welcher von euch ist der Kläger? – Ich bin's, sprach Herr von Leckebock. – Nun, [291] mein Freund, so erzählet uns also Punkt für Punkt euren Handel rein nach der Wahrheit: denn bei dem hohen Sakrament! wo ihr auch nur ein Wort dran lügt, hol ich den Kopf euch von den Schultern, und will euch weisen, daß man in Rechten und vor Gericht nur die lautere Wahrheit sagen soll. Darum hütet euch also wohl, eurer Sache etwas zuzusetzen oder davonzutun! Saget an.

Da begann denn Leckebock wie folgt: Gnädigster Herr, es ist wohl wahr, daß eine brave Frau meines Hofes Eier zu Markte trug – bedeckt euch, Leckebock, sprach Pantagruel. – Großen Dank, Herr, sagt' der Junker: doch weiter im Text: zwischen den beiden Wendezirkeln kam sie sechs Kreuzer zenithwärts und einen Stüber, in Betracht daß die Riphäischen Berg dies Jahr sehr unfruchtbar an Gimpel-Schneisen gewesen waren, mittels eines Aufruhrs, der sich zwischen den Kauderwelschen und den Accusirnern erhoben, wegen der Rebellion der Schweizer, die sich auf Pumpzig an der Zahl zum Heereszug gen Neuennadel versammelt hatten, im ersten Loch des Jahres, da man die Supp den Ochsen, und den Jungfrauen den Kohlenschlüssel zum Haberschmaus für die Hund verabreicht'. Die ganze Nacht ward (Hand am Pot) nichts weiter geschafft, als daß man Bullen expediert auf Posten zu Fuß und Knecht zu Roß, um alle Kähn in Beschlag zu nehmen, denn die Schneider wollten ein Blaserohr aus den gestohlenen Flecken machen, den Ocean zu überdachen, der damals nach der Heubinder Meinung mit einem Krautgemüs schwanger ging. Aber die Physici meinten, es wär an seinem Wasser kein Zeichen zu sehen so deutlich wie am Fuß des Trappen, Hellebarden mit Senf zu pappen, wofern nicht die [292] Herren Oberrichter der Syphylis aus Be Moll verböten hinter den Laubwürmern drein zu stoppeln, und also während des Gottesdiensts spazieren zu gehen. Ha, ihr Herren, Gott helf uns weiter nach seinem Rat, und, wider des Unglücks böse Tück zerbrach ein Kärrner nasenstüblings sein Peitsch: denn das Gedächtniß verrauchet oft, wenn man die Hosen verkehrt anzeucht. – Hier sprach Pantagruel: Sacht, mein Freund, nur sacht! sprecht langsam, ereifert euch nicht. Ich versteh den Kasus; fahret fort.«

Und Leckebock fuhr fort, noch eine halbe Stunde lang zu reden, in bisheriger Weise. Nachdem er sich aber aller seiner Weisheit entledigt hatte, setzte er sich und murmelte: »Demnach, Gestrenger, bitt ich schön, Euer Hoheit woll in dieser Sach erkennen und sprechen was Rechtens ist, nebst Kost, Zinsen und Schadenersatz.«

Da erhob sich Herr von Saugefist; er räusperte sich vierundsechzigmal und erwiderte: »Gnädigster Herr, und ihr andern Herren, wenn die Bosheit der Menschen so leicht nach kategorischem Urtheil erkannt würd', als man die Mücken im Milchnapf sieht, so würd' das Vier-Ochsen-Land von den Ratzen nicht so zerfressen sein als es ist, und manche zu schimpflich gestutzte Ohren würden annoch auf Erden sein. Denn obschon was die Geschicht des Facti und den Buchstaben anbetrifft, des Gegners Bericht auf ein Härlein wahr ist, so sieht man doch gleichwohl, meine Herren, die Listen, Schlich und die feinen Häklein, und sieht wo der Hund begraben liegt. Ey heilige Dam! man kann den Schnabel nicht mit Kuhmist heitzen, ohne sich Winterstiefel zu kaufen, und die Schaarwach kriegt ein Klystier-Decoct oder den Kackstoff. Muß man derhalb die hölzernen Bratspieß [293] schmoren? Doch der Mensch denkt und Gott lenkt, und wenn die Sonne hinunter ist, sitzt alles Vieh im kühlen Schatten. Anno Sechs und dreißig kaufte ich mir noch einen Fuchsschwanz. Er stand fein hoch und kurz: die Woll' so ziemlich, aber gleichwohl hing der Notar sein Cetera daran.

Ich bin kein Studierter, aber im Buttertopf, wo die vulkanischen Instrument besiegelt wurden, ging das Gerücht, der gepökelte Ochs, der spüret den Wein in stockfinsterer Mitternacht ohn Licht aus, und stäcke er auch zu unterst im Sack des Kohlenbrenners. Zwar ist an dem, daß die vier Ochsen, von denen die Rede ist, einigermaßen ein kurzes Gedächtniß hatten, doch was die Murrner anbetrifft, so hätten sie auch bei der Hundshochzeit zum Garaus geblasen und der Notar hätte auf kabbalistisch seinen Rapport darüber erstattet, daß sechs Morgen Wiesenland keine drei Flaschen Dinte geben.«

So sprach auch Saugefist noch eine lange Weile. Als er aber ebenfalls ausgeredet, »erhub sich Pantagruel, rief alle Präsidenten, Räth und Doctores zusammen, und sprach zu ihnen: Wohlan ihr Herren, ihr habt nun vivae vocis oraculo den Handel gehört, davon die Red ist; was dünkt euch dazu?

Und sie antworteten: Freilich haben wir's gehört, aber wir verstanden für'n Teufel auch nicht ein Wörtlein davon. Bitten Euch demnach una voce unterthänigst um die Gunst, daß Ihr nach Eurer Einsicht wollt das Urthel sprechen.«

Da nahm Pantagruel das Wort und sprach: »Auf Vernehmen, Anhörung und reifliches Erwägen des Streites der Herren von Leckebock und Saugefist, erkennt das [294] Gericht, daß in Betracht dessen und dessen und in Erwägung, daß die Glas-Molken auf nächsten Mai in Mitten August zahlbar sind, und die Guttural-Beinschellen durch Heu verstopft werden müssen, jene zu leisten schuldig sind und Freund wie vor, ohne Kosten, aus Ursach.

Also lautete die Fällung des Urtheils und beide Theile gingen zufrieden mit dem Bescheid von dannen, welches schier ein unglaublich Ding war: denn seit dem großen Regen hätt' man noch nicht erlebt und wird's auch schwerlich in dreizehn Jubeljahren erleben, daß zwo uneinige Parteien in einem Rechtsstreit ebenmäßig das Endurtheil gut heißen sollten.

Die übrigen anwesenden Räthe und Doctoren aber saßen dort wohl noch an drei Stunden steif und starr in stummer Verzückung, außer sich für Staunen ob des Pantagruels übermenschlicher Weisheit, welche sie aus Entscheidung dieses so schweren und kitzlichen Handels klar erkannten. Und säßen noch allda, wenn man nicht Essig und Rosenwasser die Fülle gebracht hätte, zu Erweckung ihrer fünf Sinne und Lebensgeister, da denn Gott ewig Lob für sei. –«

So weit Alcofribas, der Quintessenz Abstraktor.

Vor dem Prozeß der Herren Leckebock und Saugefist gab es keinen ähnlichen: und nach ihm gab es nur den des berühmten Ritters Schnapphahnski.

Erwarten wir von ihm das Möglichste. Öffentlich werde ich an den meistbietenden Advokaten die Ehre, mich zu verteidigen, verkaufen lassen.

Unsterblich kann er sich machen durch meine Verteidigung! Denn meinen Prozeß werde ich besingen, in Jamben, in Daktylen, in Trochäen,


[295]
»In Spondeen und Molossen,
In antiken Verskolossen –«,
der Gegenwart zur Lust, der Nachwelt zu unauslöschlichem Gelächter.
Köln, Dezember 1848

Georg Weerth [296]

1. Schlesien

I
Schlesien

Sage mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Mannes,
Welcher so weit geirrt, nachdem aus Berlin man verbannt ihn;
Vieler Menschen Städte gesehn und Sitte gelernt hat,
Auch bei Don Carlos so viel' unnennbare Leiden erduldet.

Gewiß! Vater Homer, der weißbärtige griechische Barde, würde nicht den edlen Odysseus, nein, er würde den edlen Ritter Schnapphahnski besungen haben, wenn Vater Homer nicht zufällig in einer Zeit gelebt hätte, wo man weder Klavier spielte noch Manila-Zigarren rauchte, wo man weder an Berlin noch an Don Carlos dachte.

Homer ist tot. Ich lebe. Das letztere freut mich am meisten. Was Homer nicht tun konnte: ich tue es. Homer besang den Odysseus – ich verherrliche den Ritter Schnapphahnski.

Seltsame Vögel gab es auf Erden – von Adam an bis auf Heinrich Heine. Adam wurde im Paradiese geboren und war ein Mensch; Heine sah das Licht der Welt in Düsseldorf und ist ein Gott – nämlich ein Dichter.

Heine wohnt in Paris – dies wissen alle schönen[297] Frauen. Viel artige poetische Kinder zeugte er. Sein jüngster Sohn ist aber ein Bär. Und dieser Bär heißt Atta Troll. Nächst dem Großen und dem Kleinen Bären dort oben am Himmel ist dieser Atta Troll der berühmteste Bär unserer Zeit.

Meine Leser müssen mir nicht zürnen, daß ich von den Griechen plötzlich auf die Bären komme – die Hauptsache ist aber, daß Atta Troll in genauem Zusammenhange mit dem Ritter Schnapphahnski steht. In zauberisch-poetischen Nebel gehüllt, sehen wir nämlich in Heines klingendem Gedichte den Ritter Schnapphahnski zum ersten Male über die Bühne schreiten. Ein komisches zweibeiniges Wesen, in eine Bärin verliebt, der Finanznot blasse Wehmut auf den Wangen, beraubt seiner Kriegskasse von 22 Silbergroschen und die Uhr zurückgelassen im Leihhause von Pampeluna!

Schattenhaft, wie ein Jäger der wilden Jagd, huscht der edle Schnapphahnski an uns vorüber; wir möchten ihn festhalten, einen Augenblick; wir möchten ihm noch einmal ins Auge schaun, ihn noch einmal vom Wirbel bis zur Zehe betrachten, den geisterhaften, den interessanten Mann – aber fort ist er, ehe wir's uns versehen, und erstaunt fragen wir uns: Wer ist dieser Schnapphahnski?

Lieber Leser, sei nicht unbescheiden! »Zwar alles weiß ich nicht, doch viel ist mir bewußt!« Höre zu, was ich dir von Schnapphahnski erzählen werde; es ist Zeit, daß der edle Ritter aus seinem zauberisch-poetischen Nimbus heraustritt; an den Zipfeln seines Frackrocks zerre ich ihn vor das große Publikum.

Wie schlafende Riesen liegen hinter uns die verrauschten Jahrhunderte, tot und stumm. Aber alte Historiker, [298] bücherbestaubt und grün bebrillt, und naseweise Poeten prickeln und stacheln sie bisweilen mit ihren spitzigen Federn, und dann fahren sie empor, sie heben ihre Köpfe, sie öffnen den Mund, und halb im Traume erzählen sie uns brockenweis ihre klugen und ihre törichten Geschichten – wie es gerade kommt, und bleischwer sinken sie wieder zusammen.

Glücklicherweise habe ich es nicht mit den schlafenden Riesen der Jahrhunderte zu tun. Es handelt sich nur um die Vergangenheit des Ritters Schnapphahnski, und lieblos werde ich sie mit meiner Feder emporstacheln, damit die Welt doch endlich sieht, was sie an ihrem Ritter hat, damit unser Schnapphahnski doch endlich zur rechten Anerkennung gelangt.

Das Dasein Schnapphahnskis gleicht einer bunten Arabeske. Manchmal wird es euch an die Aventüren des Chevalier Faublas erinnern; bald an eine Episode aus der Geschichte des Ritters von der Mancha, bald an die Glanzmomente eines Boscoschen Taschenspielerlebens.

Zärtlicher verliebter Schäfer, rasender Raufbold, Spieler, Diplomat, Soldat, Autor – alles ist dieser Schnapphahnski – ein liebenswürdig frecher Gesell. – Doch zur Sache!

Schnapphahnski ist von Geburt ein Wasserpolacke. Ich bitte meine Leser, nicht zu lachen. Schnapphahnski ist ein wunderschöner Mann, den manches allerliebste Frauenzimmerchen recht gern in den kohlschwarzen Bart hineinküssen würde. Der Ritter ist nicht groß, aber er ist hübsch und kräftig gebaut. Ein kleiner, schmaler Fuß, ein rundes Bein, eine gewölbte Brust, ein stolzer Kopf mit schwarzem Knebel- und Schnurrbart, flink und gewandt: das ist der Ritter Schnapphahnski. Ein Mann [299] wie gedrechselt, mit funkelnden Augen, höhnischen Lippen und aristokratisch weißen Händen.

Im Monat Mai seines Lebens war der junge, schöne Wasserpolacke Freiwilliger in dem 4. (braunen) Husarenregimente, dessen Stamm in O. in Schlesien stand.

Das lautet wieder ganz prosaisch. Aber man denke sich den jungen Fant, dessen Fuß nur auf den Teppich oder in den silbernen Bügel trat, in knapper Uniform, die Reitpeitsche in der Hand, den ersten dunklen Flaum des Bartes auf den zarten Wangen, die Gewandtheit eines jungen Katers in jeder Bewegung und die Lüsternheit blitzend aus beiden Augen – und man wird gestehen müssen, daß es eben kein Wunder war, wenn er einen gewissen Eindruck auf die schöne Gräfin S. machte.

Die schöne Gräfin S. verliebte sich in den braunen Husaren. Weshalb sollte sie nicht? Wär ich die Gräfin S., ich hätte es auch getan. Der jugendliche Freiwillige war gar zu reizend. Schon damals zeigte sich bei ihm die Gabe der Rede, jenes Talent, was ihm später von so unendlichem Nutzen war, mit dem er so manchen stillen Landtagsabgeordneten in haarsträubendes Erstaunen setzte. Die Worte flossen ihm so glatt von den Lippen, und eine jede Phrase begleitete er so ausdrucksvoll mit der schneeweißen Hand, daß die arme Gräfin zuletzt nicht mehr widerstehen konnte und sich ihrem Husaren auf Gnade und Ungnade ergab. Glücklicher Ritter! Er durfte seinen jungen Schnurrbart auf die kußlichsten Lippen ganz Schlesiens drücken. Kaum der Schule entlaufen und schon ein Alexander, der eine Welt, ein Herz eroberte!

Soweit war alles gut. Daß Schnapphahnski ein gräfliches Herz stahl: niemand wird ihm das verdenken; und daß er seine Gräfin küßte: nun, das war seine verfluchte [300] Schuldigkeit. Denn der Mensch soll küssen! In flammender Frakturschrift steht dies geschrieben in den rosigen Abend- und Morgenwolken. Der Mensch soll küssen! In kleiner Schrift stehet es geschrieben auf dem Blatt jeder Rose, jeder Lilie.

Schnapphahnski küßte, und er gehorchte dem Gesetz, das mehr als die Frakturschrift der brennenden Wolken und mehr als die kleine Schrift der Lilien und der Rosen die Lippen einer Gräfin verkündigten, einer liebenswürdigen schlesischen Gräfin.

Wie gesagt, bis zu diesem Augenblicke konnte man Schnapphahnski nicht den geringsten Vorwurf machen: er liebte und er ward geliebt, er küßte und er wurde geküßt.

Der edle Ritter war aber nicht zufrieden mit dem Schicksal gewöhnlicher Sterblicher; abenteuerlich juckte es in seinen Knochen; er überredete die Gräfin zur Flucht, er entführte sie. – Der Ritter stand also in der dritten Phase seines Unternehmens. Zuerst geliebt, dann geküßt, und nun entführt. – Alle Ehemänner werden ihn des letztern wegen ernstlich tadeln; so etwas ist unhöflich; ein Weib entführen: das ist nicht recht; einen armen Ehemann mit seinen Hörnern und mit seinem Gram allein zurückzulassen, das ist hartherzig und unpolitisch; namentlich unpolitisch, denn wollte man jede Helena entführen, wie viele Städte würden da nicht das Schicksal Trojas teilen? welches Elend würde über die Welt kommen? Paris, Wien und Berlin würden in Rauch und Flammen untergehen – aller Spaß hörte auf, mit den Nationalversammlungen hätte es ein Ende, und mancher edle Ritter Schnapphahnski würde vergebens seine Beredsamkeit an den Mann zu bringen suchen.

[301] Aber unser brauner Husar mit den prallen jugendlichen Schenkeln und den lüsternen Augen dachte weder an die Vergangenheit noch an die Zukunft, als er die schlesische Helena lächelnd hinauf in den Wagen hob, um eiligst das Weite zu suchen.

Weshalb sollte er auch an die Zukunft denken? War die Gegenwart nicht schön genug? Ach, so herrlich fuhr es sich an der Seite des himmlischen Weibes. Die Vögel sangen, die Blumen schauten verwundert zu den Liebenden empor, und die Rosse trabten hinweg ventre à terre, und ihre Mähnen flatterten im Winde.

Die Küsse, die man in solchen Augenblicken küßt, müssen nicht mit Millionen zu bezahlen sein. Glücklicher Schnapphahnski! Während er die Lust des Daseins schmeckte, lief dem geprellten Ehemanne gewiß bei jedem Kusse, ohne daß er wußte weshalb, ein eisiges Frösteln über den Nacken.

Wo war doch dieser Ehemann? Es ist wirklich merkwürdig, die Ehemänner sind tausendmal zu Hause, wenn es sich um eine wahre Lumperei handelt, aber der Teufel weiß, wie es kommt, daß sie stets ab wesend sind, wenn es sich um ihre Frisur dreht.

Wer weiß, was aus der Frisur des Grafen S. geworden wäre, wenn nicht der Kutscher der Liebenden, ein tressengeschmückter Kerl mit gewichstem Schnurrbart und schrägsitzendem Hute, plötzlich die Zügel der Rosse fest angezogen und, vom Bock hinunter und an den Wagenschlag springend, dem schönen Paris, dem braunen freiwilligen Husaren Schnapphahnski mitgeteilt hätte, daß ganz gegen die Fabel der ehrenwerte Ehemann, der Herr Menelaos, der Graf S., soeben im Begriff sei, ihnen aufs gemächlichste entgegenzureiten.

[302] Man kann sich die Stimmung Schnapphahnskis denken; er begriff nicht, wie die unsterblichen Götter so unverschämt sein konnten, dem lustigsten Husaren ganz Schlesiens auf so erbärmliche Weise in den Weg zu treten. Aber in den gefährlichsten Momenten zeigt sich die Bravour eines sinnreichen Junkers am eklatantesten.

»Gräfin«, sprach er zu der zitternden Helena, »ich werde dich ewig im Herzen tragen. Aber so wahr ich Schnapphahnski heiße und vom reinsten preußischen Adel bin: höhere Rücksichten gebieten mir, in diesem Augenblicke auf dich zu verzichten, damit nicht aus deinem Raube ein zweiter Trojanischer Krieg entspringe, städteverwüstend und hinraffend der Edlen viel aus der preußischen Heerschar. Steige daher hinab auf die Landstraße, wo dich ein zärtlicher Gatte mit den liebenden Armen umfangen wird, um dich zurückzuführen gen O. in Schlesien, wo das 4. Regiment der braunen Husaren steht, ein Regiment, dem ich auf ewig Lebewohl sage.«

Schnapphahnski schwieg, und sein Herz klopfte wilder – der Herr Menelaos kam immer näher. Mochte die Träne von den Wimpern der schönsten aller Frauen rieseln – galant bot ihr der kühne Ritter den schützenden Arm und hob sie hinab.

Schnapphahnski selbst kehrte aber zurück in die harrende Karosse; der Kutscher strich seinen Bart und:

»Treibend schwang er die Geißel, und rasch hin trabten die Rosse« –

und Schnapphahnski ward nicht mehr gesehen.

Was sagen meine Leser zu dieser Geschichte? Ist sie nicht wert, von einem preußischen Homer besungen zu werden?

Der Raub der Helena unterscheidet sich von dem Raub [303] der Gräfin S. nur durch die Pointe. Der erstere endete damit, daß Troja in Flammen aufging, der andere fand darin seinen Schluß, daß der Graf S., indem er seine Gemahlin nach Hause zurückführte, den jungen Schnapphahnski den – Stöcken seiner Lakaien empfahl.

Armer Schnapphahnski! – Rächenden Gespenstern gleich stehen hinfort die Bedienten des Grafen S. vor der Seele des irrenden Ritters. In der Stille des Gemaches, in dem Lärm der Gassen hat er keine Rast und keine Ruh. – O die Bedienten des Grafen S.! O die verfluchten Lakaien aus O.! Die Jahre sind geschwunden, und glücklich würde Schnapphahnski sein – sitzt er nicht endlich mit den Männern des Jahrhunderts auf ein und derselben Bank? lauscht nicht ein ganzes Volk seinen tönenden Worten? Aber ach, will er sich seines Schicksals freuen, da zuckt er, da schrickt er zusammen, denn sieh, durch das Wogen der Versammlung, über die Köpfe seiner Bewundrer schaut es plötzlich wie ein Gesicht aus O., wie ein Bedienter des Grafen S. – und tief verhüllt der edle Ritter sein erbleichendes Antlitz.

2. Troppau

II
Troppau

Zu den Eigenschaften eines Ritters ohne Furcht und Tadel gehört nicht nur ein kleiner Fuß, eine weiße Hand, ein kohlschwarzer Schnurrbart, ein herausforderndes Profil, eine halbe Million, ein Dutzend Liebschaften – nein, auch ein Duell.

Ein glücklich überstandenes Duell verleiht dem Menschen einen eigentümlichen Reiz. Ich rate einem jeden, [304] sich wenigstens einmal in seinem Leben auf 14 Schritt mit Pistolen zu schießen. Das ist eine herrliche Sache. Die Frauen werden ihm artiger und die Männer werden ihm höflicher entgegenkommen. Man weiß, er hat seine Sporen verdient, er hat den Kugeln getrotzt, er hat sich als Mann gezeigt – kann man den Frauen ein größeres Vergnügen machen, als wenn man ihnen beweist, daß man ein Mann ist?

So auch dachte der Ritter Schnapphahnski, als er nach seinem unsterblich schönen Abenteuer mit der Gräfin S. wohlweislich den Weg zwischen die Beine nahm und sich auf eine unglaublich schnelle Weise aus dem Staube machte. Halte Gott vor Augen und im Herzen! heißt es in der Bibel. Halte die Lakaien des Grafen S. vor Augen und im Herzen! summte es in die Ohren Schnapphahnskis. Er sah ein, daß ihm in Schlesien weder Rosen noch Lorbeeren, sondern nur Hasel- und Heinebüchenstöcke sprießen würden, daß er in der Gegend von O. nie auf einen grünen Zweig kommen, sondern daß die grünen Zweige oder vielmehr die grünen Prügel nur auf ihn herunterkommen würden, und er zweifelte aus diesem Grunde daran, daß er es länger als Freiwilliger des 4. (braunen) Husarenregiments in O. aushalten könne, und, mit einem Worte, der edle Ritter entfernte sich, Schnapphahnski nahm reißaus.

Ach! Noch so jung und doch schon so unglücklich! Der edle Ritter hätte über sich selbst weinen mögen. Aber was war gegen das häßlich-unerbittliche Schicksal zu machen? Der allmächtige Schöpfer Himmels und der Erden kann das Geschehene nicht ungeschehen machen; selbst der Kaiser Nikolaus ist ohnmächtig in diesem Punkte ... Schnapphahnski begriff, daß er die schöne [305] Gräfin S. keck entführt und daß er sie feige verlassen hatte. Die Schande stand über seinem Leben so offenbar, wie die Sonne leuchtend über der Welt steht, und es handelte sich nur noch darum, wie man diese Sonne der Schmach am besten in den undurchdringlichsten blauen Dunst der Lüge verstecken könnte.

Ein Mann wie Schnapphahnski, wenn er eine Flasche Champagner getrunken, drei Zigarren geraucht und sich sechsmal verliebt im Spiegel angesehen hat, ist nie um eine erbauliche, glaubhafte Lüge verlegen.

Der edle Ritter war keineswegs ein solcher Narr, daß er schon von vornherein an seinem erfinderischen Haupte verzweifelte. »Bin ich nicht Schnapphahnski, ein Mann wie ein Engel?« rief er, den jugendlichen Schnurrbart streichend und das ganze Firmament messend mit den flammenden Blicken. Unser Ritter hatte recht. Gewandt und hübsch machte er aus dem Abenteuer mit der Gräfin S. die schönste Duellgeschichte, eine Geschichte, so verwickelt, so verteufelt verzwickt, daß zuletzt niemand mehr daraus klug wurde – die Lakaien des Grafen S. ausgenommen. Die überstandene Gefahr eines erlogenen, aber nichtsdestoweniger frech ausposaunten Duells sollte die nackte Schmach eines feigen Entrinnens in etwa verhüllen. Die Welt sollte glauben, daß der edle Ritter unglücklich geliebt und daß er sich furchtbar geschossen habe – mit einem Worte, Schnapphahnski tat alles, was ein ehrlicher Mann tun kann, um aus einer schlechten Sache eine brillante Historie zu machen, und keck stürzte er sich wieder in den Strudel der vornehmen Welt – natürlich eben nicht in der Nähe der Lakaien des Grafen S.

Mit ihrem Erfinder reiste auch die Fabel in die Welt hinein, und wie sie von Mund zu Munde ging, da nahm [306] sie natürlich auch an Abenteuerlichkeit zu, so daß unser Schnapphahnski nach kaum einem Vierteljahre schon weit und breit als einer der wütendsten Raufbolde, als einer der schrecklichsten Duellanten seiner Zeit bekannt war.

Unser Ritter war glücklich; aber ach, er hatte vergessen, daß es nichts Gefährlicheres auf Erden gibt als Ruhm. Unberühmte Leute können die besten Gedichte machen, die schlechtesten Prozesse gewinnen und die ausgezeichnetsten Reden halten: man verzeiht ihnen das alles; aber wehe dir, wenn du ein bekanntes Haupt bist, da paßt man dir auf die Finger, und du magst dich drehen und wenden, wie du willst, es sitzt dir irgendein Teufelskind im Nacken und erinnert dich daran, daß du ein sehr sterblicher und vergänglicher Mann bist.

Der edle Ritter Schnapphahnski fand sein Teufelskind, den Kobold seines Lebens, in einem gewissen Grafen, in einem Manne, der zeit seines Lebens die Menschen lieber lebendig als tot fraß, lieber mit Haut und Haar als gestooft oder abgekocht, lieber roh und ohne alle Zutat als mit Essig, Öl, Pfeffer, Salz und Mostert. Graf G. ist womöglich noch einer der kühnsten und ehrlichsten Degen, die der preußische Adel aufzuweisen hat; ein Mann, der auf seinem Roß die steilste Treppe hinangaloppiert, der seine Pistole so sicher schießt wie der alte Lederstrumpf seine lange Flinte und der den Säbel mit einer solchen Gewissenhaftigkeit zu führen weiß, daß ich ihn, nämlich den Herrn Grafen G., hierdurch aufs höflichste gebeten haben will, mir doch stets drei Schritte vom Leibe zu bleiben, sintemalen ich nicht die geringste Lust verspüre, ihm zu fernerer Erprobung seines schauerlichen Handwerks an meinem Leibe Gelegenheit zu geben.

[307] Graf G. hörte von den Taten Schnapphahnskis, und es versteht sich von selbst, daß ihn sofort die Eifersucht stachelte, um aus der Haut zu fahren, um verrückt zu werden. Überall, wo er ging und stand, immer Schnapphahnski und ewig Schnapphahnski! Graf G. geriet zuletzt in ein wahres Delirium, in einen St. Veitstanz, wenn man ihn nur im entferntesten an unsern Ritter erinnerte; seine Hengste spornte er blutig, er prügelte Hunde und Bediente, und alles nur wegen des verfluchten Schnapphahnski.

Am allerbegreiflichsten ist es indes, daß Graf G. zuletzt keinen anderen Wunsch mehr auf Erden kannte, als unserm Ritter einmal auf den Zahn zu fühlen.

Leider wollte sich hierzu aber nie eine Gelegenheit finden. Schnapphahnski war der liebenswürdigste Mensch von der Welt, betörend bei den Weibern und schlau bei den Männern. Er war allmählich zu der Überzeugung gekommen, daß das Leben kostspielig ist, sehr kostenspielig. Trotz aller äußern Bravour glaubte er in der Tiefe seiner Seele an den 10. Vers des 90. Psalms, wo da geschrieben steht, daß unser Leben siebenzig Jahre währt, und wenn's hoch kommt achtzig, und daß es köstlich gewesen ist, wenn es Mühe und Arbeit gewesen, und daß es schnell dahinfährt, als flögen wir davon.

Dachte er aber gar an den Grafen G., so ging es ihm nicht anders wie mir: er hätte sich lieber mit dem Pferdefuß des Satans herumgeschlagen als mit der Klinge jenes fürchterlichsten aller modernen Menschenfresser.

Aber was hilft es, wenn die Unsterblichen nun einmal beschlossen haben, daß einem das Schicksal ein Bein stellen soll?

Schnapphahnski hatte eines Abends die Unvorsichtigkeit [308] begangen, seinem treuesten Freunde unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit mitzuteilen, daß die Schwester des Grafen G. – – meine Leser müssen entschuldigen, wenn ich ihnen eine der galantesten Lügen neuerer Zeit nicht zu wiederholen wage – genug, unser Ritter ließ sich durch seine Phantasie zu einer Mitteilung verleiten, die, eben weil sie unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit geschah, auch schon am nächsten Morgen von dem treuesten aller Freunde dem Grafen in ihrer ganzen Frische wieder überbracht wurde.

Graf G. fluchte wie ein Christ und wie ein Preuße. Er nahm seinen Säbel von der Wand, und er nahm seine Pistolen – o armer Schnapphahnski! Doch was soll ich weiter erzählen? Es versteht sich von selbst, daß Graf G. in der Wohnung unseres Ritters eher den Vater Abraham hätte antreffen können als den Herrn von Schnapphahnski.

Ja wahrhaftig, wie der edle Ritter einst dem ehrenwerten schlesischen Menelaos die Landstraße geräumt und die liebenswürdigste Frau überlassen hatte, so ließ er diesmal dem kriegerischen Grafen G. die Überzeugung zurück, daß ein Mann wie Schnapphahnski eine viel zu feine Nase hat, um nicht das Pulver auf wenigstens tausend Schritt zu riechen – mit einem Worte: Mensen Ernst hätte nicht schneller davonlaufen können als der berühmte Ritter Schnapphahnski.

Die böse Welt erzählt von einer großen unerbittlichen Hetzjagd, die jetzt ihren Anfang nahm. Fabelhaft war die Wut des Grafen G., aber noch unglaublicher war die Eile des Ritters Schnapphahnski. Wie die brennende Sonne den bleichen Mond verfolgt, so folgte der zornglühende Graf dem angstblassen Ritter. Da war kein Hotel, [309] kein Salon zwischen Dresden, Berlin und Wien, da war kein Ort in dem ganzen östlichen Deutschland, der nicht untersucht wurde, in dem man sich nicht aufs angelegentlichste nach Sr. Hochgeboren, dem Ritter Schnapphahnski, erkundigte. Doch die Distanz wurde immer kleiner; immer näher rückte der Graf auf des Ritters Pelz – in Troppau in Östreich stehen unsere Helden endlich mit den krummen Säbeln in den Fäusten einander gegenüber.

Der edle Ritter kann seinem Schicksal nicht mehr entrinnen. Graf G. versteht keinen Spaß. Der Kampf beginnt. Seit Sir John Falstaff auf der Ebene von Shrewsbury mit dem Schotten Douglas aneinander war, gab es kein so famoses Treffen mehr auf der Welt als das unserer Helden in Troppau.

»So fiel ich aus, und so führt ich meine Klinge!« hatte der edle Ritter manchmal renommiert, wenn er den Damen seine Abenteuer schilderte. Jetzt war die Stunde gekommen, wo er das in der Tat und in der Wahrheit durchmachen sollte, was er früher so oft im Geiste und in der Lüge erlebte.

Schnapphahnski empfahl sich dem allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erden, er setzte den einen Fuß vor, er erhob den Säbel, und die Paukerei ging los. Graf G. schlug drein wie der leibhaftige Teufel. So ein Eisenfresser hat kein Mitleid – armer Schnapphahnski! Der edle Ritter fühlt, daß er es mit dem Bruder einer schönen Schwester zu tun hat, aber er wehrt sich, so gut er kann. Da fehlt er zum ersten Male, und die Klinge seines Gegners fährt ihm über den Leib, so nachdrücklich, so impertinent unhöflich, daß Graf G. nicht anders meint, als daß der Ritter ins Gras beißen und das Zeitliche segnen müßte. Schnapphahnski denkt aber nicht daran; ein [310] leises Frösteln rieselt ihm über den Nacken, er schüttelt sich, und wiederum steht er da in der alten Parade: »So fiel ich aus, und so führt ich meine Klinge!«

Graf G. macht da den zweiten Ausfall; abermals klirren die Säbel, und zum zweiten Male besieht unser Schnapphahnski einen Schmiß, der dem besten Korpsburschen Heulen und Zähnklappen verursacht haben würde, vor dem unser Ritter aber nur leise stutzt und momentan zurückweicht, um sich sofort wieder zu sammeln und seine frühere Stellung einzunehmen. Graf G. ist über das zähe Leben seines Feindes nicht wenig erstaunt; er kennt doch die Force seines Säbels, er weiß, was in frühern Jahren seinen Hieben zu folgen pflegte, und schäumend vor Wut, daß seine besten Schläge ohne Erfolg bleiben, stürzt er zum dritten Male in den Kampf, und wiederum rasseln die Klingen, daß die Lüfte schwirren, daß allen beiden Kämpfern Hören und Sehen vergeht.

Da trifft der Säbel des Grafen zum letzten Male, und Schnapphahnski taumelt totenbleich zu Boden – o armer Mann! Die Klinge hat den Kopf nicht berührt, sie machte eine Reise über Schulter und Brust, die Kleider hängen in Fetzen herunter – o unglückseliger Ritter! Fallen in der Blüte der Jugend, ein Mann, so schön und so glücklich – es ist hart! Da kniet der Graf an seinem Opfer nieder und reißt die Kleider seines Gegners auf; er erwartet nicht anders als eine klaffende Wunde von ein bis zwei Zoll, es wundert ihn, daß nicht das Blut schon hervorspritzt. Da ist er mit dem Losknöpfen des Rockes fertig, zu seinem Entsetzen zieht er – ein nasses seidnes Sacktuch aus dem Busen seines Feindes. Er weiß nicht, was dies bedeuten soll; noch immer kein Blut; er greift abermals zu – ein zweiter Foulard! Zum dritten Male [311] untersucht er – ein drittes Sacktuch! Und so: ein, zwei, drei, sechs, acht, zieht der erstaunte Graf einen nassen Lappen nach dem andern vom Körper des Ritters, bis zuletzt unser guter Schnapphahnski, seiner Hülle bar, als ein vollkommen unverletzter, höchst liebenswürdiger junger Mann am Boden liegt. – O Reineke, Reineke! O berühmter Ritter Schnapphahnski! Du hattest dein zweites Abenteuer überstanden. Zuerst die Gräfin S., und dann der Graf G. O denke an die Lakaien zu O. in Schlesien, o denke an das Duell von Troppau!

Man erzählt, Graf G. sei unwillig aufgesprungen; er habe ausgespuckt, sich auf sein Pferd geworfen und das Weite gesucht. Schnapphahnski gewann nach einiger Zeit die Besinnung wieder; er sammelte die umherliegenden Tücher und steckte sie vorsichtig in die Taschen. Sein Bedienter brachte ihn, leiblich sehr erschöpft, aber geistig ungemein heiter, in die nächste Herberge.

3. Berlin

III
Berlin

Nach dem Abenteuer in Troppau treffen wir Herrn v. Schnapphahnski zunächst in Berlin. Eine interessante Blässe lagert auf seinem Gesicht, und es versteht sich von selbst, daß der schöne schwarze Bart des Ritters dadurch nur um so vorteilhafter ans Licht tritt. In Schlesien war unser Ritter ein verliebter Husar, in Troppau erscheint er als renommierender Duellant – in Berlin ist er Flaneur.


»Salamankas Damen glühen,
Wenn er durch die Straßen schreitet,
[312]
Sporenklirrend, schnurrbartkräuselnd,
Und von Hunden stets begleitet.«

Gibt es etwas Schöneres als Flanieren? Der Hauptreiz des süßen Nichtstuns besteht übrigens nicht darin, daß man überhaupt sporenklingend und schnurrbartkräuselnd durch die Straßen schreitet, sondern daß man gerade dann flaniert, wenn alle andern Leute wie die lieben Zugstiere arbeiten müssen.

Ich bin fest davon überzeugt, ein westindischer Pflanzer fühlt sich nicht nur deswegen so wohl in seiner Haut, weil er jedes Jahr an seinen Plantagen diese oder jene Summe profitiert, nein, sondern nur aus dem Grunde scheint ihm das Leben um so wonniger, weil er eben dann recht wohlgefällig seine Havanna-Zigarren rauchen kann, wenn um ihn her die schwarzen Afrikaner in der Glut der Sonne und unter der Wucht der Arbeit zu vergehen meinen.

Hole der Teufel die Flaneure und die westindischen Pflanzer. Die Proletarier werden einst die erstern und die Sklaven die letzteren totschlagen. Ja, tut es! Es ist mir ganz recht – aber nur einen verschont mir: den Ritter Schnapphahnski!

Unser Ritter gefiel sich in Berlin ausnehmend. Nichts konnte natürlicher sein. Berlin, die Stadt, wo sich der Tee und das Weißbier den Rang streitig machen, wo die schönsten Gardeoffiziere und die schönsten Frauen in schlanken Taillen wetteifern und wo jeder Eckensteher wenigstens etwas Bildung besitzt, wenn auch nur für einen Silbergroschen – Berlin war der Ort, wo unser Ritter am ersten hoffen durfte, eine vermehrte und verbesserte Auflage seiner Blamagen erscheinen zu sehen.

[313] Schnapphahnski war allmählich in der Liebe Gourmand geworden. Die süße, sanfte Unschuld hatte er satt. Er sehnte sich nach weiblichem Kaviar – – ein Blaustrumpf, eine Emanzipierte, eine Giftmischerin! – es war unserm Ritter einerlei. Nur starker Tabak, nur Furore!

Man begreift solche Gelüste, wenn man bedenkt, daß der edle Ritter nach der letzten Affäre in Troppau wenigstens für ein ganzes Jahr so blasiert war wie eine kranke Ente.

Der Zufall wollte es, daß die Augen Schnapphahnskis auf die göttliche Carlotta fielen ... Er hatte gefunden, was er suchte. Nichts konnte erwünschter sein als ein Roman mit einer geistreichen Schauspielerin, und nun vor allen Dingen die Bekanntschaft mit einer Carlotta, die gerade damals in das Nachtgebet jedes Gardelieutenants eingeschlossen wurde, deren Besitz nicht mit einer Million aufzuwiegen war! Schnapphahnski hatte nicht so unrecht.

Der Besitz einer Schauspielerin hat darin sein Pikantes, daß man in ihr das besitzt, was allen Menschen gehört. In einer Schauspielerin umarme ich gewissermaßen die Lust und die Freude einer ganzen Stadt, eines ganzen Landes, eines ganzen Weltteils. Nichts ist begreiflicher, als daß Herr Thiers eine Rachel liebt – –

Dieselbe schneeweiße Hand, die nach dem Fallen des Vorhanges noch vor allen Blicken flimmert: ich darf sie zu süßem Kuß an meine Lippen drücken; derselbe kleine Fuß, der noch durch das Gedächtnis von tausend Rivalen schreitet: ich darf ihn ruhig und siegesgewiß betrachten, wenn er gleich einem seligen Rätsel unter dem Saum des Kleides hervorschaut oder vor der Glut eines Kamines zu einsamen Scherzen seine lieblichen Formen zeigt. Eine [314] Carlotta, eine Rachel, eine Donna Anna oder eine Donna Maria unter vier Augen ist ein Triumph über die Jeunesse dorée von halb Europa.

Konnte es anders sein, als daß unser Lion Schnapphahnski sofort den Entschluß faßte, das Herz Carlottens zu erobern, koste es, was es wolle? Er machte sich auf der Stelle an die Arbeit. Zur Belagerung eines Herzens gehört der gewohnte Kriegsapparat. Ein paar Tausend Seufzer und einige Hundert Wehs und Achs dringen gleich zitternden Truppen zuvörderst auf den Gegenstand der Blockade ein. Als Faschinen, zum Ausfüllen hinderlicher Sümpfe und Gräben, bedient man sich einiger Dutzend Veilchen-und Rosensträuße. Das Trompetensignal des Angriffs besteht aus einem Ständchen von Flöten und Fiedeln, dem man indes noch eine Aufforderung zur Übergabe in möglichst gelungenen Stanzen und Sonetten vorhergehen läßt. Sieht man, daß mit Güte nichts auszurichten ist, so wirft man einige Brandraketen in Gestalt der glühendsten, verzweifeltsten Blicke und läßt, je nachdem es ist, auch das schwere Geschütz der herzinnigsten Flüche und Verwünschungen mitspielen. Hat man den Angriff eine Zeitlang unerbittlich fortgesetzt, so macht man einmal eine Pause und läßt durch einige Boten, die gleich krummen Fragezeichen um die Mauern der Geliebten schleichen, bei irgendeiner alten Tür- oder Torwächterin die Erkundigung einziehen, ob die hartnäckige Schöne nicht bald Miene mache, das Gewehr zu strecken. Wird dies verneint, so beginnt man das Feuer wütender als je zuvor. Man schwört bei allen Göttern, daß man sich eher selbstmorden, ja, daß man lieber wahnsinnig werden wolle, als von seinem Verlangen abstehen, und man gebärdet sich auch sofort [315] wie ein betrunkener Täuberich und ruht nicht eher, als bis man Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt und sich ruiniert hat an Witz, Leib und Beutel.

Schnapphahnski belagerte seine Carlotta mit einer wahrhaft horntollen Beständigkeit.

Aber ach, es war alles umsonst. Der edle Ritter seufzte seine besten Seufzer, er warf seine glühendsten Blicke, er erschöpfte »seine ganze Kriegeskasse«, und doch sah Carlotta noch immer von der Bühne hinab in das Parkett, wo stets an derselben Stelle, rein aus Zufall, ein wahrer Adonis von einem Gardeoffizier stand und mit der lebendigen Künstlerin das Kreuzfeuer der verliebtesten Blicke führte.

Da sammelte der edle Ritter seine Gedanken um sich wie einen Kriegsrat und beschloß, die Belagerung aufzuheben. Man glaube indes ja nicht, daß Herr von Schnapphahnski ein solcher Narr gewesen wäre, um rein als Geprellter von dannen zu ziehen. Gott bewahre! Der Mann, der die Gräfin S. auf der Landstraße aussetzte und die Hiebe seines Gegners mit nassen Sacktüchern parierte, er wußte auch jetzt seine Ehre zu retten.

Tiefsinnig schritt er Unter den Linden auf und ab, und nachdem er einen Morgen und einen Nachmittag mit sich zu Rate gegangen war, ließ er plötzlich am Abend anspannen und seinen leeren Wagen vor das Hotel Carlottens fahren.

Der Wagen stand dort den Abend, er stand die Nacht hindurch, und er stand bis zum Morgen. Ruhige Bürger, die eben nicht ganz auf den Kopf gefallen waren, stießen einander an, wenn sie die Karosse sahen, und blickten dann schmunzelnd hinauf zu dem Fenster der Künstlerin.

[316] Naseweise Literaten und spitzfindige Justizräte schauten sogar auf das Wappen und die Livree des Kutschers, indem sie bedenklich die Köpfe schüttelten und dann mit allerlei kuriosen Gesprächen nach Hause schritten. Einige Offiziere stutzten aber erst vollends. – Zufällig war unter ihnen auch jener Adonis aus dem Parkett des Schauspielhauses! Er weiß nicht, was er sieht, er reibt sich die Augen, er fühlt an seinen Kopf, um sich davon zu überzeugen, ob ihn das Schicksal wirklich mit einem jugendlichen Hornschmuck geziert hat, und den Säbel in der Faust, dringt er dann in Carlottens Wohnung. – –

Er findet die Künstlerin mutterseelenallein in ihrem Zimmer – sie empfängt ihren Adonis, wie es einer Venus zukommt.

Erst mit dem Morgenrot ist die Karosse Schnapphahnskis verschwunden. Berlin erwacht zu geschäftigem Treiben. Trödler und Eckensteher murren über das Pflaster; Karren und Droschken rasseln vorüber; Handwerker und Kaufleute eilen an ihre Arbeit, und fast der einzige Mensch, der erst sehr spät und äußerst langsam in die Stadt hinunterflaniert, das ist wieder niemand anders als unser berühmter Ritter Schnapphahnski. – –

Er sieht etwas leidend und angegriffen aus; seine Augen glänzen feucht-melancholisch, und der schöne Kopf mit dem feinen Hute hängt sinnend hinab auf die seufzerschwere Brust. Da schleicht der Ritter nachlässig scharwenzelnd in den nächsten Salon und wirft sich gähnend auf den Diwan. »Teurer Ritter, auf Ehre, was fehlt Ihnen?« fragen einige Bekannte, als sie ihren Freund in so weicher, schmerzlicher Stimmung sehen. Keine Antwort. Die Lippen Schnapphahnskis umspielt ein mildes Lächeln. »Auf Seele, Ritter«, fährt man fort, »es scheint [317] Ihnen etwas Ungewöhnliches passiert zu sein!« Schnapphahnski reckt einmal alle Glieder. Eine halbe Stunde verstreicht so, da hat der Ritter die Aufmerksamkeit seiner liebenswürdigen Umgebung bis aufs höchste gesteigert; aufs neue bestürmt man ihn mit Fragen, er kann nicht mehr widerstehen, und gleichgültig wirft er die Worte »die vorige Nacht« – »bei Carlotta« hin, und rings entsteht das freudigste, interessanteste Erstaunen!

Man sieht, die Aventüren unseres Ritters werden immer delikater. Zuerst eine wirkliche Liebschaft, die zwar mit der erbärmlichsten Pointe schließt, deren eine Liebschaft fähig ist, die aber wenigstens bis zum Augenblick der Pointe alle süßen, schauerlichen Phasen durchmacht und den Eindruck bei uns zurückläßt, daß es dem edlen Ritter wenigstens einmal in seinem Leben gelang, eine Frau zu erobern und ein Herz zu besitzen. Schade, daß die Stöcke der Lakaien des Grafen S. sich an dieses erste Abenteuer reihen!

Dann die zweite Aventüre. Sie drehte sich ebenfalls um das schöne Geschlecht. Der Ritter besitzt aber schon nicht mehr, nein, er intrigiert nur. Die Sache läßt sich aber trotzdem noch hören, weil ein Duell daraus entsteht, ein Duell mit einem Grafen G., einem wahren Eisenfresser, ein Duell mit krummen Säbeln, und wir sind schon auf dem Punkte, uns mit der Geschichte zu versöhnen, als plötzlich jene erbauliche Wendung mit einem halben Dutzend nasser Sacktücher eintritt und wir nur zu sehr fühlen, daß der Ritter eine bedeutende Stufe gesunken ist.

Doch ach, jetzt die dritte Affäre mit Carlotta! Zu dem Ekel, den uns das galante Malheur Sr. Hochgeboren verursacht, gesellt sich der bedauerliche Eindruck der gewöhnlichsten [318] Lügen, der blassesten Renommage. Wir sehen den Ritter auf dem Diwan liegen, umringt von jungen Offizieren, den physischen Katzenjammer der Liebe heucheln – und es wird uns traurig zumute!

Aber so war es. Wer weiß, inwieweit es Herrn von Schnapphahnski gelungen wäre, seine Umgebung zu täuschen und jenes selige Ermatten einer glücklichen Nacht täuschend nachzuahmen, wenn sich nicht plötzlich der süße Adonis Carlottens an der andern Seite des Salons emporgerichtet und den renommierenden Ritter, seiner erbärmlichen Lüge wegen, ohne weiteres auf Pistolen gefordert hätte. Was sollte unser Ritter tun? Er fühlte, daß er wieder einmal eine Stufe sinken müsse; er wußte aus eigener Erfahrung, daß er im Duell eben kein Heros war, und die Lust des Lebens und die Hoffnung einer besseren Zukunft in Erwägung ziehend, entschloß er sich daher, eine gute Miene zu dem bösen Spiel zu machen und in Gegenwart sämtlicher Offiziere die schriftliche Erklärung abzugeben, daß er der gröbste Lügner sei und aufrichtig bedauere, die Reize der schönen Carlotta durch das Manöver mit dem leeren Wagen auf so unnötige Weise verdächtigt zu haben.

Diese Erklärung des berühmten Ritters Schnapphahnski befindet sich noch heutigen Tages in dem Archiv eines der Berliner Gardeoffizierkorps.

4. Die Diamanten

IV
Die Diamanten

Treue Freunde des Ritters Schnapphahnski, bedauern wir mit ihm die harte Prüfung, die das Schicksal infolge [319] jenes bekannten Abenteuers mit der göttlichen Carlotta über ihn verhängte. Die Moral der Geschichte war, daß weder mit einem schönen Frauenzimmer noch mit einem Gardeoffizier zu spaßen ist und daß man nicht den Wüstling und den Bramarbas herausbeißen soll, wenn man wirklich nur ein so unschädlich liebenswürdiger Mann wie der Ritter Schnapphahnski ist. Der Adonis Carlottens, der Gardelieutenant v.W.-M., dessen tugendhafte Entrüstung wir nicht genug anerkennen können, war schuld daran, daß unser Ritter für einige Zeit die Einsamkeit suchte, um in stillen Betrachtungen jene Ruhe des Gemütes wiederzufinden, die er auf so leichtsinnige Weise verscherzt hatte. Zu der Furcht vor den Lakaien aus O. und zu den unangenehmen Erinnerungen aus Troppau gesellte sich nun noch die Angst vor dem verhängnisvollen Dokumente der Berliner Offiziere, und wir brauchen wohl nicht zu versichern, daß das eine oder das andere manchmal sehr störend auf die Morgenträume unseres Helden einwirkte. Der jugendlich kühne Flug unseres Ritters war gelähmt; wie mancher andere ehrliche Mann fühlte er allmählich, daß er dem Straßenkote näher war als den Sternen und daß der schöne schwarze Schnurrbart vielleicht das beste an dem ganzen Menschen sei. Diese und ähnliche melancholische Gedanken waren indes nur vorübergehend; der Ritter war von zu guter Rasse, als daß er das Leben nicht von der heitersten Seite aufgefaßt hätte.

Mag es dir noch so schlecht gehen, sagte er oft zu sich selbst, zum allerwenigsten kannst du doch noch immer ein ausgezeichneter Diplomat werden! Dies tröstete Herrn v. Schnapphahnski.

Wir werden später sehen, wie unser Ritter diesen[320] diplomatischen Gelüsten wirklich Luft machte. Ehe wir dazu übergehen, wollen wir ihm noch etwas durch die labyrinthischen Gänge seines Berliner Daseins folgen.

Wie gesagt, durchlebte der Ritter nach seiner letzten Prüfung eine Periode der Erniedrigung. Zuerst liebte er eine Gräfin, dann eine Carlotta, jetzt sollte er unter das Corps de Ballet geraten – – zwei leidliche Beine hatten Eindruck auf unsern Ritter gemacht. Wir bitten unsere Leser wegen dieser ungemeinen Wahrheitsliebe aufs demütigste um Verzeihung.

Die Beine des Balletts waren damals in Berlin en vogue. Der höchste Geschmack hatte sich dazu herabgelassen, und wir würden ein Verbrechen begehen, wenn wir nachträglich darüber spötteln wollten. Übrigens schwärmen wir selbst für den Tanz. Gibt es etwas Reizenderes als die süße Musik der Schenkel? Gibt es etwas Berauschenderes, als wenn eine Fanny Elssler ihre Bachschen Fugen, eine Taglioni ihre Beethovenschen Symphonien und eine Grisi ihre weichen, wollüstigen Donizettischen Arien tanzt? Jedesmal, wenn ich die Grisi sah, da war ich fest davon überzeugt, daß Gott den Menschen nur der Beine wegen geschaffen hat; gern hätte ich mich köpfen lassen; es wäre mir einerlei gewesen; ich hielt den Kopf für wertlos, und ich begriff nicht, weshalb die Beine nicht die Ehre haben, oben zu stehen, und weshalb der Kopf nicht nach unten geht – mit einem Worte: die Beine hatten meinen Verstand auf den Kopf gestellt. Ist es die Kraft des kleinen Fußes, aus dem das Bein so schlank emporsteigt wie ein Lilienstiel aus der Wurzel, der den ganzen Leib so graziös zu tragen weiß wie der Stamm einer Fächerpalme seine prächtig harmonische Krone – oder ist es der Schwung des ganzen Körpers, [321] wenn er in sanften Wellenlinien melodisch dahinschaukelt und all unsere Gedanken mit fortreißt in das wogende Meer der Sinnlichkeit, was uns dem Tanz einer Grisi mit wahrhaft religiöser Andacht zuschauen läßt? Ich weiß es nicht, aber ich danke dir, Mutter Natur, daß du nicht nur deine Vulkane ihre Flammen gen Himmel schleudern und deine tannenbewachsenen Felsen so herrlich mit blitzendem Schnee prangen läßt, sondern daß du auch Rosen und Lilien geschaffen hast, und ich liebe dich, weil du so graziös und so bezaubernd bist, herab von den ewigen Sternen, dort oben in dem Blau der Unendlichkeit, bis hinunter in die Fußspitze eines schönen Weibes.

Ähnliche wohlfeile Betrachtungen durchfuhren auch den Ritter Schnapphahnski, als er nach einigen aufmerksamen Studien, zwar nicht Helenen in jedem Weibe und nicht die Grisi in jeder Korpsspringerin entdeckte, wohl aber die Bemerkung machte, daß auch in der untern Sphäre der menschlichen Gesellschaft für Geld und gute Worte des Süßen viel zu erwarten ist. Es rieselt uns kalt über den Rücken – – zum ersten Male müssen wir von Geld und zugleich von Liebe sprechen. Ja wahrhaftig, wir sehen unsern Ritter abermals eine Stufe hinabrutschen – was ihm früher die Götter aus freien Händen gegeben: er kauft es!

Liebe kaufen! Gibt es etwas Gemeineres? Als einst am 1. Mai die Welt begann – ich glaube nämlich, daß die Welt am 1. Mai ihren Anfang nahm und nicht am 1. Januar, wie man fälschlich vermuten möchte, sintemalen die armen nackten Menschen, da sie nicht mit Stiefeln und Sporen auf die Welt kamen, ja im Januar sofort wieder erfroren wären – als, wie gesagt, die Welt [322] am 1. Mai ihren Anfang nahm und die goldne Sonne lachte und die Blumen dufteten und die Quellen rieselten, da sprach der Spatz zu der Spätzin: Spätzin, ich achte dich! Da sprach der Haifisch zu seinesgleichen: Fräulein Haifisch, ich verehre Sie! Da brüllte der Löwe zu der Löwin: Löwin, du gefällst mir! Und der Mann sprach zum Weibe: Frau, ich liebe dich! Das war eine schöne Hochzeit. Man trank Burgunder und aß Austern nach Herzenslust. Menschen und Tiere saßen in bunter Reihe, und als das Bankett vorüber war, da siedelten sich die Spatzen in den Lüften an, die Haifische im Wasser, die Löwen in der Wüste und die Menschen in Ninive, Babylon, Bagdad, Petersburg, Paris, Wien, Breslau usw. Lange Zeit ging dies gut. Die Männer fanden stets ihre Frauen und die Frauen ihre Männer, was die vielen artigen Buben und Mädchen bezeugen, die heuer in der Welt herumstreifen, und die Männer und die Frauen nahmen sich einander, wie es gerade kam, so und so.

Als dann aber mit der Zeit die Zahlen und das Geld erfunden wurden und das Wechselrecht und die politische Ökonomie und als die Menschen immer klüger und gescheiter wurden und folglich immer eitler und wählerischer, da hörten sie auch allmählich auf, sich so ohne weiteres zu lieben, und jeder trachtete nur danach, sich eine solche Frau zu verschaffen, wie sie gerade für seinen Beutel, für seine Wechsel oder für seine Ökonomie paßte. Mit einem Worte: Es stellte sich eine durch Interessen geregelte Nachfrage nach Menschen ein, der durch eine angemessene Zufuhr begegnet wurde. Der Weltmarkt der Heirat begann, die Männer und die Frauen fingen an, sich gegenseitig zu kaufen! – Von diesem Augenblick an kann man alles Unglück datieren. Die [323] Ökonomie war in die Liebe gefahren, der Mensch wurde ein Artikel, der nun hinfort von der Nachfrage und der Zufuhr abhing und alle Leiden der Überproduktion mit der Wolle, der Baumwolle, dem Flachs usw. teilte. Wer nicht ein verheirateter Gardemajor, ein Landgerichtsrat, ein Bankier, ein Bischof wurde, der sank zu einem Schneider, zu einem Steinklopfer, zu einem Tagelöhner oder dergleichen hinab, und die lieblichen Weiber, die keine Gräfinnen, Hauptmänninnen, Kaufmannsfrauen oder sonst etwas wurden, die endeten als Gemüseweiber, Bajaderen und mitunter auch als Ballettänzerinnen.

Eine solche, aus der Überproduktion hervorgegangene Ballettänzerin kaufte sich unser Schnapphahnski. Armes Kind! Wenn du getanzt hattest, so mußtest du lieben – weder aus Liebe tanzen noch aus Liebe lieben, sondern tanzen und lieben des lieben Brotes wegen – den Brottanz der Liebe!

Doch unser Ritter hatte ein ritterliches Herz. Eines Tages, als er die Reize seiner Schönen genugsam bewundert, als er ihren Fuß geküßt, ihre Taille umfangen und ihre schwarzen Flechten um die weiße patrizische Hand gewickelt hatte, da schwur er bei allem, was ihm heilig war, bei den Lakaien in O., bei dem Duell in Troppau und bei dem Hohnlächeln Carlottens, daß er ihr, seiner Tänzerin, einen Schmuck kaufen wolle, reich wie ihre Haarwellen, funkelnd wie ihre Augen und ihre schneidigen Zähne.

Hat ein Schnapphahnski je sein Wort gebrochen? Zum nächsten Juwelier ging er, und so wahr, wie er keinen Friedrichsdor in seiner Kriegeskasse hatte, kaufte er einen Schmuck, der einer Gräfin S., einer Schwester des Grafen G. oder einer Carlotta würdig gewesen wäre.

[324] Unser Ritter kaufte den Schmuck auf Kredit – – meine Leser werden begreifen, daß unser Ritter grade soviel Kredit hatte, wie ein Ritter ohne Furcht und Tadel haben kann – ein Ritter, der noch einmal Deputierter, Diplomat oder noch etwas Schlimmeres werden konnte. – – Auf Kredit kaufte der Ritter den Schmuck; nur muß ich noch bemerken, daß er ihn nicht auf seinen Namen kaufte, sondern auf den des unsterblichen Gottes Zeus Kronion!

Ja, auf Zeus Kronions Namen kaufte der Ritter die Diamanten, und der Hofjuwelier fand nichts Arges hierin. Er wußte sehr gut, daß Zeus Kronion die Tänzerinnen liebte. Auf Befehl des Ritters Schnapphahnski sandte der Juwelier den Schmuck, für Rechnung des unsterblichen Gottes, an die lieblichste der Tänzerinnen. Der Juwelier trug den Schmuck zu Lasten des Gottes in seine Bücher ein; die Tänzerin kreditierte für den Schmuck den Ritter Schnapphahnski. Kann es ein einfacheres Geschäft geben? Zeus Kronion war der einzige, der dabei zu kurz kam.

Überglücklich war aber die Tänzerin. Bisher hatte sie sich nur das liebe Brot ertanzt, jetzt einen demantenen Schmuck erliebt! Der Name Schnapphahnskis stand leuchtend in ihrem Herzen angeschrieben.

Doch überlassen wir die Tänzerin ihrer Freude an den blitzenden Steinen und den Juwelier seinem festen Vertrauen in die Solvabilität Kronions. Wir müssen nämlich darauf zurückkommen, daß der edle Ritter, während er auf der einen Seite alle Seligkeiten kostete, die ein Engel des Himmels nach dem Schluß der Oper zu bieten imstande ist, sich auf der andern ernstlich damit beschäftigte: einen Posten im diplomatischen Korps zu [325] erobern. Der edle Ritter sah ein, daß man nicht allein von der Liebe leben kann, sondern daß die Liebe sogar sehr kostspielig ist; selbst wenn man bei dem Hofjuwelier im Namen Gottes den unbeschränktesten Kredit genießt. Herr von Schnapphahnski besann sich daher, ob er außer seinen gesunden Lenden und außer seinem bewunderungswürdigen Schnurrbart nicht auch noch einige andere vorteilhafte Eigenschaften und namentlich soviel Grütze besäße, als man im schlimmsten Falle einem diplomatischen Kandidaten zutrauen möchte.

Nachdem er sich mehrere Tage lang den Kopf darüber zerbrochen hatte, fand er endlich, daß die heilige Wissenschaft leider keinen besondern Stapelplatz für ihre Schätze darin angelegt hatte. Sein Schädel war klar und durchsichtig wie eine leere Wasserflasche, und auf der kahlen Lüneburger Heide seines Gedächtnisses tummelte sich freilich manche galante Erinnerung herum, aber leider nichts von alledem, was die Natur dem Menschen zu erobern überlassen hat. Mit jener liebenswürdigen Frechheit, die einem Manne von Adel eigentümlich ist, griff unser Ritter daher in den großen Haufen der bürgerlichen Kanaillen, in die Reihen jener Lasttiere der Kunst und der Wissenschaft, die die imaginären Goldklumpen ihres Geistes hin und wieder in das preußische Kurant der Wirklichkeit zu verwechseln pflegen. Mit einem Worte, der Studiosus Pl–r war so gefällig, der unsterblichen Seele des Ritters mit einigen Probearbeiten zu Hilfe zu kommen, die sofort an den gehörigen Ort weiterbefördert wurden und natürlich für die enormen Kenntnisse des Ritters den unzweideutigsten Beweis lieferten.

Wer weiß, zu welchem Posten man den gelehrten[326] Ritter sofort erhoben hätte, wenn nicht plötzlich die frühern Aventüren Sr. Hochwohlgeboren auf eine sehr schauerliche Weise bekannt geworden wären! Schon ging man mit dem Gedanken um, den Ritter der Weltgeschichte zu übergeben, da ragten mit einem Male die Stöcke der Bedienten aus O. in Schlesien in die Szene hinein, da erklang der Hohn des Grafen G. und das glückliche Lachen Carlottens, und da kam, ach, auch der Juwelier und reichte allerhöchsten Ortes seine Rechnung ein, und die schöne Arbeit des Studenten Pl-r hatte wieder allen Wert verloren, und unser armer Ritter erhielt eine ebenso zarte als demütigend abgefaßte Zurückweisung.

Ja, die Diamantengeschichte des Ritters Schnapphahnski wurde stadtkundig; sie machte die Runde in den höchsten Kreisen. Die ewigen Götter zürnten erschrecklich. Zeus Kronion drohte mit Donner und Blitz, mit Magdeburg und Spandau, und wäre die arme Balletttänzerin, der verrauschten Liebe gedenkend, nicht so artig gewesen, den verhängnisvollen Schmuck aus übertriebener künstlerischer Hochherzigkeit freiwillig zurückzuerstatten, so hätte unser Ritter sehr wahrscheinlich einen Huissier ins Haus bekommen, und ach, seines Bleibens wäre vielleicht gewesen, wo da ist Heulen und Zähnklappen, Hafergrütze, Brot und Wasser.

Unser Ritter war jetzt wirklich »ein armer Ritter«; wie eine Brotscheibe, geröstet, in verdrießlichen Runzeln aus der Pfanne kommt, so taumelte unser Schnapphahnski vom Unglück gebraten höchst ärgerlichen Antlitzes zurück von dem Orte alles Heils, von dem Quell aller Ämter und Stellen. Finster schritt er nach Hause: er packte seinen Koffer, und sieh, ehe die Morgenröte [327] kam, lag auch schon Berlin hinter ihm, mit seinen Kirchen und Palästen, mit seinen Geheimräten und Eckenstehern, mit seinen Ballettänzerinnen und Juwelieren.

Die Franzosen würden in betreff dieses Diamantenabenteuers sagen: »Monsieur le Chevalier de Schnapphahnski avait frisé le code pénal.« Schnapphahnski reiste nach Spanien.

5. Spanien

V
Spanien

»Madrid, du Licht von Spaniens Talen,
In deinen tausend Feldern strahlen
Viel tausend Augen, schwarz und blau.
Du weiße Stadt der Serenaden,
Viel tausend kleine Füße baden
Sich nachts in deines Prados Tau!«

So sang es einst »der lose Spötter« Alfred de Musset, und so hat es Freiligrath ins Deutsche hinübergedichtet. Seit ich dies zum ersten Male las, kann ich Madrid nicht nennen hören, ohne an ein paar Tausend kleine weiße Füße zu denken, die durch das grüne tauige Gras hüpfen, bald sittsam verschwindend, bald lüstern wieder emportauchend und immer reizend verführerisch.

Es versteht sich von selbst, daß ich mir einbilde, alle schönen Frauen gingen barfuß in Spanien.

In das Land der tausend kleinen Füße, in das Land der spitzen Filzhüte, in das Land der spanischen Fliegen und der spanischen Erdbeeren, kurz, in das Land Spanien muß ich jetzt meine Leser führen, denn schon hat unser Ritter Schnapphahnski Berlin im Rücken, schon [328] hat er Belgien und Frankreich passiert, und schon steht er auf den Pyrenäen, um hinunterzuscharwenzeln in das Reich, wo jetzt der unschuldige König Paquo herrscht, der niemandem etwas zuleide tut, am wenigsten seiner – Frau.

Man reist nicht billiger und nicht schneller als in Gedanken. Ohne Kostenaufwand und ohne Zeitverlust habe ich meine Leser nach Spanien gebracht. Meine Leser sind mir für diese rasche Beförderung aufrichtigen Dank schuldig. Wie würden sie sich gelangweilt haben, wenn sie von deutschen Eisenbahnen auf die französischen Postwagen und dann von den französischen Postwagen auf die spanischen Maulesel gekommen wären – ja, meine Leser würden auf den Hund gekommen sein, wenn ich sie nicht vermöge meiner unendlichen Geschicklichkeit auf den Flügeln des Gedankens hinübergewiegt hätte in das Reich, wo außer Paquo auch jetzt die unschuldige Königin Isabella herrscht, die sich über niemanden zu beklagen hat, ausgenommen über ihren – Mann.

Paquo und Isabella, Isabella und Paquo, sie waren noch kein seliges Paar, als unser Schnapphahnski seine Reise antrat. Die unschuldige Isabella hatte damals den Herrn Paquo noch nicht von seiner schwachen Seite her kennengelernt; sie meinte nicht anders, als daß sie ebenso glücklich sein würde wie ihre Mutter, die Frau Munoz, die wirklich mit allen Ehren zu ihren neun Kindern gekommen ist – arme Isabella! armer Paquo! Sie saßen noch nicht auf dem Throne, denn noch raste der grause Don Carlos, der bleiche Aristokrat mit dem grimmigen Schnurrbart, durch Wälder und Auen, ein unerbittlicher Jäger auf der großen altspanischen Kronjagd. Don Carlos führte Krieg; er brauchte daher Soldaten. Konnte [329] ihm etwas erwünschter sein, als daß sich eines Morgens, schön wie ein Engel und keck wie der Teufel, im schwarzen Frack und in weißer Weste und duftend nach allen Wohlgerüchen der Levante: Se. Hochwohlgeboren, der Ritter Schnapphahnski, bei ihm präsentierte, um seine Dienste anzubieten? Don Carlos strich seinen grimmigen Schnurrbart und besah den deutschen Landsknecht von oben bis unten. Der Ritter sah zwar aus, als ob er eben vom Friseur käme, aber: Kanonenfutter! Kanonenfutter! dachte der Spanier, und es versteht sich von selbst, daß er Sr. Hochgeboren auch nicht das geringste Hindernis in den Weg legte, sich bei der nächsten Bataille vor den Kopf schießen zu lassen.

Deutsche Landsknechte waren tapfer zu allen Zeiten. Dieselben großen Lümmel, die zu Hause in Filzschuhen, in gestrickten Kamisölern und in baumwollenen Nachtmützen faul wie alt gewordene Hunde und feige wie weibliche Hasen hinter den Öfen oder auf den Wirts-hausbänken herumlungerten, sie haben sich im Auslande, für fremde Fürsten, stets mit einer Gewissenhaftigkeit und mit einer Ausdauer geprügelt, die wirklich alle Grenzen übersteigt. Wer daheim ein Kaninchen war, er wurde draußen ein Tiger; die Träumer verwandelten sich in Raufbolde; die blonden sentimentalen Schlingel in Totschläger; die sanften blassen Heinriche und Gottfriede in donnerwetternde Generäle und Feldwebel, die ihre Feinde so gemütlich ums Leben brachten, wie sie seinerzeit Korn mähten oder Spargel stachen.

Auf allen Schlachtfeldern aller Jahrhunderte haben sich Deutsche für ihren pünktlich ausbezahlten Sold auch pünktlich totschlagen lassen. Mit ihren frommen blauen Augen schauten sie so gutmütig in die kohlschwarzen [330] Schlünde der Kanonen, als sollten ihnen gebratene Tauben statt kopfdicker Kugeln daraus entgegenfliegen, und wenn sie die Gewehre umdrehten und mit den Kolben dreinfegten, da schnitten sie keine schlimmern Grimassen als unsere Dorfschulmeister in Hessen oder in Nassau, wenn sie den Bauernjungen das Einmaleins oder das Christentum einbleuen.

Gott weiß, wie Schnapphahnski sich in Spanien benahm! Da wir aber im Laufe unserer Erzählung in jedem Punkte streng bei der Wahrheit geblieben sind, so wollen wir auch hier gestehen, daß derselbe Mund, der die Abenteuer in Schlesien, Troppau und in Berlin erzählte, uns in betreff der spanischen Fahrten die Versicherung gab, daß der edle Ritter, wider alles Erwarten, als sehr ritterlicher Landsknecht dabei erschienen sei und den Ruhm unserer Tapferkeit im Auslande nicht im geringsten in Frage gestellt habe. Mit dieser einfachen Erklärung mußten wir aber auch zufrieden sein, denn alle Details über die spanischen Erlebnisse unseres Ritters fehlen; zwischen Troppau und Spanien liegen die Pyrenäen, und wohlmeinende Freunde unseres Helden waren nicht mehr imstande, dem braunen Freiwilligen aus O. in Schlesien auf Schritt und Tritt zu folgen. Deutlicher wird erst die Historie des Ritters:


»Als Don Carlos fliehen mußte
Mit der ganzen Tafelrunde
Und die meisten Paladine
Nach honettem Handwerk griffen« –

mit einem Worte, als der Krieg wieder zu Ende war und unser Odysseus sich nach seiner Ballettänzerin zurücksehnte, die nach der Abreise ihres schönen Wasserpolacken [331] zu einer wahren Tragödie hinabgetrauert war.

Man kann sich leicht denken, wie sehr der edle Ritter nach der Heimat verlangte, nach Berlin, wo man seiner so liebend gedachte, wo er so gut angeschrieben stand bei Zeus Kronion, bei den Offizieren der Garde, bei seinem Juwelier und bei seiner Tänzerin. Doch nicht unangefochten sollte er zu der letztern zurückkehren, denn sieh, die Enkelin Heinrich Heines, die liebliche Tochter Atta Trolls, des Bären, verliebte sich in den göttergleichen Schnapphahnski, wie uns der Dichter selbst erzählt in seinem Werke, das bei Hoffmann und Campe erschienen, in Hamburg, im Jahre des Herrn 47.

In der Höhle, bei seinen Jungen, liegt nämlich Atta Troll, der Bär, und er schläft


»Mit dem Schnarchen des Gerechten;
Endlich wacht er gähnend auf.
Neben ihm hockt Junker Einohr,
Und er kratzt sich an dem Kopfe
Wie ein Dichter, der den Reim sucht;
Auch skandiert er an den Tatzen.
Gleichfalls an des Vaters Seite
Liegen träumend auf dem Rücken,
Unschuldrein, vierfüß'ge Lilien,
Atta Trolls geliebte Töchter.
Ganz besonders scheint die Jüngste
Tiefbewegt. In ihrem Herzen
Fühlt sie schon ein sel'ges Jucken,
Ahndet sie die Macht Cupidos.
[332]
Ja, der Pfeil des kleinen Gottes
Ist ihr durch den Pelz gedrungen,
Als sie ihn erblickt – O Himmel,
Den sie liebt, der ist ein Mensch!

Ist ein Mensch und heißt Schnapphahnski.«


Da haben wir's! Es geht nun einmal nicht anders; wir treffen den edlen Ritter immer bei der Liebe. Er verfolgt sie, und sie verfolgt ihn. Von der Gräfin S. und der Gräfin O. geriet er auf Carlotta; von Carlotta auf die Tänzerin; von der Tänzerin auf die Bärin! Oh, es ist kein Wunder, daß alle Berliner und Frankfurter Damen in Herrn von Schnapphahnski vernarrt waren, da sogar einst eine Bärin vor dem prächtigen Barte des Ritters anbetend zusammensank.

Oh, diese Bärin hatte einen scharfen Blick, eine gute Schnauze! Sie schnüffelte es schon vor Jahren, sie roch es schon zu Don Carlos' Zeiten, daß unser Ritter einst ein gewaltiger Redner, ein großer Staatsmann werden würde, und schwärmerische Blicke richtete sie nach dem herrlichen Manne – die zarte Bärenlilie. – –


»Ist ein Mensch und heißt Schnapphahnski.
Auf der großen Retirade
Kam er ihr vorbeigelaufen
Eines Morgens im Gebirge.
Heldenunglück rührt die Weiber,
Und im Antlitz unsres Helden
Lag, wie immer, der Finanznot
Blasse Wehmut, düstre Sorge.«

[333] Kann man sich wichtigere Aufschlüsse über die Rückkehr unseres Helden denken?

Auf der Retirade sehen wir ihn, laufend, im Gebirge. Wunderbarer Anblick! Echt spanischer Landstraßendreck spritzte ihm hinauf in den unsterblichen Bart, seine Augen funkeln verdächtig, seine Knie schlottern. Der kühne Ritter gleicht durchaus dem Manne, der einst in O. in Schlesien vor dem Grafen S. ausriß, nach verlorener Liebesschlacht.

»Heldenunglück rührt die Weiber.« – Die Bärin seufzt vor Liebe, daß ihr die Schnauze zittert. Die Tochter Atta Trolls ist außer sich vor brennender Zuneigung – doch nicht der landstraßendreckbespritzte Bart, nicht das funkelnde Auge, nicht das schlotternde Knie ist es, was sie wimmern und schmachten läßt, nein, die Blässe des unübertroffenen Ritters rührt sie vor allen Dingen, ja, die Blässe, die interessante Blässe – kann es etwas Bezeichnenderes geben?

Unsere Verwunderung erreicht indes erst ihren Gipfel, als wir sogar die Natur dieser Blässe, den tiefern Grund dieser herzbetörenden Couleure angegeben finden.

Bisher glaubten wir, der Ritter sei nur blaß aus Liebe, aus Furcht, aus Ärger, der Mode wegen – aber wie irrten wir uns! Es ist die Blässe der Finanznot – ein neues Licht geht über dem Leben Schnapphahnskis auf; der Ritter ist blaß vor Schulden – armer Ritter!


»Seine ganze Kriegeskasse,
Zweiundzwanzig Silbergroschen,
Die er mitgebracht nach Spanien,
Ward die Beute Esparteros.«
[334] So etwas ist hart – zweiundzwanzig Silbergroschen – das ist bitter!
»Nicht einmal die Uhr gerettet!
Blieb zurück zu Pampeluna
In dem Leihhaus. War ein Erbstück,
Kostbar und von echtem Silber.«

Das Schicksal unseres Helden wird immer landsknechtartiger. Die Uhr der Familie Schnapphahnski im Leihhause von Pampeluna! Das ist tragisch, das ist rührend. Das Nürenberger Ei, das vom Urgroßvater Schnapphahnski, von dem alten ehrwürdigen Wasserpolacken, auf den galanten Sohn vererbt wurde: der galante, frivole Sohn hat dieses Erbstück versetzt im Leihhause von Pampeluna, vielleicht ohne einmal zu erröten, ohne Herzklopfen, ohne schüchternes Hin-und Herschauen, als er die Pforte des Lombard durchschritt, und ohne verlegen zu stottern, als er dem Pfandkommissar sein Anliegen vortrug. »Wieviel Uhr haben Sie?« fragte bisweilen ein Mauleseltreiber des Gebirges, und mit Pathos erwiderte dann Se. Hochgeboren: »Bemühe Er sich in das Leihhaus von Pampeluna, werter Freund, dort wird Er ein Erbstück finden, kostbar und von echtem Silber, dort wird Er das Nürenberger Ei der Familie Schnapphahnski antreffen, das Ihm Zeit und Stunde so genau verkünden wird wie jene berühmte Uhr des morgenländischen Kalifen, die einst Charlemagne zum Geschenk erhielt und die er hoffentlich nie so schmählich auf den Mont de Piété getragen haben wird wie ich die meinige, Sela!«

Armer Schnapphahnski! Nicht mehr erfreut ihn in der Stille der Nacht die süße Musik seiner alten Gefährtin, [335] das trauliche »Tick-Tack« der Uhr, das einen daran erinnert, wie man doch noch nicht ganz unter die Füße gekommen ist, daß man wenigstens noch etwas zu versetzen hat, daß man wenigstens noch ein lebendes Wesen hat, das man sein nennen kann.

»Wo ist Ihre Uhr?« – »Chez ma tante!« Oh, es ist traurig, wenn man also antworten muß. Unwillkürlich greift man noch oft in die Westentasche, in die einsame Wohnung der geschiedenen Gefährtin: aber ach, diese Wohnung ist wüst und leer geworden. Die Stürme des Jahrhunderts sind durch sie hindurchgefahren, und wenn nun der Abend kommt und die Nacht und die Sterne emporziehen und die riesigen Schatten sich breiten über Berge und Täler wie die Geister der Ossianischen Helden und man die Unterhose auszieht, um nach Bett zu gehen, und den Uhrschlüssel ergreift, um das althergebrachte Geschäft zu vollziehen, so pünktlich wie der Onkel Toby oder der Vater Tristrams – ach, da schrickt man zurück, denn oh, die alte Genossin


»– blieb zurück zu Pampeluna
In dem Leihhaus. War ein Erbstück,
Kostbar und von echtem Silber.«

Heldenunglück rührt die Weiber – die Tochter Atta Trolls möchte weinen, Seufzer entringen sich ihrem zottigen Busen, als sie die Blässe des fahrenden Ritters bemerkt; sie glaubt natürlich, nur einen welthistorischen Schmerz zu sehen; die tragischen Züge des Heldenantlitzes scheinen ihr nur das Resultat jenes riesigen Grames zu sein, der einst auf den Zügen des Priamus lag oder in deinem Antlitz, du herrlicher Dulder Odysseus – denn oh, die treffliche Bärin, die vierfüßige Lilie der Pyrenäen, [336] sie ist zu arglos, zu unerfahren, um daran zu denken, daß ein Herr von Schnapphahnski in der trivialen Wehmut der Finanznot stecken könnte, im Kummer um seine Uhr, von echtem Silber, zurückgelassen im Leihhause von Pampeluna.

Ja, Eva liebte ihren Adam, Venus ihren Adonis, Julchen ihren Romeo, Gretchen ihren Faust – aber die vierfüßige Lilie, die Bärenjungfrau, liebt den berühmten Ritter Schnapphahnski!

Zärtlich brummend erhebt sie ihre rosige Schnauze und die lieblichen Tatzen und den zottigen Busen, und schon meint man, daß der edle Ritter zu ihr hinabsinken werde, mit jener hohen Grazie eines galanten Aristokraten, ein neues Geschlecht zu zeugen, das da alle Vorzüge vereinige, der Bären und der Wasserpolacken; da rennt der Undankbare von dannen und überläßt die arme Bärin ihrem Schmerze, den Tag verfluchend, wo sie die Blüte der Menschheit gesehen, und von Gram überwältigt, sinkt sie klagend zusammen.

Ein vernünftiger Bär wird hoffentlich so gescheit gewesen sein, die Unglückliche zu trösten. – –

Als unser Ritter auf dem Gipfel der Pyrenäen stand, da machte er halt und steckte die Hände tiefsinnig in die Hosentaschen. Er schnitt ein Gesicht wie ein beschnittener Dukaten; er wünschte, daß ihn die Götter in einen Dudelsack verwandelten oder daß sie ihm tausend Stück Friedrichsdor schenkten – doch das letztere wäre ihm am liebsten gewesen. – »Don Carlos ist besiegt, was sollst du beginnen?« fragte sich Schnapphahnski und sah verlegen nach seinem schäbigen Frackrock. »Deine Kriegeskasse nahm Espartero, deine Uhr hängt im Leihhause zu Pampeluna, und dein Herz fiel in die Hose. – [337] Geld, Uhr und Herz, es ist alles verloren! Sollst du nach England gehen und mit Lord Brougham Brandy und Wasser trinken? Sollst du nach Italien wandern und dich unter die Lazzaroni legen, oder sollst du nach O. in Schlesien eilen und dich von den Lakaien des Grafen S. durchprügeln lassen?« – Herr von Schnapphahnski wurde immer ernsthafter; er ließ den Hut tiefer ins Gesicht fallen; er steckte die Fäuste gründlicher in die Taschen, und er sah steifer zu Boden.

Unser Ritter war in jener Stimmung, in der der Mensch anfängt, sich ungeheuer lächerlich vorzukommen. Se. Hochgeboren litt an jener fatalen Krankheit, die einst die Göttin der Langenweile mittags nach dem Essen mit einem dünnen, schlottrigen Engländer zeugte. – Herr von Schnapphahnski litt am Spleen. Unser Held hätte gern für vier gute Groschen seine Seele dem Teufel verkauft, ja, was noch schlimmer ist, es wäre ihm einerlei gewesen, wenn man ihm ohne Grund einen Backenzahn ausgezogen hätte – mit einem Worte: Se. Hochgeboren war kaduk an Witz und Beutel.

»Was habe ich nun davon, daß ich Don Carlos diente?« fuhr der Ritter fort. »Was nutzt es mir, daß ich mich als Landsknecht ehrlich gehauen, und was brachte es mir ein, daß ich nach Ruhm und Ehre jagte, nach den zwei substanzlosesten Sachen, die es auf Erden gibt? O Sir John, du hattest Recht: man kann den Ruhm weder essen noch trinken; ja, man kann ihn nicht einmal in die Pistole stopfen, um sich den Schädel damit einzuschießen. Wär ich als gewöhnlicher Bauer auf die Welt gekommen, da pflügte ich meinen Acker und freute mich meines Lebens. Wär ich ein simpler Bürger geworden, da schüttete ich all meine Zerwürfnisse stockprügelnd auf meinen [338] Lehrjungen aus, und hätte ich endlich die Wissenschaft gewählt, da verlöre ich Prozesse, machte Kranke tot, spräche Blödsinn vom Katheder hinab und wäre ein glücklicher Mann dabei! Aber der Durst nach Ruhm war's, der mich hinauszog. Ich glaubte, die ewige Sonne zu packen, und ich packte ein Irrlicht. Ist der Ruhm nicht wie ein falsches Geldstück in der Hand eines Kindes? Es glaubt, alle Schätze der Welt dafür kaufen zu können, da kommt der pfiffige Krämer und lacht und er greift den Hammer und nagelt den falschen Dreier auf den Tisch. – Oh, der Ruhm ist ein bildschöner Henker, der sein Opfer scherzend hinauf an den Galgen zerrt und dann die Leiter umstößt, daß der arme Teufel an des Ruhmes Galgen baumelt, weder mit den Füßen auf der Erde noch mit dem Kopf im Himmel. O über den Wahnwitz!«

So faselte der edle Ritter, und wer weiß, was aus ihm geworden wäre, wenn die Götter nicht Mitleid mit ihm gehabt und einen milden Regen gesandt hätten, der, allmählich zum Schauer und zum Guß anschwellend, Berge und Täler benetzte und schließlich auch auf höchst erfrischende Weise in Schnapphahnskis alte Stiefel trat.

Wohler ward ihm, und hinunter schritt er nach Frankreich.

6. Brüssel

VI
Brüssel

Von den Pyrenäen stieg der edle Ritter hinab nach Frankreich, und von Frankreich eilte er nach Belgien. »Herr Schnapphahnski wurde Autor.« Ja wahrhaftig, wir sehen den sinnreichen Junker in Brüssel sitzen und seine Memoiren schreiben.

[339] Alle großen Männer machten es so; wenn sie des Lebens Last und Hitze getragen hatten, da verkrochen sie sich in irgendeinen kühlen Winkel, und die Hand, die bisher den Säbel, den Kommandostab oder das Szepter geführt hatte, sie griff dann zur Feder und brachte das Erlebte zu Papier. Wir brauchen unsern Lesern nicht zu versichern, daß sich von unsern Skizzen über Herrn von Schnapphahnski auch nicht eine Spur in den Memoiren des edlen Ritters findet. Se. Hochgeboren waren viel zu bescheiden, als daß sie alle glorreichen Aventüren der Bewunderung der Nachwelt aufbewahrt hätten.

Die Liebe, die den edlen Ritter nie verließ, zieht ihren roten Faden auch durch den Brüsseler Aufenthalt unseres Helden. Die Weiber müssen nun einmal lieben; Schnapphahnski wußte dies. Sie können nicht anders, es ist ihre Bestimmung. Ein Weib liebt nicht allein lange, nein, ein Weib liebt unendlich, bis auf die Hefen. Ein Weib kann dich lieben, wenn deine Hose zerrissen ist, wenn dein Rock in Fetzen hinabhängt und wenn die ewige Sonne durch die Löcher deines Hutes auf dein verwildertes Landstreichergesicht scheint, ja, noch immer wird eine schöne Frau dich lieben können, denn sie wird um dich weinen, und sie wird dich küssen, und du wirst glücklich sein!

Wie meine Leser bemerkt haben werden, sucht Herr von Schnapphahnski stets die Frauen auf. Um junge Mädchen ist es ihm selten zu tun. In Brüssel machte sich der edle Ritter an die Frau eines bekannten belgischen Künstlers. Die junge Dame hatte ihren frommen Gemahl total unter dem Pantoffel.

Die Pantoffelknechtschaft ist jedenfalls noch eine süße Knechtschaft. Sie hat nur das Unangenehme, daß der [340] zärtliche Gatte zum Lohn für seine liebevolle Unterwürfigkeit in den meisten Fällen nicht etwa mit einer Königs- oder einer Bürgerkrone, sondern mit jenem Kopfschmuck gekrönt wird, den auch des Waldes flüchtige Gebieter tragen. Man könnte in der Tat bei den Ehemännern dieselben Benennungen anbringen wie bei den Hirschböcken. Nach Vollendung des ersten Jahres der gekrönten Pantoffelknechtschaft würde man einen Ehemann: Spießer titulieren; nach Vollendung des zweiten Jahres hieße man ihn: Gabler. Hierauf träte dann die Bezeichnung nach Enden ein, so daß man einen Ehemann bald einen Sechsender, einen Zehnender, einen Sechzehnender und so weiter nennen würde. Bei recht stattlichen Ehemännern könnte man sogar die Benennung des Dam- und Elen-Wildes eintreten lassen, ja, bis zu dem NamenSchaufler gehen.

»Was schadet es, wenn ein Ehemann ein paar Hörner trägt!« hatte der edle Ritter oft zu sich selbst gesagt, wenn er wohl einmal in die untergeordneten Schichten der Gesellschaft hinabstieg. »So ein zweibeiniger Sechzehnender kann immerhin noch nachmittags auf die Börse und abends ins Kasino gehen, ohne daß man ihn auslacht, denn fast überall findet er ja Leidensgefährten, wehmütig lächelnde Böcke, die gelebt und geliebet haben und die recht gut wissen, was es für ein Malheur ist, wenn man eine junge Frau hat, mit funkelnden Augen, mit wogendem Busen und mit kleinen alabasterweißen Füßen, recht ein Wesen wie ein üppiges Rätsel, das nur die Liebe lösen kann, die Liebe eines flinken Gesellen, der weder auf die Börse noch ins Kasino geht und der sich den Henker schiert um alle Ehemänner und ein flotter Edelmann ist wie ich, der Ritter Schnapphahnski!« [341] Die Frau des Künstlers hatte Mitleid mit unserem Ritter. Zu jenem melancholischen Blick, den Herr von Schnapphahnski mitunter anzunehmen pflegte, wenn er an die Lakaien des Grafen S. in O. in Schlesien dachte, und zu der interessanten Blässe der Finanznot, die unseren Helden eigentlich nie verließ, gesellte sich nun noch die wichtige Miene eines Autors, so daß der edle Ritter wirklich eine interessante Figur ausmachte und die Frau des Künstlers immer mehr dazu veranlaßte, einmal ernstlich mit sich zu Rate zu gehen, ob sie ihrem Gemahl nicht bald die Dulderkrone aufsetzen könne. Herr von Schnapphahnski verfolgte seine Beute mit aller Hartnäckigkeit eines Ritters ohne Furcht und Tadel.

Wenn man bedenkt, welche Vorstudien der edle Abenteurer schon in der Liebe gemacht hatte, so ist es zu begreifen, daß er täglich mehr Terrain gewann. In der Liebe geht es aber wie in den Träumen; wenn man gerade im besten Zuge ist, da kommt gewöhnlich etwas dazwischen. Das Renkontre, welches dieses Mal die süßesten Hoffnungen unsres Helden vereitelte, gehörte wieder zu den allerunangenehmsten.

Es war um die Karnevalszeit auf einem Maskenballe. Die gute Stadt Brüssel hatte alles aufgeboten, um auch durch den Ball der Oper den Beweis zu liefern, daß man in Belgien jede französische Sitte nachahmen könne, wenigstens so gut, als es dem kleinen Belgien überhaupt möglich ist. Die wenigen schönen Frauen, die es in Brüssel gibt, waren in ihrem besten Staate gegenwärtig. Ich glaube, in keinem Lande der Welt ist das »schöne Geschlecht« mehr vernachlässigt als in Belgien. Man gehe in jedes beliebige Theater, und man überzeuge sich davon, daß der Rand der Logen mit einer wahren Perlenschnur [342] von Medusenköpfen gesäumt ist. Die eigentlichen Flamländerinnen haben Gliedmaßen, wie sie sich nie ein weibliches Wesen erlauben sollte. Die Walloninnen, schwarzäugig und lebendig zwar wie Französinnen, verlieren sehr durch ihren mangelhaften Teint. Fragt man in Lüttich nach schönen Frauen, so heißt es: »Oh, gehen Sie nur par exemple nach Brügge, dort finden Sie noch viel spanisches Blut.« Erkundigt man sich in Brügge nach hübschen Damen, so heißt es: »Oh, gehen Sie nur nach Lüttich, dort herrscht die französische Rasse vor.« Leider fand ich weder Spanier noch Franzosen in Belgien – nur Belgier; rien que cela. Jedenfalls sind die Belgier schöner als die Belgierinnen.

In Holland ist dies gerade umgekehrt, wenigstens in dem eigentlichen Holland, dem klassischen Lande des Kaffee- und Zuckerschachers. Die Männer sind dort entweder infolge eines wüsten Lebens der Hafenstädte zu wahren Skeletten, zu windhundartigen Figuren abgemagert oder im reifern Alter zu so enormen Wänsten aufgeschwemmt, daß man erst einige Zeit suchen muß, ehe man in jenen Fleischkolossen ein menschliches Wesen findet. Die holländischen Frauen sind dagegen fast durchgängig hübsch; sie haben blondes Haar, himmelblaue Augen, eine sehr weiße Haut; nur leider durch den Gebrauch der unterirdischen Kohlenpfannen und Feuerstübchen bisweilen entsetzlich – große Füße. Aber eine Holländerin kann sehr schön und liebenswürdig sein, und wenn sie mit ihren roten Lippen jene fürchterliche Sprache lispelt, welche in dem Munde der Männer wie das Grunzen und Brummen einer Walkemühle klingt, da bleibt man verwundert stehn und sieht aufs neue, daß von schönen Lippen: alles schön klingt, sogar Holländisch.

[343] Es verstand sich von selbst, daß Herr von Schnapphahnski auf dem Ball der Brüsseler Oper im vollen Glanze seiner Ritterlichkeit umherspazierte und nicht wenig damit beschäftigt war, jede einigermaßen erbauliche Maske Zoll für Zoll zu studieren. Tanzende zu beschauen, ist ein Kunst- und Naturgenuß zu gleicher Zeit. Der Tanz enthüllt nicht nur manchen Körperteil, den wir bei der Prüderie unsres Jahrhunderts selten en masse zu bewundern Gelegenheit haben, nein, die melodisch dahinflutende Bewegung der Gestalten zeigt uns, daß diese und jene Glieder auch noch einer ganz andern als der gewöhnlichen Tätigkeit fähig sind, und unwillkürlich söhnen wir uns mit unsern alltäglichen Erinnerungen aus, wenn wir die Menschen wieder einmal so kindlich-sonntäglich vor unsrer Nase herumspringen sehen.

Die Kunst- und Naturstudien auf einem Brüsseler Balle haben freilich ihre Grenzen, und unser Ritter würde mit seinen Forschungen bald zu Ende gewesen sein, wenn nicht eine ungemein lebendige und graziöse Maske seine Aufmerksamkeit stets von neuem in Anspruch genommen hätte. Bald einen entzückend kleinen Fuß, bald eine zierliche Hand und bald einen Nacken zeigend, der durch seine herrlichen Formen alle übrigen Gestalten des Balles hinter sich ließ, wußte die Geheimnisvolle unsern Ritter stundenlang zu fesseln. Vergebens suchte er aus der Verschleierten irgendein bekanntes Wesen herauszufinden: sie widerstand seinen genauesten Beobachtungen durch so rätselhafte Gebärden und seinen kühnsten Fragen durch so zweideutige Antworten, daß er zuletzt davon überzeugt war, von einer durchaus Fremden intrigiert zu werden.

Der Reiz eines derartigen Spieles wird durch den[344] Widerstand, den man findet, nur erhöht. Ein zahmes Roß zu reiten, ist keine Kunst; ein wildes zu bändigen: die höchste Lust. Der Schwache wünscht Nachgiebigkeit und Kapitulation; der Kühne: Widerstand und Sieg. Der Schwache genießt nur einmal; der Kühne tausendmal, denn jede Stufe des Widerstandes wird durch ihr Überwundensein eine Stufe der Glückseligkeit, die nur der letzte Sieg an Wonne überbietet. Suche Widerstand, und du wirst ein Mann sein; lerne Weiber besiegen, und du wirst die Welt erobern!

Herr von Schnapphahnski war zufällig nicht in der Stimmung, seinen Liebesfeldzug auch nur durch eine Nacht hin auszudehnen. Sei es, daß er alle Hoffnung aufgeben zu müssen glaubte oder daß er an ähnlichen Orten rascheren Erfolg gewohnt war – genug, es ennuyierte ihn mit der Zeit, sich so den ganzen Abend für nichts und wieder nichts an der Nase herumführen zu lassen; und als die verhängnisvolle Maske wiederum mit sehr spöttischem Gruße an ihm vorüberhuschte, da vergaß unser Held plötzlich, daß er nicht in der Wasserpolackei und auf dem Ball einer zwar belgischen, aber nichtsdestoweniger zivilisierten Stadt sei, und – es ist kaum zu glauben – ja, unser Ritter griff der Vorübereilenden mitten in die Maske – –

Die so brutal Angegriffene stutzt, stößt einen Schrei aus, und vierzig bis fünfzig andre Masken stellen sich rings um den Ritter und die Dame. Der Schleier der Schönen ist indes gefallen, und der Ritter erkennt zu seinem nicht geringen Schrecken die Gattin des belgischen Künstlers.

Der unglückliche Ehemann, »déguisé en quelqu'un, qui s'embête à mort«, ist ebenfalls herbeigesprungen. Er beobachtete [345] den fremden Ritter und die eigne Gattin den ganzen Abend hindurch; seit einigen Stunden schon fühlte er seine Hörner wachsen, und mit der freudigen Wut eines erretteten Familienvaters stürzt er sich auf unsern Ritter.

Eine Szene entspinnt sich, wie man sie in Brüssel vielleicht noch nicht erlebt hatte. Herr von Schnapphahnski begreift gar nicht, wie ihn die Brüsseler Bourgeois so langweilen können. Er nennt seinen Namen, seine Titel – –

»Je m'en f ...«, brüllt der entrüstete Ehemann wie ein Hirsch in der Brunstzeit, und: »Oui Monsieur! Oui Monsieur!« schreit der Chor wie im ersten Akt des »Barbiers von Sevilla«.

Schnapphahnski gibt seine Karte – –

»J'aurai ta carte dans ma poche et toi la mienne sur la figure –«

Oui Monsieur! Oui Monsieur! – und immer toller wird der Skandal, bis sich zuletzt hundert zierliche Hände erheben, um unsern Ritter zu zerreißen, die Faust des Ehemanns an ihrer Spitze – ach, und nur durch die schleunigste Flucht rettete sich unser Held von der unangenehmsten Pointe, die ein Abenteuer haben kann.

7. Herzog C.

VII
Herzog C.

In Brüssel verfolgte unsern Helden ein eigenes Mißgeschick. Kaum den Händen eines erbosten bürgerlichen Ehemannes entronnen, fiel er in die Riesenfäuste eines noch weit erbitterteren Aristokraten. Der Ritter war an [346] seinem Malheur selbst schuld, denn durch seinen Hochmut, durch seine Arroganz, kurz, durch seinen Schnapphahnskismus brachte er jedermann gegen sich auf. Ganz besonders haßte ihn damals ein Franzose, ein gewisser Herzog von C ..., und mehr als einmal ließ er die bedeutungsvollen Worte fallen: »Nun, wenn mir der Mensch einmal in die Hände gerät – –«, der Herzog begleitete diese Phrase stets mit dem verständlichsten Gestus.

Herzog C., dem unser Ritter zu mißfallen das Unglück hatte, war ein sehr liebenswürdiger und durchaus anständiger Mann, beiläufig bemerkt in Besitz einer Taille von weit über 6 Fuß; ungefähr die Hälfte im Durchmesser – –

Die Abneigung des Herzogs war unserm Ritter keineswegs entgangen; mochte er aber glauben, daß die großen Hunde die kleinen niemals beißen oder daß sie gar feige sind: genug, er suchte den herzoglichen Riesen durch Arroganz einzuschüchtern und verdoppelte sie daher stets in seiner Gegenwart.

Eines Tages treffen sie in einer Gesellschaft zusammen. Sie sprechen von Kriegen, Kampagnen, Schlachten und zuletzt von Duellen. »Wieviel Duelle haben Sie schon gehabt, Ritter?« fragte der Herzog gleichgültig. – – »Die Masse –!« erwiderte Schnapphahnski – »Aber ich müßte mich eigentlich nie schlagen, denn wer so sicher ist, seinen Gegner stets zu töten, wie ich es bin, der begeht fast einen Mord. Nichtsdestoweniger macht es mir aber Vergnügen, mich zu schlagen –« – »Bah!« sagt der Herzog, »wieso?« – »Sehn Sie«, versetzt der Ritter, »wenn ich mich rächen will, so fordre ich meinen Gegner auf Säbel, et il est un homme mort. Will ich ihn dagegen nur strafen, [347] so fordre ich ihn auf Pistolen, car je suis sûr de loger ma balle où je veux –« – »Bah!« erwidert nochmals der Herzog und empfiehlt sich ganz untertänigst.

Kurze Zeit nach dieser Unterredung kam eine sehr berühmte Pianistin, Madame P., nach Brüssel, und tous les beaux der Hauptstadt wetteiferten um die Gunst der schönen Virtuosin. Ein gewisser Gesandter, Graf ..., der damals noch nicht verheiratet war, stellte sich in die ersten Reihen.

Eines Tages wurden die Salons der Gesandtschaft prächtig mit Blumen verziert, glänzend illuminiert – ein lukullisches Mahl angerichtet. Wer sollte dazu erscheinen? Eine Hoheit, eine Majestät? Nein – – die schöne Konzertgeberin. Alle Dandys, Lions, Tigres – kurz, die ganze fashionable Menagerie der Hauptstadt wurde zu diesem Feste eingeladen. Unter ihnen befand sich auch unser Ritter, der Herzog und ein gewisser Oberst C., ein alter Haudegen, der, unter Soldaten erzogen und auf Schlachtfeldern ergraut, sich bei weitem behaglicher in einem Corps de Garde als in einem Salon fühlte.

Nach Tische, als der Champagner bereits das Blut im Kreise trieb und der Kaffee der Vernunft den letzten Stoß geben sollte, entfernten sich die Damen. Die Herrengesellschaft begab sich in einen Rauchsalon. – Der Herzog, den diese Gesellschaft ziemlich langweilen mochte, setzte sich ans Klavier und präludierte darauf. Schnapphahnskis unglücklicher Stern brachte ihn ganz in seine Nähe.

Unglücklicher Schnapphahnski! – Der Hafer stach ihn mehr als gewöhnlich, und keine fünf Minuten verstrichen, da machte er auch schon über das Spiel des Herzogs einige ebenso kecke als boshafte Bemerkungen, indem er [348] namentlich hervorhob, wie es fast unbegreiflich sei, daß man mit einer so großen Hand spielen könne, ohne zu fürchten, alle Tasten gleich zu zertrümmern. Der Pianist L., der voraussah, daß die Geschichte eine üble Wendung nehmen könne, beeilte sich, unserm Ritter zu erwidern, daß man mit einer großen Hand recht gut spiele, daß er viele Virtuosen kenne usw. – – aber Schnapphahnski wollte nicht ruhen. Den schöngelockten Kopf kokettierend auf die Schulter legend, die Zigarre nachlässig an die Lippen führend und mit der höchsten Nonchalance über dem Klavier hängend, fuhr er fort, seiner Laune den Zügel schießen zu lassen, indem er sich durch jeden freundlichen Einwurf der umherstehenden Gäste nur zu neuen, beißendern Bemerkungen hinreißen ließ.

Der Herzog, der sich bis zum letzten Augenblick sehr ruhig benahm, spürte doch mit der Zeit Lust, dem Gespräche ein Ende zu machen. Mehrere leise Andeutungen waren schon in dem Humor des Ritters verlorengegangen: er sah sich daher genötigt, etwas verständlicher zu werden, und als unser Held wiederum eine Phrase hinwarf, die durch ihre liebenswürdige Unverschämtheit alles Frühere hinter sich ließ, hob er den Kopf etwas feierlicher empor und versetzte mit sehr bestimmtem Tone: »Wissen Sie, Ritter, ich kann auch einen gewissen Walzer spielen, dem niemand widersteht. Ja, wenn ich den spiele, so muß man tanzen, wie ich es befehle!«

Herr von Schnapphahnski hatte die Bonhomie, auch dieses nicht zu verstehen. Der Herzog verstummte. Der Ritter setzte seine Bemerkungen fort, und auf den Gesichtern der Zunächstweilenden konnte man deutlich lesen, daß sie sich in einer ziemlich peinlichen Stimmung befanden. Wer weiß, wie lange indes die Katastrophe [349] des Abends noch hinausgeschoben worden wäre, wenn der arme alte Oberst, dessen Anwesenheit wir früher schon erwähnten, nicht plötzlich zum Losplatzen des Sturmes auf eine ebenso unvorhergesehene als höchst komische Weise Veranlassung gegeben hätte.

Wir müssen bekennen, wir sind in einiger Verlegenheit: wir werden die Geschichte schwerlich so erbaulich erzählen können, wie sie in der Wirklichkeit geschehen sein mag. Die Verlegenheit der Menschen verrät sich auf verschiedene Weise. Der eine errötet, der andre schlägt die Augen nieder, der dritte hustet, der vierte nimmt eine Prise. Unsere Verlegenheit verrät sich dadurch, daß wir plötzlich den Faden der Erzählung verlieren ...

Ein Westfale reiste nach England. Er war sehr unglücklich wie alle Westfalen auf Reisen. In Köln verlor er seinen Regenschirm, in Ostende wurde ihm der Mantel gestohlen, in Dover fiel er beim Ausschiffen ins Meer, auf der Douane konfiszierte man ihm den zigarrengefüllten Koffer, der Droschkenkutscher prellte ihn entsetzlich, und höchst kalt und unkomfortabel langte unser Westfale in Norfolk Street, Strand, London an. Norfolk Street ist eine totenstille Nebenstraße. Nachdem er um das schlechteste Zimmer gebeten hatte – für das er natürlich geradesoviel bezahlen mußte wie für das allerbeste –, und nachdem er, mehr aus ökonomischen als aus Gesundheitsrücksichten, von dem aufgetragenen Beef und Mutton weniger als ein Kanarienvogel gegessen hatte – um natürlich geradesoviel dafür zu zahlen, wie für ein Mittagsmahl des Riesen Goliath-, legte sich unser Westfale in sein teures, aber schlechtes Bett, faltete die Hände, betete zu Gott dem Allmächtigen und Allwissenden und schlief schnarchend dabei ein, wie mancher Gerechte[350] vor ihm. Als er am nächsten Tage erwachte und nach seiner Uhr griff, überzeugte er sich davon, daß die Uhr mit dem Regenschirm, dem Mantel, dem Koffer usw. bereits den Weg alles Irdischen gegangen sei, und schüchtern schlich unser Freund daher an den Rand der Treppe und fragte mit zitternder Stimme: »Könnten Sie mir nicht sagen, Herr Kellner, was die Glocke gefälligst geschlagen hat?« – »Three o'clock!« rief der Kellner in barschem Tone. Es war 3 Uhr nachmittags. Bei dem abscheulichen Nebel, der verfinsternd über der Stadt lag, meinte der gute Westfale aber nicht anders, als daß es 3 Uhr morgens sei, und es verstand sich von selbst, daß er als rücksichtsvoller Fremder zurück ins Zimmer kroch, um, nach einigen Unterbrechungen und schweren Träumen, abermals bis zu einem nächsten Tage im Bette zu liegen, wo er, da der Nebel noch immer fortdauerte, gewiß bis zu einem dritten Tage geweilt hätte, wenn er nicht durch den Hunger so sehr gepeinigt worden wäre, daß er sich schließlich ein Herz faßte und hinunter in die Gaststube stolperte.

Hier angekommen, betrachtete man den foreign Gentleman mit so sonderbaren Augen, daß er, an seinen Mantel, an den Regenschirm, an den Koffer und an die Uhr gedenkend, plötzlich auf die gerechtesten Befürchtungen für seinen Frack und die Hosen empfand. Er faßte daher den heroischen Entschluß, lieber das heiß ersehnte Frühstück im Stich zu lassen, gleich zu bezahlen und dann rasch das Haus zu verlassen. Dieser Gedanke schien dem Zweifelnden endlich der beste. Nicht ohne Bangen näherte er sich daher einem andern Fremden, den er für den Wirt hielt, und fragte mit möglichster Fassung, indem er das Gold schon in den Händen hielt: »How much?« [351] »Goddam!« erwiderte dieser und streifte die Ärmel empor und würde gewiß auf unsern Westfalen losgeboxt haben, wenn sich der Landlord nicht noch zur rechten Zeit ins Mittel gelegt und dem erschrockenen Westfalen die Nota überreicht hätte. Die Rechnung war short and sweet, kurz und süß, wie folgt:


1 Supper£ – 3 S. 6 d
2 Board and Lodging£ – 9 S.10 d
Waiter£ – 2 S. – d
Boots and Chambermaid£ – 3 S. – d
£ –18 S. 4 d

Der Westfale hatte den Verlust des Regenschirms, der Uhr, des Mantels und Koffers verschmerzen können. »Gestohlen und verloren werden kann alles –«, sagte er sich. Daß man ihm aber für ein Abendessen und für einen Schlaf 18 Schillinge und 4 Pence, mit anderen Worten: 6 Taler, 3 Silbergroschen und 6 Pfennige Preußisch Kurant anrechnete, nein, das war zu stark, das beleidigte die Seele eines Biedermannes zu tief, und mit einiger Entrüstung bemerkte er daher:

»Aber nein, Herr Wirt, sagen Sie mal, das ist denn doch gefälligst ein bißchen zuviel –«

»Very moderate, Sir!«

»Aber nein, ich habe ja nur eine Nacht geschlafen.«

»Two nights, if you please, Sir.«

»Aber nein, ich habe ja gar nichts mehr gegessen.«

»All included, Sir.«

»Aber nein, das kann ich unmöglich bezahlen – –«

Aber der Wirt hatte das einzige und letzte Goldstück seines Gastes schon in der Hand, und ärgerlich den Überschuß von 1 Schilling und 8 Pence auf den Tisch werfend, [352] überließ er den Westfalen seinem Nachdenken, der noch immer nicht begreifen konnte, wie man für 6 Taler, 3 Groschen und 6 Pfennig: in einer Nacht zwei Nächte schlafen könne – und endlich trübselig davonschritt.

Von Norfolk Street bis zu St. Paul sind es nach Londoner Maß nur wenige Schritte, d.h., es ist noch ziemlich weit. Unser Westfale stand daher erst nach geraumer Zeit vor der gewaltigen Kirche, und da er sein Morgengebet noch nicht gestammelt hatte, so schritt er mit brünstiger Seele die große Treppe hinauf und trat durch die offene Tür unter Meister Wrens herrliche Wölbung.

»Four pence, if you please, Sir!« sagte da jemand, indem er unserm Freund auf die Schulter klopfte. Der Westfale blickte erschrocken zurück:

»Aber nein, dies ist ja eine Kirche –«

»Four pence to be paid, Sir!«

»Aber nein, ich habe noch nie in Münster Entrée in der Kirche bezahlt.«

»Four pence!« wiederholte der Küster zum dritten Male, und so gewiß, wie der Wirt in Norfolk Street zwei Nächte auf die Note gesetzt hatte, so gewiß mußte der Westfale schließlich 4 Pence Entrée bezahlen. Mit seinem letzten Schilling und mit einem so heißen Gebete, wie es je ein Gläubiger gesprochen hat, kniete da der Westfale auf den Marmorboden nieder. Wer weiß, wie lange er sich mit Gott unterhalten haben würde, wenn nicht plötzlich der Küster mit einem Bund Schlüssel in der Hand und mit einem Schweif von vielen Herren und Damen quer durch die Kirche gerannt wäre. Der Betende sah aufmerksam empor. Was soll das bedeuten? Schließt man die Kirche zu? Mit dem Schrei des Entsetzens sprang er empor, und der Gesellschaft nachlaufend, war [353] er bald der nächste hinter dem Küster. Richtig! Die Riegel knarrten, die erste Tür fiel rasselnd ins Schloß.

»One shilling, if you please, Sir!«

Der Westfale war abermals wie vom Donner gerührt.

»Aber nein, bezahlt man hier auch beim Hinausgehn?«

»One shilling to be paid, Sir!«

»Aber nein, ich habe noch nie in Münster bezahlt, wenn ich aus der Kirche ging.«

»One shilling!«

Der Küster sprach dies mit so viel anglikanischer Würde und mit so unendlich kategorischem Episkopalernst, daß der arme Westfale vor Schrecken in den Boden zu sinken meinte und unwillkürlich in die Tasche der grünplüschenen Weste griff und ach, seinen letzten Schilling herausholte. Es mußte wohl so sein, denn alle übrigen bezahlten ebenfalls. Nachdem die Sache berichtigt war, schritt der Küster vorwärts. Der Westfale folgte ihm auf dem Fuße, seine Knie zitterten, er schnappte nach Luft, und in der Angst und Verwirrung achtete er gar nicht darauf, daß man, statt die Treppe hinunter nach der Straße zu gehen, die Treppe hinauf nach dem Turm schritt. Erst in der Mitte der ersten Windung bleibt er entsetzt stehen. Ein neuer Betrug! Er will zurück, er macht kehrt – aber ach, wenigstens zwanzig Menschen sind schon hinter ihm; keiner kann an dem andern vorüber, zu schmal ist der Gang, und »Follow me!« ruft der Küster vor ihm, und »Go on!« schreit die Menge hinter ihm, und weiter muß der Unglückselige, von einem Tritt zum andern, immer vorwärts, immer hinauf, unter Ächzen und Stöhnen, bis er endlich schweißtriefend oben in der Kuppel der Kirche anlangt.

Herren und Damen sind indes nachgerückt; immer[354] voller wird der Raum, der eine drängt den andern, und unser Westfale sieht sich genötigt, eine kleine Erhöhung zu besteigen, von der man zu der höchsten Öffnung der Kuppel hinaufreichen kann. Sowie die Gesellschaft das Innere der Kuppel betrat, hatte sie alle Fenster und Luken in Beschlag genommen. Die Öffnung, welcher unser Freund zunächst stand, war bald allein noch unbesetzt, und man winkte ihm hinauszusehen und dann für andre Platz zu machen. Unwillkürlich faßte er daher rechts und links an die Seiten der Öffnung, und vom Boden emporspringend, hob er sich mit dem Oberkörper über das Dach hinaus, auf die Hände gestützt, die Beine noch immer baumeln lassend.

Welch ein Anblick! Aus dem stillen Westfalen plötzlich auf die Spitze der St.-Pauls-Kirche! Ein kalter Schauder durchfuhr unsres Freundes Rücken: vor ihm ausgebreitet lag die Riesin London im heitersten Sonnenglanze. Des dichten Nebels wegen hatte der Westfale nur das bemerkt, was auf sechs Schritt zu bemerken war.

Während er unten auf den Marmorstufen der Kirche betete, hatte aber der Wind den Nebel zerstreut, und alle Gegenstände der unermeßlichen Stadt traten jetzt aus dem Dunkel hervor und leuchteten in grandiosen Umrissen am entwölkten Horizonte. Dort die Yorksäule, die Nelsonsäule, die Türme der Westminsterabtei, St. James, die Bäume von Hyde Park und Palast an Palast bis hinaus in die weiteste Ferne. Nach der andern Seite die City mit ihren tausend und aber tausend verschlungenen und verworrenen Gassen und Gängen, mit den hochgegiebelten Häusern, vollgepfropft mit allen Schätzen des Erdballs, halb noch in bläulichen Rauch gehüllt, [355] der sich in düstern Massen hinauswälzt bis in die entlegensten Felder. Und die Themse dann. Auf bläulicher Flut die schneeweißen Segel und Mast an Mast, so weit das Auge reichte, vom Tower bis hinab zur wogenden See. Dazu das Rasseln der Wagen, das Lärmen der Fußgänger, das Geräusch der Werkstätten und hunderterlei Stöhnen, Schreien, Murren, Brummen und Poltern, das in tollem Gemisch zu der Kuppel der Kirche emporklang – es schwindelte den armen Westfalen, krampfhaft faßte er den Rahmen der Luke, er dachte nicht mehr an den verlorenen Schirm, an den gestohlenen Mantel, an die verschwundene Uhr, an den konfiszierten Koffer, an die Rechnung des Wirts, an das Entrée der Kirche und an den letzten Schilling – nein, er dachte an nichts mehr, er sah nur, mit aufgerissenen Augen, mit offenem Munde, mit Nase und Ohren, er staunte, er glotzte, und wie seine Kraft durch die schwebende Haltung immer mehr schwand und wie er zuletzt nicht mehr wußte, ob er sich nach hinten zurückfallen lassen sollte, um irgendeiner Dame auf den Kopf zu stürzen, oder ob er nach vorn springen sollte, um selbst den Hals zu brechen, und wie es ihm plötzlich gelb und grün vor den Augen wurde und wie der kalte Schweiß auf seine Stirn trat und ein Zittern durch alle Glieder fuhr: oh, da preßte ihm die Mutter Natur plötzlich einen jener heimischen Laute aus, der wie ein Pistolenschuß in der Kuppel der Kirche widerklang, und einer Leiche ähnlich sank der Unglückliche hinab, zwischen die nach allen Seiten auseinanderstiebenden Genossen, deren er sicher im Niedersinken mehrere zerschmettert hätte, wäre der Laut nicht so herrlich à propos gekommen, so voll, so donnernd – doch kehren wir zurück zu Schnapphahnski. Der alte Oberst [356] C. war in demselben Falle wie unser Westfale. Das herrliche Diner, der Wein, die Lichter, Hitze, Musik, alles das hatte ihn schon in eine Schwulität versetzt, wie sie ihm in der mörderischsten Schlacht nicht vorgekommen war. Als er nun aber gar noch in das Rauchzimmer geriet, um die Konversation des Ritters und des Herzogs anzuhören, eine Konversation, die jeden Augenblick pikanter und beißender wurde; als er die Verlegenheit der übrigen Gesellschaft bemerkte, eine Verlegenheit, die er selbst nicht recht begriff, und als es ihm immer mehr einleuchtete, daß er sich eigentlich gar nicht an seinem Platze befinde – nun, da wurde ihm geradeso zumute wie dem Westfalen auf dem Gipfel der Paulskirche; es schwindelte ihm, es wurde ihm rosenrot vor den alten Augen; wie der Westfale meinte er die Themse zu sehen und den Tower und die Westminsterabtei, der Angstschweiß trat ihm auf die Stirn, und ach, was der Westfale hoch oben über ganz London riskiert hatte, das riskierte der alte Oberst in dem Salon der höchsten Brüsseler Gesellschaft:

Brrrrr–um! und alles fuhr erschrocken zusammen. Es war geschehn. Aber man hatte zuviel bon sens, um den armen Alten für seinen Verstoß büßen zu lassen, und schon machte man Miene, das Unglück des ehrwürdigen Mannes mit lächelndem Stillschweigen zu übergehen, als Herr von Schnapphahnski plötzlich so unvorsichtig war, dem Beispiele des alten Oberst mit einem ähnlichen Laute im raschesten Tempo zu folgen – –

Die Katastrophe des Abends war gekommen. Der Herzog endete sein Klavierspiel mit der schrecklichsten Dissonanz, und rasch emporfahrend, wandte er sich zu dem Oberst und dem Ritter. »Ihnen, Herr Oberst, verzeiht [357] man manches, denn man muß es Ihnen verzeihen; Sie, Ritter, sind einer der erbärmlichsten Burschen, welche die Welt je getragen hat!« – Eine Totenstille entsteht.

Der Ritter, so direkt interpelliert, setzt den Hut auf den Kopf, um sich recht das Ansehen eines Marquis léger zu geben, tritt dem Herzog gerade unter die Nase und fragt: »Ist das Ernst oder Spaß?«

»Ich bin nicht gewohnt, daß man mit dem Hut auf dem Kopfe zu mir spricht!« erwidert der Herzog, und seine Hand berührt die Wange des Ritters zu gleicher Zeit in so unsanfter Weise, daß der Hut des Getroffenen hoch in die Luft fliegt. Doch damit nicht zufrieden, ergreift er den taumelnden Ritter auch noch beim Kragen, hebt ihn mit eiserner Faust empor, rüttelt und schüttelt ihn, daß ihm Hören und Sehen vergeht, spricht: »Nun beginnt der Walzer!«, öffnet dann die Tür, trägt den Unglücklichen wie eine Katze hinaus und schleudert ihn die Treppe hinab, um dann ruhig, als wenn nichts geschehen sei, ins Zimmer zurückzukehren, wo die Gäste stumm und bestürzt einander anschauen.

Wir müssen gestehen, unser Herz beschleicht ein inniges Bedauern, indem wir dieses niederschreiben. Unser Schmerz ist gerechtfertigt, denn mit seinem Helden soll der Autor fühlen und empfinden.

Fast wörtlich haben wir den Hauptinhalt dieses Kapitels aus den uns vorliegenden Manuskripten wiedergegeben. Geben wir jetzt nur noch einfach den Schluß. Kaum in den Salon zurückgekehrt – heißt es in unsern Notizen weiter –, erblickt der Herzog den Hut des Ritters. Er hebt ihn vom Boden auf, und indem er avec toute la courtoisie possible hinzusetzt: »Aber mein Gott, [358] der Ritter kann ja nicht ohne Hut nach Hause gehn« – wirft er ihn auf die Treppe seinem Eigentümer nach.

Sie glauben vielleicht, daß nach solch einer Katastrophe der Herzog am andern Tage nicht mehr zu den Lebenden zu zählen war – – Sie irren sich. Er lebt noch bis auf den heutigen Tag. Aber pro forma kam der Sekundant des Ritters, um die Bedingungen des Zweikampfes zu ordnen. »Mein Gott«, sagt der Herzog gleichgültig, »der Ritter sagte mir vor wenigen Tagen, daß er den Degen wählt, wenn er jemanden mit dem Tode bestrafen will. – Nun, ich glaube, daß er alle Ursache hat, mich zu bestrafen.« – –

Bedenken Sie nur, daß des Herzogs Arm übermenschlich lang war und daß acht Menschen denselben nicht biegen konnten – – armer Schnapphahnski! Aber es sagt bei uns ein altes Sprichwort: Wer hängen soll, der wird nicht ertrinken. Wer weiß, welches Los unserm Ritter reserviert ist!

Vor allen Dingen erschien am selben Tage auch noch der Gesandte, Graf ..., beim Herzog C.

»O mon dieu, que faire? Was wird man sagen, wenn es heißt, daß man in dem ... Gesandtschafts-Hotel Fêten für Personen zweideutigen Rufes gibt, bei denen man sich betrinkt, f .... und sich ohrfeigt – – Was wird Se. Majestät sagen! Was der Premier! Ich bin verloren – –«

»Aber lieber Graf, was wollen Sie, daß ich dabei tue?« erwiderte der Herzog mit der größten Höflichkeit.

»Liebster, bester Herzog, erklären Sie dem Ritter, daß Sie ihn nicht beleidigen wollten – –«

»Aber kann ich das?« sagte der Herzog, berstend vor Lachen.

»Es ist nur der Form wegen – –«

[359] »Nun gut, wenn der Ritter damit zufrieden ist – mir ist es einerlei.«

Und so geschah's.

Am anderen Morgen kommen die beiden Kämpfer zu einer heldenmütigen Versöhnung zusammen. Schnapphahnski tritt dem Herzog mit der ritterlichsten Miene und mit allen seinen Orden wie ein spanischer Maulesel behangen entgegen. »Unter Männern so hohen Standes können keine Beleidigungen vor kommen«, sagt der Ritter, »und kommen sie vor, so dürfen sie nicht als solche angesehen werden.«

Der Herzog macht eine ironische Verbeugung.

Die Memoiren des berühmten Ritters Schnapphahnski waren fast vollendet. Er verließ Brüssel ...

Zunächst finden wir ihn in Aachen. Tiefsinnig sitzt er am Grabe Karls des Großen und spielt – Roulette.

8. München

VIII
München

Das Spiel ist eine schöne Sache.

Als acht- oder zehnjähriger Knabe nimmt man die Karten gewöhnlich zum ersten Male in die Hand – an langen Winterabenden, wenn draußen der Schnee auf den Bergen liegt und die Flamme rätselhaft im Kamine emporsteigt, flackernd und knisternd. Man spielt »Schwarzen Peter«. – Agnes, Bertha, Paul und Mathilde sitzen um den runden Tisch, und wer verliert, der bekommt einen schwarzen Strich, und wenn Paul dreimal verliert, da bekommt er auch drei Striche, und fängt er an zu weinen: da lacht man ihn aus, und Agnes fällt [360] ihm um den Hals und küßt ihn, trotz seines Schnurrbarts, und der Abend verstreicht unter Scherz und Jubel, und es gibt kein schöneres Spiel als der »Schwarze Peter«.

Herr von Schnapphahnski trieb es nicht so unschuldig. Wie wir schon erzählten, saß er in Aachen am Grabe Karls des Großen und spielte Roulette – –

Beiläufig bemerkt, war Aachen bis in die neueste Zeit hinein ein höchst unbekannter Ort. Erst vor kurzem wurde er durch Heinrich Heine entdeckt und nach Verdienst besungen. Die Schönheiten Aachens sind erst durch Heine recht ans Licht gekommen. Man hatte früher nur eine dunkle Ahnung davon. Man wußte nur, daß Karl der Große, seliger, dort verstorben und vergraben sei, daß die Bauern der Umgegend alle sieben Jahre zu der Kunstausstellung des heiligen Hemdes und die Bonner Studenten jeden Sonntag zu dem naturgrünen Tische der Redoute wallfahrteten – die Bauern, um mit reuigem Herzen, mit verzückten Augen und gebeugten Knien vor dem wundertätigen Hemde ihre Andacht zu verrichten und von Not und Fegefeuer erlöst zu werden, – die Studenten, um im Schmuck der goldenen Locken an den grünen Altar der Croupiers zu treten und erst recht in Not und Fegefeuer hineinzugeraten. Das war indes auch alles, was jedem Kinde von Aachen bekannt war. Aber jetzt? Man kennt jeden Lieutenant auf der Straße, man kennt den Adler über dem Posthause, man weiß genau, womit sich die Hunde, die armen langweiligen Hunde, in Aachen beschäftigen. Genug, man kennt die winzigsten Kleinigkeiten, und wenn der ehrwürdigen Stadt jemals etwas Menschliches passieren sollte, wenn sie je einmal unterginge durch Pestilenz, Brand und Hunger: da wird man nur Heines »Wintermärchen« aufzuschlagen [361] haben, um den Feuer- oder Lebensversicherungsgesellschaften die beste Anleitung zu geben, in welcher Weise sie das Zerstörte zu ersetzen haben, sei es an Häusern, Menschen oder Vieh.

Nie hatte Aachen glänzendere Tage als bei der Anwesenheit des Herrn von Schnapphahnski. Der edle Ritter ließ die Aachener Bank aber auch gehörig für die Ehre seines Besuches zahlen, und mit gefüllter Kriegeskasse reiste er dann nach München.

Nicht ohne Zittern und Zagen geschah indes diese Reise. Denn wenn in München auch nicht wie in Berlin jeder Gardelieutenant mit dem Finger auf unseren Ritter zeigen und seinen Kameraden fragen konnte, ob jener Herr von Schnapphahnski derselbe Schnapphahnski sei, der einst die schriftliche Erklärung gab, daß er sich in der berühmten Liebesaffäre mit Carlotta höchst unzweideutig benommen habe, so war doch wenigstens immer die Möglichkeit vorhanden, daß dem edlen Ritter selbst in dem bayrischen Babylon ein Lakai des Grafen S. aus O. in Schlesien begegnete, und Herr von Schnapphahnski hatte nun einmal eine entschiedene Abneigung vor den Haselstöcken dieser Ungeschlachten. ›Und nähmst du die Flügel der Morgenröte und bettetest dich am äußersten Meere, die Arme der Lakaien aus O. in Schlesien können dich doch noch erreichen!‹ – Also dachte unser Ritter, und es versteht sich von selbst, daß er auch in München nicht auf der Stelle mit der alten Keckheit aufzutreten wagte.

Jedenfalls tat er das, was auch jeder andere vernünftige Mensch in seinem eignen wohlverstandenen Interesse getan haben würde. Er suchte nämlich seinem Erscheinen in München vor allen Dingen einen angenehmen [362] Geruch vorhergehen zu lassen, um auf diese Weise jeder möglichen Gefahr wenigstens in etwas vorzubeugen.

Der sinnreiche Junker hatte bereits durch die Herausgabe seiner Memoiren ein gewaltiges Stück in diesem Punkte vorgearbeitet. Indem er nämlich seine spanischen Abenteuer schilderte und sich dabei von Gottes und Rechts wegen in ein ungemein günstiges Licht stellte, hatte er wirklich die trostlosen Ereignisse früherer Jahre vorteilhaft zu balancieren gewußt. Gewöhnliche Vergehen würden gänzlich durch die spanischen Lorbeeren unsres Helden gesühnt worden sein; aber Herr von Schnapphahnski begriff, daß er ein zu interessanter Sünder sei, als daß nicht noch einige außerordentliche Mittel zu seinem Heile angewandt werden müßten.

Er mietete daher einige seiner alten spanischen Genossen, mehrere seiner Kameraden unter Don Carlos, die nach ihrer Rückkehr aus Spanien an der Wüstenleere der Taschen litten, und sandte sie als die Herolde seines Ruhmes oder besser als die Rosenölflaschen, die ihm den erwünschten guten Geruch bereiten möchten, voraus nach München. Die zwei hauptsächlichsten dieser Ruhm- und Rosenölflaschen waren der Königl .... Oberst Graf K. und der frühere Königl .... General von R., zwei Leute, die des blanken Geldes geradeso dringend bedurften wie Herr von Schnapphahnski des guten Geruches.

Einmal engagiert, waren Graf K. und General von R. viel zu ehrliche und gewissenhafte Spießgesellen, als daß sie nicht alles aufgeboten hätten, um den Sold ihres Meisters auch wirklich zu verdienen. Sie zogen von Haus zu Haus, agitierend und intrigierend, und als vierzehn Tage herum waren, da duftete auch schon ganz München nach [363] dem Ruhme des trefflichsten aller Ritter, nach den Lorbeern des Herrn von Schnapphahnski.

Endlich erschien unser Held in eigner Person, und es war nicht anders, als ob ein zweiter Frühling über der Biermetropole emporstiege. – Die Männer zitterten, die Weiber erröteten, und gewandt wie ein Wiesel wedelte und scharwenzelte der edle Ritter durch alle Salons. Man kann wirklich sagen, daß unser Held in diesem Augenblicke seine schönsten Triumphe feierte.

Meine Leser werden es mir hoffentlich erlassen, dieselben weitläufig zu schildern. Es wäre auch unmöglich, den edlen Ritter ganz naturgetreu zu zeichnen. Herr von Schnapphahnski strahlte von Anmut und Lügenhaftigkeit; nach kurzem war er schon wieder ganz der alte, und wenn er morgens, mittags und abends in den Spiegel sah, da verbeugte er sich vor seinem eignen Antlitz und gestand sich, die Hand aufs Herz legend, daß er der schönste Mann seines Jahrhunderts sei.

In München weilte damals in der Nähe des kunstsinnigsten aller christlichen Germanen ein gewisser Herzog von ......, ein Mann, den die Mainzer und Koblenzer Bajaderen besser als alle züchtigen Weiber der Gegenwart zu schätzen wissen werden. Wenn sie ihren Freund auch einst inkognito an die frische Luft setzten, so machte dies wenig aus. Der Herzog versöhnte sich wieder mit seinen alten Bekanntinnen, und die guten Mainzer und Koblenzer wissen von dem freudenfreundlichen Manne viel galante Affenteuer zu erzählen.

Es konnte nicht fehlen, daß der Herzog bei seinem Münchener Aufenthalt auch auf den Ritter Schnapphahnski stieß ... Tagtäglich hörte er von der ruhmreichen Vergangenheit unsres Helden erzählen, und es[364] versteht sich von selbst, daß er schließlich vor Eifersucht zu zerspringen meinte. Als man daher einst seinen trefflichen Rivalen wieder bis in den Himmel erhob, strich der Herzog nachlässig den Schnurrbart und meinte, daß er nach den Antezedenzien des edlen Ritters nicht leicht an seine hohe Bravour glauben könne. Wie ein Nadelstich traf diese Äußerung das fröhliche Herz unsres armen Ritters, und kaum davon in Kenntnis gesetzt, läßt er den Herzog auch schon wegen seiner unerquicklichen Äußerung zur Rede stellen. Er bemerkt ihm, daß alles nur auf Unkenntnis beruhen könne und daß er, der edle Ritter Schnapphahnski, sich wegen seines unvergleichlichen Heldentums auf das Zeugnis des – Generals von R. berufe, den der Herzog jedenfalls als kompetent anerkennen werde ..., vor allen Dingen möge der Herzog seine Äußerung zurücknehmen.

Der Freund der Mainzer und der Koblenzer Bajaderen weigert dies, und im Nu verbreitet sich die Geschichte durch alle Salons.

Herr von Schnapphahnski sieht sich daher in die unangenehme Notwendigkeit versetzt, dem Herzoge mit der ganzen unerbittlichen Frechheit eines Ritters ohne Furcht und Tadel auf den Hals zu steigen, und als er ihn furchtsam findet: fordert er ihn.

Selten hatte unserm Helden der Stern des Glückes heller gestrahlt als dieses Mal. Der Herzog will sich nämlich nicht schlagen; er verkriecht sich hinter seine Souveränität und behauptet, daß im unglücklichen Falle alle Bäche und Flüsse, von den Tränen seiner Untertanen zu reißenden Strömen angeschwemmt, Häuser und Weingärten hinwegreißen würden, daß sein etwaiger Tod das europäische Gleichgewicht stören könne usw., kurz, [365] je mehr sich der Herzog weigert, auf ein Duell einzugehen, desto gewaltiger schwillt unserm Falstaff-Schnapphahnski der Kamm, und als der Herzog endlich sein letztes Wort gegeben, da erklärt ihm der edle Ritter, daß der Herzog, wenn er sich wirklich dauernd hinter seiner Souveränität verstecke, auch in seinem Herzogtum bleiben und sich mit einer chinesischen Mauer umgeben müsse, denn an jedem andern Orte werde Se. Hochgeboren so frei sein, den unübertrefflichen Souverän mit der Hundspeitsche zu bedienen.

Münchens kunstsinnigster Barde, dem diese Äußerung überbracht wurde, nahm sie im höchsten Grade übel, und unser Ritter hatte das Pech, zwar nicht in ein Kirchenfenster des Kölner Doms, wohl aber aus den heiligen Bierstaaten Sr. Majestät für immer verbannt zu werden.

9. Wien

IX
Wien

Ich habe mir oft im Leben Feinde gewünscht, bitterböse Feinde in Menge. Nichts schien mir langweiliger, als mit der ganzen Welt auf gutem Fuße zu stehen. Nun ich älter werde, begreife ich allmählich, daß mein Wunsch in Erfüllung gehen mag, ja, ich glaube an Vater Goethes Worte, und sinnend schaue ich hinaus in die Zukunft.

Was wird sie bringen? Wer wird mein Feind sein? Schütze mich Gott vor den Weibern!

Ja, ihr unsterblichen Götter, beschützt mich vor dem Haß der Weiber! Kränkt mich mit falschen Freunden, plagt mich mit tobenden Gläubigern, hetzt mir alle Windhunde der Literatur auf den Leib und alle Erzengel [366] der Gerechtigkeit – es wird mir einerlei sein; nur bringt mich nicht um die Liebe der Weiber! – Oh, ein Weib kann entsetzlich sein.

Wehe, wenn eine schöne Frau dir Rache geschworen! Du bist verloren; sie wird dich verderben. Lachen magst du, wenn sie mit dem kleinen Fuße den Boden stampft; lachen, wenn sie die Lilienfinger zu zorniger Faust ballt; lachen, wenn sie errötet bis über den Busen; lachen, wenn ihre Augen Schmerz und Erbitterung funkeln; lachen, wenn sie gebrochnen Lautes dich verflucht und verdammt, und lachen, wenn sie groß, schlank und gebieterisch sich erhebt, um dir höhnisch die blendenden Zähne zu zeigen. Ja, lachen magst du für einen Augenblick, für einen Monat, für ein Jahr; aber kommen wird endlich der Tag, wo ihr Zorn dich erreicht, wo sie mit grausamen Händen dein zitterndes Herz packt, wo sie dein Herz aus der ruchlosen Brust reißt und das blutrote Herz helljubelnd in die Luft wirft und es wieder auffängt wie einen Ball, ja, Ball mit deinem Herzen spielt, bis es gebrochen und verblutet ist, dein armes blutrotes Herz ...

Herr von Schnapphahnski hatte nicht das Glück, von einer schönen jungen Frau gehaßt zu werden, was aber noch weit schlimmer war: es haßte ihn eine Frau, die früher einmal schön und jung gewesen.

Von München hatte sich unser Ritter nach Wien gewandt. Es war im Februar 1840. Voran eilten ihm wieder Graf K. und General R., die bankrotten Genossen der spanischen Kriege, um ihrem Herrn und Meister den Weg zu bereiten. Wenn sie den Ruhm unseres Helden in München ausgeflüstert hatten, so suchten sie ihn in Wien auszuposaunen. Alle Springfedern wurden wieder in Bewegung gesetzt. Graf K. und General R. wetteiferten [367] in Erfindung der märchenhaftesten Aventüren. Ein Louvet hat seinem Chevalier keine interessanteren Streiche angedichtet als die beiden Landsknechte des Don Carlos unserem trefflichen Junker.

Weit vor den Gaskonaden der beiden sinnreichen Herolde flog indes unserm Ritter ein solcher Ruf von Unausstehlichkeit und Impertinenz, von Indiskretion und Effronterie vorher, daß sich schon längst, ehe er in Wien eintraf, eine wahre Ligue in der Wiener Gesellschaft gebildet hatte, die fest entschlossen war, unsern Helden weder zu sehen noch zu empfangen. Die Geschichte mit der Gräfin S., die jedermann bekannt war, trug viel zu dieser allgemeinen Abneigung bei. Man fragte sich erstaunt, wie es ein Edelmann noch wagen könne, öffentlich aufzutreten, wenn er sich jeden Augenblick den Stöcken der gräflichen Lakaien aussetzen müsse, und mit stillem Hohngelächter sah man der Ankunft des Ritters entgegen. Endlich erschien er, schön wie immer.


»Zierlich saß ihm Rock und Höschen,
Doch noch zierlicher die Binde. –«

Beau Brummell, der Dandy König Georgs IV., tändelte nicht koketter durch das Drawing-room seines Herrn als Herr von Schnapphahnski durch die Wiener Gassen. Aber ach, vergebens war alle Liebenswürdigkeit unseres Ritters. Umsonst ließ er alle Minen springen. Das ganze Pulver seiner Frechheit verschoß er Schuß auf Schuß; aber er schoß keine Bresche in die Wiener Gesellschaft.

Ein einziger Mann, ein Löwe der Wiener Salons, Fürst H ..., nahm sich zuletzt aus Mitleid seiner an, und vielleicht hätte der große Kredit dieses Mannes ihn [368] »durchgesetzt«, wenn sich nicht plötzlich wieder eine andere Jugendsünde unseres Helden, ganz im Stile seines Abenteuers mit Carlotten, auf eine schreckliche Weise an ihm gerächt hätte.

Die kleine Historie, die wir jetzt erzählen werden, greift so tief in das Wiener Leben ein und berührt so weltbekannte Personen, daß wir uns, um nicht indiskret zu werden, lieber aller Ausschmückungen enthalten wollen, um uns rein an die vorliegenden, von sehr guter Hand geschriebenen Aktenstücke zu halten.

Prahlend hatte nämlich einst ein Herr von Schnapphahnski bei seinem Aufenthalt in Paris einigen Freunden das Porträt der Fürstin ..., der Gemahlin jenes Mannes, vorgezeigt, der noch bis vor kurzem die Geschicke so vieler Völker in seinen Händen hatte und der vielleicht in diesem Augenblicke mit dem alten Usurier der Tuilerien auf dem Schachbrett jenes Spielchen wieder aufnimmt, was er auf dem Felde der Politik jüngst so schmählich verlor.

Herr von Schnapphahnski rühmte sich, daß er in der Gunst dieser Dame gestanden habe.

»Die Fürstin, hinlänglich blasiert darüber, wenn man sich ihrer Liebesgunst rühmte, wo diese wirklich gespendet wurde, wollte es gleichwohl nicht dulden, daß ihr Ruf leide, wo sie keine Gegenleistung erhalten hatte.« – Ich führe diese Passage wörtlich aus den vorliegenden Manuskripten an, da sie von zu köstlicher Naivität ist, als daß auch nur ein Jota daran verändert werden dürfte. Wohl zu merken: die Fürstin will ihrem Gemahle nur deswegen keine Hörner von unserm Ritter aufgesetzt wissen, weil sie keine »Gegenleistung« von ihm erhalten hat!

Gibt es eine feinere Wendung des Stiles? Gegenleistung, [369] ja, Herr von Schnapphahnski, Gegenleistung! Prägen Sie sich das tief ins Gedächtnis. Gegenleistung! that's the job! Leisten Sie etwas, Herr von Schnapphahnski. Um Gottes willen, leisten Sie etwas, ehe Sie sich Ihrer Eroberungen rühmen, sonst wird man auf allerlei seltsame Vermutungen kommen. Man verlangt nicht von Ihnen, daß Sie ein Maximin sind, ein Mann wie jener kräftige Jüngling in goldener Rüstung, von dem alle römischen Damen Mutter zu werden wünschten und der auch viele Schmachtende zu trösten wußte, ehe sein abgeschlagenes Haupt gleich einem »schönen Gespenste« von dem Gitter seines Palastes sah. Man verlangt auch nicht, daß Sie dem Stuhlrichter Warga, jenem Graner Repräsentanten, gleichen, gegen dessen Zulassung zum ungarischen Parlamente man im verflossenen Juli in Pest so sehr protestierte, weil der glückliche Mann während seiner zehnjährigen Amtsdauer 4000 Mädchen verführte ..., nein, auch mit den handfesten Lakaien des Grafen S. aus O. in Schlesien will man Ihnen gern den Wettstreit erlassen; aber lieber, teurer Ritter, leisten Sie etwas, etwas, etwas! Denn bei all Ihren Liebschaften, die wir erzählten, sind Sie noch nicht bis zu dem Punkte gekommen, der gerade die Pointe jeder Liebschaft ist ..., weder bei der Gräfin S. noch bei der Schwester des Grafen G., noch bei Carlotten, ja, leisten Sie etwas, und das recht bald, sonst werden Ihnen alle Ihre trefflichen Reden nichts nützen, sonst werden trotz aller Ihrer angenehmen Manieren die Geister der Unweisen auf der Galerie sitzen und über Sie lachen, sonst wird man trotz alledem jenen hübschen Vers auf Sie anwenden, daß sehr oft die

» ....gens d'esprit, d'ailleurs très estimables

Ont fort peu de talent à former leurs semblables.«

[370] Die Fürstin ... wollte also nicht, daß unser Held sich ihrer Liebe rühme, ohne ihr Gegenleistung gewährt zu haben. Armer Schnapphahnski, das war Pech! – Gott weiß es, heißt es in den betreffenden Dokumenten weiter, wie der Ritter zu dem Porträt der Fürstin gekommen war. Sicher ist, daß er die Gunst jener hohen Frau nie genossen und daß er sich derselben mit vollkommenem Ungrund rühmte. Übrigens ist die Fürstin seine ..., und er kann daher auf verwandtschaftlichem Wege leicht zu dem Miniatur-Porträt gekommen sein, das er als Beweis-pièce vorzeigte.

Madame ..., der die freche und grundlose Kompromittierung von seiten unsres Helden längst zu Ohren gekommen war, wurde natürlich sehr lebhaft daran erinnert, als sie den edlen Ritter plötzlich in eigner Person nach Wien hinübervoltigieren sah, und es war hauptsächlich durch ihre Vermittlung, daß jene League entstand, welche Sr. Hochgeboren den Zutritt zu der Wiener Gesellschaft à tout prix zu verbarrikadieren suchte.

Man verbrüderte sich förmlich, um ihn weder zu empfangen noch um irgendein Haus zu besuchen, wo er empfangen wurde. Einer Dame, bei welcher er seinen Besuch durch den Fürsten H ... bewerkstelligte, wurde ohne weiteres notifiziert, daß sie auf alle andern Besuche verzichten müsse, wenn sie den Ritter Schnapphahnski bei sich empfange.

Die Anstrengungen des Grafen K. und des Generals v.R. waren nutzlos; ihre besten Anekdoten blieben ohne Erfolg; der Ruf unsres Helden war für immer untergraben, und unerbittlich schlossen sich vor ihm alle Türen.

Herr von Schnapphahnski überzeugte sich davon, was [371] es heißt, mit wütenden Frauen zu tun zu haben. Gegen ein feindlich gesinntes Weib helfen weder Säbel noch Pistolen; ein Weib, das dich vernichten will, ist gefährlicher als alle falschen Freunde, als alle wütenden Gläubiger, als alle bezahlten literarischen Windhunde, als tausend Sbirren; eine Frau, die dich haßt, wird dich eher niederwerfen als ein Regiment Dragoner, als eine Batterie Vierundzwanzigpfünder – ein Weib ist allmächtig. Wehe dir, wenn sie mit ihren schwachen Händen in die Räder deines Schicksals greift: zitternd wirst du zum Stillstand kommen! Und wäre auch bei der Dauer des Kampfes das Rot ihrer Lippen verblichen, der Glanz ihres Auges erloschen und das Braun ihrer Haare silberweiß geworden: kommen wird die Stunde, wo sie ihren Fuß auf deinen Nacken setzt, wo sie sich königlich schön erhebt, wo sie in der Majestät des Glückes mitleidig auf dich hinablächelt und wo du fühlst, daß du ein Leben der Schmach hinter dir hast, ein Leben der Schande, weil du dich vergingst, ja, weil du gesündigt hast an einem Weibe. –

Wie gesagt, Herr von Schnapphahnski machte in Wien vollständig Fiasko. Aus München hatte man ihn ausgewiesen, weil er so heroisch war, sich an einer furchtsamen Souveränität zu vergreifen; aus Wien wurde er durch die Abneigung der Damen verjagt, die alle bei dem Gedanken zitterten, daß sie sich bei der geringsten Berührung mit dem herrlichen Ritter auch schon nach kurzem in ein süßes Verhältnis mit ihm verwickelt hören müßten.

Ingrimmig verließ Se. Hochgeboren Wien. Aber wie er nie damit zufrieden war, eine einfache Niederlage erlitten zu haben, so konnte er auch dieses Mal nicht umhin, einem Unglück noch eine Jämmerlichkeit hinzuzufügen. [372] Er suchte nämlich die Fürstin ... dadurch zu strafen, daß er über den wirklichen Geliebten derselben, über den spanischen Chevalier ..., eine Infamie erdichtete und veröffentlichte, eine Infamie, von der er seinen Bekannten selbst eingestand, daß er sie nur fingiert habe, um sich an der Fürstin zu rächen. Glücklicherweise brachte ihm diese Niederträchtigkeit eine wohlverdiente Züchtigung.

10. Die Huldigung

X
Die Huldigung

Es ging Herrn von Schnapphahnski wie den jungen Katzen, die sechsmal aus der Dachrinne in die Straße hinunterpurzeln können, ohne den Hals zu brechen. Unser Ritter besaß wirklich vor allem andern die Eigenschaft, daß er ein unbeschreiblich zähes Leben hatte.

Nach so fatalen Niederlagen, wie sie unser Held in München und Wien erfuhr, würde jeder andere Mensch nach Indien, nach Amerika oder nach einem Eiland des Stillen Ozeans gereist sein. Nur ein Schnapphahnski durfte noch hoffen, auch an einem andern Orte eine Rolle spielen zu können.

Der Ritter konnte sich gratulieren, daß er deutscher Abkunft war, oder eigentlich wasserpolackischer. Wäre er als Pariser oder Londoner einmal in recht Schnapphahnskischer Weise durchgefallen, so würde er sich schwerlich so schnell wieder erholt haben. Bei den vielen Höfen des deutschen Vaterlandes wußte sich der erfinderische Mann aber schon eher zu retten, und Gott weiß es, zu welchen verwünschten Prinzessen er sich noch hinabgelassen hätte, wenn nicht um die Mitte des Jahres 1840 [373] durch den Tod eines großen Monarchen plötzlich so viele Hindernisse für unsern Helden aus dem Wege geräumt worden wären, daß er schnell wieder den Plan aufgab, sich einstweilen nur in den mehr verborgenen Sphären des germanischen Adels herumzutreiben, und es abermals wagen zu können glaubte, sogar in Berlin sein holdes Antlitz von neuem sehen zu lassen.

Sollte man es glauben? Schnapphahnski wieder in Berlin! – Man wird über die Keckheit unseres Helden lachen, wenn man bedenkt, wie schmählich er das dortige Feld einst räumen mußte. Wurde nicht das Abenteuer aus O. in Schlesien und das Duell aus Troppau noch manchmal bei Hofe erzählt? Lächelte nicht Carlotta noch immer so selig von der Bühne hinab in das Parkett, wo der Adonis der Garde stand, und wußte man nicht noch allerwärts die rührende Geschichte jener armen Tänzerin, die sich geradeso großmütig von des Ritters Diamanten trennte, wie der Ritter die Tänzerin ungroßmütig im Stiche ließ? Aber alles das machte nichts. Der Ritter war davon überzeugt, daß noch etwas aus ihm werden könne. Sein gewaltigster Feind war dahin; neue Gesichter verdrängten die alten, und unser Held hätte nicht Schnapphahnski heißen müssen, wenn er nicht versucht hätte, die Wendung der Dinge auch für sich zu exploitieren. Keck setzte er den Fuß wieder in das Berliner Leben.

Schnapphahnski mußte etwas wagen, denn er hatte drei Sachen nötig, drei Dinge, die man ungern im Leben zu entbehren pflegt. Unser Ritter bedurfte des Vergnügens, der Ehre und des Geldes; nach dem letzteren sehnte er sich am meisten. Für das Vergnügen war in Berlin schon gesorgt; Ehre konnte der Umschwung der politischen [374] Zustände mit sich bringen; mit dem Gelde sah es am schlimmsten aus, und kopfschüttelnd dachte unser Ritter bisweilen an das alte Sprichwort: »Wo Geld ist, da ist der Teufel; aber wo keins ist, da ist er zweimal.«

Über die Geldverhältnisse unseres Helden finden wir in den schon erwähnten Dokumenten die genauesten und wichtigsten Aufschlüsse. Wir würden unserm Freunde gern die Demütigungen ersparen, so vor allem Volke seine Tasche umzukehren. Leider sehen wir uns aber gewissermaßen dazu gezwungen, denn die spätern Liebesabenteuer unsers Ritters stehen in so genauem Zusammenhange mit seinem Beutel, daß wir wirklich das eine nicht ohne das andere schildern können.

»Die in der Wasserpolackei gelegenen Güter Schnapphahnskis«, heißt es in unsern Notizen, »waren fast gänzlich ertraglos, da enorme Schulden auf ihnen lasteten, Schulden, die dadurch täglich stiegen, daß der edle Ritter auch nicht im entferntesten nur soviel Einkünfte besaß, als zur Bezahlung der Hypothekenzinsen nötig waren. Der Vater Schnapphahnskis schaffte sich einen Teil dieser Schuldenlast auf höchst geniale Weise vom Halse, indem er sich seinerzeit freiwillig interdizieren ließ. Die Güter gingen durch dieses Manöver auf den damals noch blutjungen Ritter über, der die Schulden des Vaters nicht bezahlte, da Majorate nicht angreifbar sind und selbst auf die Revenuen derselben nur so lange von den Gläubigern gerechter Anspruch gemacht werden kann, als der eigentliche Schuldner Herr des Majorates ist.

Durch dieses feine Finanzkunststück der Familie Schnapphahnski war zwar mit den Schulden großenteils tabula rasa gemacht und manche bürgerliche Kanaille ruiniert [375] worden. Aus Mangel an jedem Betriebskapitale gerieten indes die Güter sehr bald wieder in die alte Lage. Alle ihre Einkünfte wurden abermals verpfändet, und der ganze Besitz war wiederum von Hypotheken erdrückt. An und für sich sind die Einkünfte dieser Güter sehr bedeutend.

Tzztzztzzt« – hier trägt das Manuskript einen unaussprechlich schönen wasserpolackischen Namen, den wir dem Scharfsinn unserer Leser zu buchstabieren überlassen – also, »an und für sich sind die Einkünfte dieser Güter sehr bedeutend. Tzztzztzzt hat in ganz Deutschland die beste Zucht von Merinomutterschafen und Böcken.« – Ich bitte meine freundlichen Leserinnen höchst aufmerksam zu sein, da meine Skizzen über Herrn von Schnapphahnski in diesem Augenblicke sehr belehrend werden. – »Diese Merinomutterschafe und Böcke werfen allein jährlich einen Ertrag von 60.000 Talern Revenue ab, von denen Se. Hochgeboren indes damals nicht einen Heller besah.« –

Armer Schnapphahnski! Für 60.000 Taler Schafe und Böcke, und dann nicht einmal einen Pfennig Einkommen. – Das ist unbegreiflich, das ist entsetzlich! Übrigens hat die Geschichte etwas sehr Patriarchalisches. Man denke sich den kleinen Schnapphahnski »sporenklirrend, schnurrbartkräuselnd« mitten zwischen seine Schafe und Böcke tretend. Zu seiner Rechten stehen die Schafe, zu seiner Linken die Böcke. »Verehrte Mutterschafe und Böcke«, beginnt Schnapphahnski, »ich bin im höchsten Grade erfreut, euch wiederzusehen. Ich habe viel gereist, und außerordentliche Taten bezeichnen meine Laufbahn. In O. in Schlesien setzte ich dem Grafen S. ein Paar Hörner auf (hier unterbrach den Redner das freudige Geblök[376] sämtlicher Böcke). In Troppau erschlug ich den wilden Menschenfresser, den Grafen G. (allgemeines Erstaunen). In Berlin kostete ich den Lilienleib Carlottens (alle Schafe schlagen verschämt die Augen nieder). In Spanien erwarb ich mir unsterblichen Ruhm unter Don Carlos (Schafe und Böcke brechen in Oho und Bravo aus). In München erschoß ich den Herzog von ...... und wurde deswegen verbannt (schmerzliche Rührung auf allen Gesichtern). In Wien drohte mich die Liebe der Damen zu erdrücken (die Böcke wedeln und beißen einander in die Ohren). Verehrte Herde, teure Majorats-Mutterschafe und Böcke! Ihr begreift, daß mich ein wehmütig süßes Gefühl beschleichen muß, wenn ich nach so ungewöhnlichen Fahrten und Schicksalen endlich in euren stillfriedlichen Kreis zurückkehre (stilles Einverständnis aller Seelen). Oh, es ist mir zumute wie einem jener alten Nomaden, die uns das Buch der Bücher in so trefflichen arabeskenhaften Märchen zu schildern sucht. Gleiche ich nicht einem Joseph, einem Benjamin oder lieber jenem


– – – Sohne des Hethiten,
Der einst die Maultier in der Wüst erfand,
Als er des Vaters Esel mußte hüten?
(Allgemeines Interesse.)

Oh, ihr Gespielen meiner Jugend, ihr lieben Angehörigen der Familie Schnapphahnski, seid mir gegrüßt, ja, seid mir von Herzen willkommen! Mit euch aufgewachsen bin ich, ihr unvergleichlichen Mutterschafe, und gern denke ich noch daran, wie ich euch oft so zärtlich an die Lämmerschwänzchen faßte. Ja, mit euch habe ich mich entwickelt, ihr herrlichen Böcke, und nie werde ich vergessen, daß ich von euch alle meine tollen Sprünge lernte, [377] bis ich endlich älter und erfahrener wurde und zu einem großen Sündenbock gedieh (rauschender Beifall). Ihr Schafe zur Rechten und ihr Böcke zur Linken, hört meine Rede! Beide liebe ich euch, und es ist nur aus altadliger Courtoisie, daß ich mich gewöhnlich mehr der Rechten zuwende, ja euch, ihr trefflichen Mutterschafe, da ihr der Stamm und der Hort der ganzen Rasse seid (Bravo! Bravo! auf der Rechten). Oh, mein Enthusiasmus für euch und für diese Versammlung kennt keine Grenzen. Mit euch, ihr Schafe und Böcke, will ich schaffen und wirken für alle Schafe und Böcke außerhalb dieser Versammlung (stürmische Jubelunterbrechung). Groß ist unsere Aufgabe, aber nichts wird uns erschüttern. Einer der kühnsten Streiter, stehe ich unter euch, heiter das Haupt erhebend, und nur eins, ach, kränkt mich und schnürt mir das Herz zusammen (peinliche Aufmerksamkeit und lautlose Stille). Ja, eins nur tut mir weh, daß ihr herrlichen Merinomutterschafe und Böcke all miteinander hypotheziert seid und daß ihr nicht geschoren werdet – für mich.«

Es wird meinen Lesern nicht entgangen sein, daß die Beredsamkeit unsres Helden namentlich in einer tieftraurigen elegischen Wehmut ihren Hauptreiz hat. Viele der ausgezeichnetsten Schafe und Böcke haben mir versichert, daß sie bei verschiedenen Gelegenheiten wahrhaft davon bezaubert gewesen seien und sich schon bereitgehalten hätten, den Demosthenes der Wasserpolackei mit einem Donner des Applauses auf seinen Sitz zu begleiten, wenn nicht wider Erwarten, trotz aller adligpatriarchalischen Phrasen, schließlich der Finanznot blasse Wehmut, tiefe Trauer zum Vorschein gekommen wäre und der ganze Sermon in einem unsterblichen Gelächter sein Ende erreicht hätte.

[378] Ja, die Finanznot! Sie spielt in dem Leben unseres Helden eine ebenso große Rolle als die Liebe. Die Finanznot war es auch, welche Sr. Hochgeboren vor allen Dingen wieder nach Berlin trieb.

Es wäre hier die Stelle, näher auf die Festlichkeiten einzugehen, die bei der Huldigung im Spätjahre 1840 in Berlin statthatten. Wir unterlassen dies aber. Herr von Schnapphahnski hatte sich natürlich sehr darauf gefreut. Er hoffte, daß man bei dem allgemeinen Tumult nicht mehr an seine seltsame Vergangenheit denken würde. Mit der angebornen liebenswürdigen Frechheit glaubte er, das Verlorene wiedererobern zu können und dann auch schnell zu Amt, Ehre und Kredit, kurz, zu allem zu gelangen, was das Dasein wünschenswert macht.

»In Berlin«, heißt es in unsern Manuskripten, »wartete Sr. Hochgeboren aber ein äußerst schlechter Empfang von seiten der schlesischen Ritterschaft. Nach langen Debatten beschloß dieselbe nämlich, zu einem Diner, das sie als Korporation gab, Herrn von Schnapphahnski nicht zuzulassen. Unser Ritter fand sich aber dennoch ein und setzte sich mit zu Tische. Da erhob sich die ganze Ritterschaft ...«

11. Die Nordsee

XI
Die Nordsee

Die Gelehrten, die in keinem Punkte übereinstimmen, sind natürlich auch darüber uneinig, was aus Sr. Hochgeboren, dem Ritter Schnapphahnski, wurde, nachdem er in Berlin so glänzend Fiasko gemacht hatte. Einige behaupten, er sei sofort auf seine Güter nach der Wasserpolackei gereist; andere lassen ihn dagegen nach Norden [379] ziehen und schwören darauf, daß er plötzlich auf einer Insel der Nordsee unter dem Namen eines Grafen G.v.W. zum Vorschein gekommen sei, um eins der trefflichsten Abenteuer seines Lebens zu bestehen.

Schnapphahnski oder vielmehr Graf G.v.W. – erzählt uns einer dieser Herrn – war des Lebens müd und matt, als er von dem Huldigungsfestmahl aufstand. Er sprach kein Wort mehr, er ließ seine Sachen packen und bestellte Postpferde in die weite Welt – zunächst nach Hamburg.

In Hamburg hatte unser Ritter nicht im geringsten etwas Böses vor – denn ach, unser Held war zu kaduk. Er fühlte, daß er sehr unglücklich sei, und da gegen alles Unglück nichts besser ist als eine ausgezeichnete Zigarre, so hielt sich der hohe Reisende nur deswegen einige Tage in der liebenswürdigsten aller deutschen Städte auf, um die besten Importierten zu kaufen, die je die Magazine des Jungfernstieg durchduftet.

Als aber nun Koffer, Taschen und Büchsen mit den braunen Kindern der Havanna reichlich gefüllt waren, bestieg unser Held den Dampfer und fuhr die Elbe hinab, hinaus in die dicke blaue Meerflut.

In der frischen, freien Natur, dachte der Ritter, wirst du all dein Mißgeschick vergessen. Verflucht sei das Land! Gesegnet sei das Wasser! Wenn die Wellen dich schaukelnd dahintragen und die Wolken wie geflügelte Gletscher das Blau des Himmels durcheilen und wenn dich endlich ein Eiland aufnimmt, wo nur fromme, robuste Fischer wohnen und stämmige Nereiden und wohlmeinende Austern: oh, da wird dein krankes Herz gesunden, und du wirst ein Glücklicher unter Glücklichen sein und ein billiges, gottgefälliges Leben führen in Ewigkeit. –

[380] Wie in so manchen Sachen, irrte sich der Ritter auch in diesem Punkte, denn nichts kuriert einen vernünftigen Menschen weniger als die reine Natur, als eine sogenannte schöne Gegend.

Mit unserm kleinen, süßen Gewohnheitsplunder befinden wir uns in der finstersten Gasse einer lärmenden Stadt auf die Dauer besser, als vom Frührot umstrahlt auf dem Gipfel der Alpen unter Gemsböcken und dummen Kuhhirten. Ich lasse es mir gefallen, daß man sich alle Jahre einmal auf den Rigi setzt, auf den Snowdon oder den Blocksberg, um sich davon zu überzeugen, daß unser Herrgott auf eine wahrhaft geniale Weise seine großen Bergklötze durcheinanderwürfelte – eine Stunde, einen Tag lang mag man alles beschauen; aber dann auch hinab zu der ersten besten verwünschten Prinzessin!

Was geht mich die ganze Schweiz an, wenn ich in ein paar schöne Augen sehe?

Unser Held war daher auf einem ganz gewaltigen Irrwege, wenn er durch ein dauerndes Schwelgen in der schönen Natur zu gesunden dachte.

Hätte ich nur die Pläne des Ritters gewußt und wäre ich damals in St. Petersburg gewesen, so würde ich meinem Freunde auf der Stelle geschrieben haben: »Liebster Ritter, kommen Sie wenigstens nach St. Petersburg. Beschauen Sie sich die Paläste Sr. Majestät, des großen Bären. Amüsieren Sie sich an der steifen Parade der kaiserlichen Truppen. Suchen Sie vergebens einige hungrige russische Beamten zu bestechen, und fahren Sie auf einem abscheulich guten Wagen nach Moskau oder zu Schlitten nach Sibirien – Sie werden wie gerädert dort ankommen; Hören und Sehen wird Ihnen vergehen, und Moses und [381] die Propheten werden Sie vergessen und folglich auch Ihr Unglück.

Oder reisen Sie nach London! Ich gebe Ihnen ein Empfehlungsschreiben mit an meine Freunde in Eastcheap. Dort treffen Sie den unvergleichlichen Sir John Falstaff. Er frühstückt bei Frau Hurtig und wird Sie mit Dortchen Lakenreißer bekannt machen und mit Bardolph und Pistol und andern hervorragenden Persönlichkeiten des Jahrhunderts. Mancher wird Ihnen freilich versichern, daß dies nicht die beste Gesellschaft sei; aber das ist reine Verleumdung. Ein englischer Literat namens Shakespeare ist schuld daran. Er hat in seinen verwerflichen Dramen die nachteiligsten Dinge über den wahrheitsliebenden Sir John und über das tugendhafte Dortchen erzählt. Aber dafür erscheint er denn auch vor der Sternkammer, d.h. vor dem Zuchtpolizeigericht; die Klage lautet auf Kalomnie, und da der unglückselige Angeklagte in dem rotnasigen Lord Brougham einen sehr schlechten Advokaten hat, so hofft man, daß besagter Herr Shakespeare wenigstens zu 3 Monat Arrest und zu 5 Jahr Verlust der bürgerlichen Rechte verdonnert wird. Was können Sie also Besseres tun, als nach London reisen, um diesen famosen Prozeß mit anzuhören?

Oder reisen Sie nach Paris! Paris ist der einzige Ort, wo ein vernünftiger Mensch auf die Dauer leben kann. Stellen Sie sich auf die Place de la Concorde, und wenn die Springbrunnen rings um Sie plätschern und wenn seitwärts der Duft aus tausend Orangenblüten emporsteigt und wenn die Hieroglyphen des Obelisks von Luxor im Abendgolde brennen und der Blick sich rechts in dem Lindengrün des Tuileriengartens und links in der Weite der Elysäischen Felder und in dem Duft verliert, [382] der geisterhaft über die Höhe des Arc de Triomphe einherwogt – und wenn sich nun der Abendwind aufmacht und das Tönen der Musik aus entfernten Gärten in leisverhallenden Klängen zu Ihnen herüberträgt und die reizenden Franzosen mit ihrer ganzen Lebendigkeit an Ihnen vorübertanzen und jetzt die sinkende Sonne ihren letzten Purpur, ihre flammendsten Rosenlichter auf die Wipfel der Bäume, auf die Perlen der Springbrunnen, auf das Blau der Wolken und auf die Wangen der lieblichsten Frauen der Welt wirft und endlich die ganze ungeheure Stadt wie im Bewußtsein ihrer Schönheit noch einmal im Rausche der Liebe und der Wollust emporzujauchzen scheint – nun, lieber Ritter, da will ich ein Dromedar sein, wenn Sie sich nicht wie ein Gott fühlen, wenn Sie nicht Ihre Leiden vergessen, wenn Sie nicht gern die ganze Welt für einen Pariser Pflasterstein verkaufen, für einen einzigen dieser heiligen Steine, die heller durch die Geschichte leuchten als alle Kronjuwelen, so den Schädel eines Fürsten zierten, von Salomo bis auf Reuß LXXII.«

Doch was hilft es, daß ich mir vorleiere, wie ich zu dem unglücklichen Ritter gesprochen haben würde? Unser Freund sehnte sich weder nach den Eispalästen Sr. Majestät, des großen Bären, noch nach der Taverne in Eastcheap, noch nach dem Obelisken von Luxor – traurig saß er auf dem Verdeck des schwankenden Dampfers, die Möwen schrien, die Wolken zogen, und »stop!« rief der Kapitän, da landeten sie auf einer Insel der Nordsee.

Ich mag es nicht unternehmen, meinen Lesern diese weltbekannte Insel näher zu schildern. Hunderte der geistreichsten Schriftsteller haben sich schon an diesem [383] Stoffe versucht, und es hieße wirklich Wasser in den Rhein tragen, wenn ich den trefflichen Reisebeschreibungen jener guten Leute noch meine unvollkommenen Notizen hinzufügen wollte.

Beschränken wir uns daher auf die Mitteilung, daß das Leben auf der fraglichen Insel möglichst langweilig ist und daß es wirklich ein Wunder gewesen wäre, wenn der arme melancholische Graf G.v.W. nicht schon nach kurzem recht eigentlich mit sich zu Rate gegangen wäre, wie er durch irgendeinen tollen Streich die Einförmigkeit eines Daseins brechen könne, das gewiß am allerwenigsten geeignet war, um ihn die Stürme der Vergangenheit vergessen zu lassen.

Aber wie sollte man auf dieser einsamen Insel einen tollen Streich begehen?

Sollst du mit den Fischern aufs Meer ziehen? fragte sich der Graf. Sollst du dich mit dem ersten besten Engländer herumboxen? Sollst du dich in eine Auster verlieben, oder sollst du gar zum Zeitvertreib heiraten? – –

O ihr unsterblichen Götter: heiraten! welch eine Idee! Übrigens wäre die Geschichte doch nicht so übel, dachte der Graf. In der Ehe langweilt man sich wenigstens nicht mehr ganz allein: man langweilt sich zu zweien, und dies ist schon ein Vorzug, ein sehr großer Vorzug! O himmlischer Vater, du weißt es, wozu die Langeweile einen Menschen verleiten kann – –

Ja, du weißt alles. Auch meine geheimsten Gedanken kennst du, und gewiß werden dir bei deinem vortrefflichen Gedächtnis noch jene ausgezeichneten Gebete oder, wie der alte Kant sagt, jene »oratorischen Übungen« erinnerlich sein, die ich manchmal in stiller Mitternacht »aus einem Rest von kindlichem Gefühle« zu dir emporlallte, [384] wenn ich mit des Jahrhunderts lieblichen Töchtern des Vergänglichen viel genossen hatte und nun plötzlich auf den närrischen Gedanken kam, daß ein treues Eheweib am Ende doch noch besser sei als alle jene undankbaren, unersättlichen Loretten, die der böse Herr Teufel gezeugt hat mit der schönen Frau Venus.

Du hast sie gehört, jene rührenden Gebete, und du wirst sie gnädig verziehen haben.

Sieh, o Vater der Götter, Zeus, du Wolkenversammler – sieh, Jehovah oder Odin oder wie du dich nennen willst: auch heute befinde ich mich wieder in dieser heiratslustigen Stimmung. Ich langweile mich auf dieser einsamen Insel; es ist nicht gut, daß der Mensch alleine sei; drum erhöre mein Gebet und nimm mir, wie weiland unserm Urgroßonkel Adam, eine Rippe aus der Seite, auf das ich morgen früh ein holdes häusliches Wesen an meiner Brust finde, im leichten Nachtkleid, eine Rose in Steifleinen. Also betete der Graf, und wenn er nicht wirklich der Ritter Schnapphahnski war, so werden meine Leser doch gestehen müssen, daß die »oratorischen Übungen« unsres Helden eine frappante Ähnlichkeit mit den Herzensergüssen Schnapphahnskis hatten.

Wie dem aber auch sei, soviel ist gewiß, daß der Himmel das Gebet des unglücklichen Grafen erhörte – wenn auch gerade nicht in streng-alttestamentlichem Sinne.

Denn sieh, als unser Graf einst mit mehreren gleichgesinnten Badeseelen in dem hübschen Gemache seines Hotels saß und eben damit beschäftigt war, statt der Diamanten des reinsten Wassers die Perlen des vorzüglichsten Champagners in die Nacht seines gramvollen Lebens hereinstrahlen zu lassen, da wurden plötzlich die Türen geöffnet und herein trat – – –

[385] Die schöne Insulanerin war ein liebenswürdiges Mädchen. Sie zählte etwa 24 Jahre, als sie der Herr Graf kennenlernte. Prächtig schwarzes Haar umfloß die blendend weißen Schultern, und der üppige Busen, die schlanke Taille und der kleine Fuß, doch vor allem der Liebreiz ihres seligen Lächelns: alles das hatte schon manchen Nordsee-Sohn halbtoll gemacht.

Ja, schon mancher wilde Bursche war zahm und liebegefoltert vor ihr in den Staub gesunken; aber keck hatte sie noch immer den Fuß auf ihrer Verehrer Nacken gesetzt, und der alte Ozean war der einzige, der sich rühmen konnte, daß er den Lilienleib der Schönen umschlungen und ihn im Gekräusel der Wogen davongetragen habe.

Da betrat Graf G. den Strand der Insel – – aber ich sehe zu meinem Schrecken, daß ich in vollem Zuge bin, eine Liebesgeschichte zu schreiben!

Genug, die schöne Insulanerin verliebte sich in den »reichen« Grafen; und der »bankrotte« Graf freute sich nicht wenig über sein rasches Glück. Die guten Eltern des armen Kindes waren zu sehr von den noblen Gesinnungen ihres Schwiegersohnes überzeugt, als daß sie seinen Werbungen etwas in den Weg gelegt hätten, und wer sonst von den einfachen Fischern den edlen Herrn mit so unendlichem Anstand Champagner trinken sah, der mußte sich gestehen, daß die jugendliche Insulanerin einen Gemahl bekomme, der überirdisch vornehm und liebenswürdig sei.

Se. Hochgeboren spielten die Farçe ausnehmend gut, ja, sie spielten sie schließlich von der Nordseeinsel hinüber nach Hamburg, wo sich wunderbarerweise ein katholischer Geistlicher fand, der nicht die geringsten [386] Schwierigkeiten machte, das abenteuerliche Paar zu trauen.

Bei einem Hamburger Advokaten existieren noch heutigen Tages die Akten über diese Vermählung, die später zu einer der interessantesten gerichtlichen Untersuchungen Veranlassung gab. Es geht daraus hervor, daß der schöne abenteuerliche Graf G. eigentlich durch nichts bewies, daß er wirklich der eheliche Sohn des Grafen G.v.W. usw. sei. Da der Herr Pfarrer aber so gefällig war, den Akt der Trauung mit seinem Gewissen zu vereinbaren, so konnte sich die schöne Insulanerin nichtsdestoweniger bald Komtesse de G. nennen und erschien unter diesem Titel mit ihrem Gemahle wieder auf der heimischen Insel, angestaunt von den nachbarlichen Fischern und vielfach bewundert von dem Schwarm neugieriger Gäste, den die Dampfer von Hamburg aus nach dem felsigen Eiland hinüberbrachten.

Wochen und Monate flossen so dahin, da trat eines Morgens der Herr Graf zu der liebenswürdigsten aller Gräfinnen und kündigte ihr an, daß er trotz der interessantesten Umstände, in denen sich die jugendliche Komtesse befand, einmal hinüberreisen müsse nach dem Vaterlande, um einige finanzielle Angelegenheiten zu ordnen, die lange genug vernachlässigt worden wären. Vergebens bat die junge Dame, daß der Herr Gemahl so freundlich sein möge, sie mit sich zu nehmen. Der Graf war unerbittlich, und als am folgenden Tage Eos mit Rosenfingern emporstieg und der Schlot des »Patrioten« in die frische Seeluft hinausdampfte, da wurden zum Abschied die Tücher geschwenkt, und die arme Komtesse sah ihren Gemahl – zum letzten Male.

Ja, der Herr Graf hat sich seitdem nicht wieder auf[387] der Insel sehen lassen. Umsonst waren alle Nachforschungen. Vergebens arbeiteten Advokaten und Pfaffen und stille Verehrer skandalöser Geschichten jahrelang daran, das Dunkel des gräflichen Verschwindens aufzuhellen.

Keine Spur hat sich entdecken lassen wollen –

Sollte der Herr Graf vielleicht einige Ähnlichkeit mit unserm Ritter Schnapphahnski gehabt haben?

Doch nein, es ist nicht möglich! Auf Helgoland sah man aber in jenen Jahren oft beim Sinken der Sonne eine hohe schwarzgekleidete Dame das Ufer entlangwandeln. Sie führte ein reizendes Mädchen an ihrer Hand, und wenn der Abendwind den dunkeln Schleier der seltsamen Frau emporhob, da sah man in ein schönes, totenbleiches Angesicht.

12. Die Herzogin

XII
Die Herzogin

Wie ein begossener Pudel, bleich, zitternd, kaduk, verließ unser Ritter Berlin. Es war ihm zumute wie weiland in den Pyrenäen, als er, ein flüchtiger Landsknecht, bespritzt von altspanischem Landstraßendrecke, das Weite suchte und aus Verzweiflung Autor wurde, ja, Schriftsteller – das Schlimmste, was einem Menschen im Leben passieren kann.

Es fröstelte unsern Helden. Die Zukunft dehnte sich vor seinen Blicken wie ein langer trüber Regentag. Gläsernen Auges stierte er hinaus in die Leere seines Daseins, einem zerlumpten Auswanderer gleich, der müßig über das wüste, einförmige Wogen des Meeres schaut und mit sich zu Rate geht, ob er die Reise in eine neue [388] Welt wagen oder ob er sich lieber hintereinander ersäufen soll.

Die ekelhafteste, hündischste Phase des Unglücks ist die, in der man gleichgültig und dumm wird. Ein Unglücklicher, der weint und wimmert wie ein verliebter arkadischer Schäfer, er kann schön sein, man wird ihn lieben können, und blonde Poeten werden ihn besingen und Stanzen und Sonette auf ihn dichten, und blauäugige Mädchen werden an ihn denken noch manchen stillen Sonntagnachmittag. Ein Mensch, der sich, wie ein Laokoon, schmerzgefoltert durch die Schlangen des Mißgeschickes windet: er wird unsere Herzen mit sich fortreißen, und ein großer Meister wird ihn in Marmor hauen, und ein zweiter Lessing wird vielleicht eine unsterbliche Kritik darüber schreiben, und kunstsinnige Könige und klassische Schulmeister werden sich daran erbauen bis an den Jüngsten Tag. Und ein Mann endlich, der, jenem Römer gleich, mit kalt-heroischer Trauer auf den Trümmern einer Welt sitzt: er wird uns fesseln durch die Ruhe seines Adlerauges, durch die Allgewalt seines Schicksals. – Herr von Schnapphahnski schnitt aber leider weder ein Gesicht wie ein arkadischer Schäfer noch wie der große Laokoon, noch wie ein alter Römer; er glich einem Unglücklichen, den man zehn Jahre lang in einem Zellengefängnisse marterte, der sich allmählich für den einzigen Menschen auf der Welt hielt, weil er niemand anders als sich sah; ja, der sich endlich einbildete, daß er längst gestorben wäre und daß der Tod nur in dem Leben eines Zellengefängnisses bestehe, und der sich immer mehr mit seinem Schicksale aussöhnte, bis er zuletzt vor freudigem Wahnsinne stupide lachte, ja, bis seine Seele so gespenstisch durch die eingefallenen [389] Augen schaute wie eine verwelkte Rose durch das zerbrochene Fenster eines Hauses, das morsch und menschenverlassen ist und über Nacht zusammenstürzen wird in Staub und Asche.

Genug, unser Ritter war ein verlorener Mann, eine leichtsinnige Fliege, die ins Licht flog und sich Kopf, Beine und Flügel verbrannte. Ja, noch mehr. Unser Held hatte sich blamiert; er hatte sich lächerlich gemacht; er war »unmöglich« geworden, in jeder Beziehung (ridicule et impossible).

Wir wollen es nicht versuchen, die Monologe unseres Helden wiederzugeben – die Monologe, die er zwischen Berlin und der Wasserpolackei hielt, wenn er bald die Götter bat, ihn in das räudigste Schaf zu verwandeln, das hypotheziert auf seinen Triften ging, und bald wieder wünschte, seinen Kopf in beide Hände nehmen zu können, um ihn gleich einer Bombe in den Olymp zu schleudern, daß der alte Olympos platze mit all seinen Göttern.

Schuldbeladen saß unser Held auf seinen verschuldeten Gütern. Seine Häuser, seine Felder, seine Schafe hatte er den Juden und den Christen verpfändet. Ihn selbst hypothezierte das Schicksal. Schnapphahnski war nicht mehr der alte Schnapphahnski. Man sagt, er habe in jenen Tagen manchmal in der Bibel gelesen – – erst nach geraumer Zeit sollte aus der melancholischen Puppe wieder der lustige Schmetterling springen. Diese Wendung in dem Trauerweidenleben unseres Ritters trat dadurch ein, daß ihm einst ein guter Freund aus alten Tagen ermunternd auf die Schulter klopfte und ihn darauf aufmerksam machte, daß er durch die Liebe unglücklich geworden sei und daß er folglich auch suchen müsse, durch die [390] Liebe wieder auf den Strumpf zu kommen. Ein tiefer Sinn lag in diesen Worten, und als der wohlmeinende Freund unseres Ritters noch hinzusetzte, daß sich ganz in der Nähe eine gewisse steinreiche Herzogin aufhalte, die zwar ein höchst dornenvolles, jedenfalls aber ein ungemein ergiebiges Feld der Eroberung darbiete, da erwachte unser Held plötzlich aus seiner Lethargie und faßte den Entschluß, seinen letzten großen Coup zu wagen – –

Ich komme jetzt im Laufe meiner Erzählung zum ersten Male an eine Stelle, wo ich unwillkürlich stutze und zurückschrecke. Die Feder versagt mir fast den Dienst; ich möchte sie gern wegwerfen; ich bin unschlüssig, ob ich überhaupt noch fortfahren soll: ich bin in der peinlichsten Verlegenheit. Meine freundlichen Leserinnen werden meine Not begreifen, wenn ich ihnen rundheraus sage, daß ich dazu gezwungen bin, mich über eine Dame auszulassen, deren Schicksale so wenig an das Leben einer Heiligen erinnern, daß ich wirklich nicht weiß, ob nicht manche Lilienwange über meine Schilderung leise erröten und manche kleine Hand diese Blätter zornig zerreißen wird in tausend Stücke. – Was soll ich tun?

Bin ich nicht bisher immer höflich gegen die Frauen gewesen? Suchte ich nicht die Ehre der trefflichen Gräfin S., jener schönen, edlen Frau, in jeder Weise zu wahren? Verteidigte ich nicht die Schwester des Grafen G.? Habe ich nicht von Carlotta die lautere Wahrheit gesagt? Nahm ich nicht die Tänzerin in Schutz, und schilderte ich nicht die Wiener Damen in ihrer ganzen sonnigen Hoheit? – Ach, und nun soll ich mit einem Male von einer Frau erzählen, deren Reize so unendlich zweideutig [391] sind, daß ich durch meine Schilderung beim besten Willen und bei der äußersten Zartheit doch mitunter gegen das Gefühl des Anstandes und der Galanterie aufs gröbste verstoßen muß, wenn ich nur einigermaßen der Wahrheit getreu bleiben will, der Göttin der Wahrheit, die bisher meine Feder führte mit unerbittlicher Strenge.

Doch wage ich es! Es sei! Möge der Stil meinen Gegenstand retten! Die Form ist alles!

Die Dame, auf welche Herr von Schnapphahnski sein Augenmerk richtet, ist die achtundfünfzigjährige Herzogin – – meine Leser müssen verzeihen; ich werde dies später erzählen.

Die Herzogin ist achtundfünfzig Jahre alt – also fast zweimal »schier dreißig«. Man muß gestehen, unser Ritter hatte plötzlich sehr seltsame Gelüste bekommen. »Unser Leben währet kurze Zeit; siebenzig Jahre, wenn's hoch kommt: achtzig –«, meint der Psalmist; achtundfünfzig Jahre ist schon ein hübsches Alter; ohne unhöflich zu sein, darf man von einer Achtundfünfzigjährigen sagen: »c'est une dame d'un certain âge.« – Die Herzogin ist klein. Sie ist äußerst zart gebaut; ja, man könnte sie – mager nennen, wenn dieser Ausdruck nicht gar zu unangenehm wäre. Unter vier Augen würde man sich sogar gestehen, daß die Herzogin mager wie ein Skelett ist.

Ich bitte sehr um Entschuldigung! Die Herzogin trägt falsche Waden – ich stoße immer wieder auf Schwierigkeiten. Falsche Hüften – ich verwickle mich immer mehr. Einen falschen Cul – aber jetzt höre ich auf. Mit der Toilette einer Dame ist nicht zu spaßen. Die Toilette ist etwas sehr Ernstes. Die Toilette ist alles! Namentlich bei der Herzogin.

[392] »Die Herzogin gleicht einem ausgestopften Raubvogel.«

Ich wasche meine Hände in Unschuld. Ich habe dies nicht gesagt. Es steht wörtlich so in meinen Manuskripten. Die Herzogin gehört also nach dieser Aussage in das Britische oder in das Leydener Museum. »Die Herzogin trägt auch die Physiognomie desselben, nämlich des Raubvogels: enorme geierartige Nase, Geieraugen, groß wie ein Teller – in früheren Zeiten von hoher Schönheit.« – Die holde Persönlichkeit der Frau Herzogin wird immer deutlicher. »Sehn Sie hier, meine Herren und Damen«, würde etwa ein Wärter des Britischen oder des Leydener Museums sagen, »hier sehen Sie den großen Raubvogel (jetzt käme irgendein lateinischer Name), jenes berühmte Tier, das auf den höchsten Höhen der menschlichen Gesellschaft nistet. Der Zahn der Zeit hat sehr merklich an diesem Vogel gerupft. Trotzdem werden Sie aber an der großen gebogenen Nase und an den grimmigen Augen dieses Tieres bemerken können, daß er von außerordentlich rein adeliger Rasse ist. In seiner Jugend machte dieser Vogel die kühnsten Flüge; er horstete mit den männlichen Raubvögeln des Jahrhunderts in der Nähe aller europäischen Throne, auf allen Ambassaden moderner Völker. Er lebte mit Adlern, mit Steinadlern, mit Geiern, mit Lämmergeiern, mit Falken und Kranichen; ja, er ließ sich später sogar zu Raben und Elstern herab, zu gewöhnlichen Haushähnen und ähnlichem gemeinbürgerlichem Geflügel. In jüngster Zeit assoziierte sich unser Vogel aber noch einmal mit einem Männchen aus dem berühmten Geschlechte der Schnapphahnski, und Gott weiß, welch ein naturhistorischer Druckfehler aus dieser Liaison hervorgegangen wäre, wenn nicht ein naseweiser [393] weiser Schriftsteller das alte Tier plötzlich mit seinem Geschosse erlegt hätte, so daß es nun hier in dem Kasten des Museums prangt, ein wahres Kabinettstück, bewundert von allen reisenden Engländern und vielfach besucht von allen wißbegierigen Bürgerschulen.«

Die Herzogin ist also eine geiernasige und geieräugige, aus Kunst und Natur zusammengesetzte achtundfünfzigjährige kleine Dame. Wir wünschen Herrn von Schnapphahnski von ganzem Herzen Glück. »Der Teint der Herzogin ist gelb verwittert«, setzt das Manuskript hinzu, »die Herzogin hat höchst scharfe Züge. Ihr ganzes Angesicht gleicht aber der Brandstätte der Leidenschaften.«

Brandstätte der Leidenschaften!

Seit wir diesen Vergleich haben, brauchen wir unsere Herzogin weiter nicht mehr zu schildern. Es ist unnötig, wenn wir noch hinzusetzen, daß unsere Heldin sich stets sehr jugendlich kleidet, daß sie eine zweireihige Garnitur falscher Zähne besitzt und daß sie einen total haarlosen Kopf hat und deshalb auch schon seit undenklichen Zeiten eine vollständige Perücke trägt ...

Die kahlen Köpfe waren in der Familie der Herzogin von jeher en vogue. Die älteste Schwester unserer Heldin, eine ausgezeichnete Dame, die sich von vier Männern scheiden ließ und eigentlich in der ganzen Familie einzig und unerreicht dasteht, beschäftigte sich während der zweiten Hälfte ihres schönen Lebens fast ununterbrochen mit der Auffindung irgendeines Mittels, das die letzten Reste des herzoglichen Familienhaares konservieren könne.

Pythagoras entdeckte seinen Lehrsatz; Kolumbus entdeckte Amerika, und die Herzogin von ... entdeckte die [394] berühmte schwarze Haartinktur. Ich weiß nicht, ob die Herzogin den Göttern Hekatomben schlachtete, nachdem sie die Tinktur erfunden hatte; jedenfalls ist es aber für gewiß anzunehmen, daß sie den Augenblick der Entdeckung für den wichtigsten ihres Lebens hielt.

Das Unglück, keine Haare mehr auf dem Kopfe zu besitzen, ist so groß, daß es eigentlich nur dann zu ertragen ist, wenn man Haare auf den Zähnen hat. Ein Mensch, der sie weder da noch dort trägt, ist sehr zu bedauern. Er ist ein kahles Feld, ein entlaubter Baum; die Sonne seines Lebens hat sich in einen Mond verwandelt. Der Abend ist hereingebrochen, und bald wird die Nacht kommen, und am andern Morgen wird der arme Mond tot sein, mausetot. Wenn man seinen kahlen schneeweißen Kopf mit einer vollen kohlschwarzen Perücke krönt, so erlebt man mit seinem Monde gewissermaßen eine Mondfinsternis. Aber eine Mondfinsternis ist vergänglich. Der Wind kann eine Perücke davontragen, und man hat eigentlich den Vorteil davon, daß der Tod vielleicht einst nur die Perücke faßt, wenn er uns nach dem Schopf greift, und daß der wirkliche Kerl davonläuft – à revoir – sterben Sie wohl, Herr Tod!

Wie ich bereits bemerkte, trägt unsere Heldin eine Perücke ... Dies schien mir von hoher Wichtigkeit zu sein; ich sah darin den bedauerlichsten Widerspruch mit der von der älteren Schwester erfundenen Tinktur. Pflichtgetreu stellte ich die genauesten Nachforschungen an, und leider hat sich dadurch herausgestellt, daß der Schädel unserer Heldin sogar der berühmten herzoglichen Familientinktur siegreich widerstanden hat und daß sich unsere Freundin dabei beruhigen muß, eine Perücke auf dem kahlen Kopfe und kein Haar auf den falschen [395] Zähnen zu besitzen. Es tut mir leid, daß ich nicht näher auf die Tinktur eingehen darf. Man könnte Bände darüber schreiben. Es kommt unendlich viel auf das Haar an. Einer der ersten Künstler der Welt bezeichnete seine hinterlassenen Perücken mit vollem Recht als den Hauptschatz seines Nachlasses.

Doch nun noch etwas über den Fuß der Herzogin!

Goethe behauptete stets, ein schöner Fuß sei der einzig dauernd schöne Teil an einem Weibe; er bleibe immer reizend, wenn er einmal reizend sei; er verändere selten seine Form. Der alte Herr hatte von jeher gern mit den Füßen zu tun; er hörte nichts lieber, als eine Frau in Pantoffeln mit hohen Absätzen klipp, klapp einen langen hallenden Korridor hinunterschreiten. Ich bin natürlich mit dieser hohen Autorität durchaus einverstanden. Auch unsere Herzogin hatte aus den Tagen der Jugend einen Fuß gerettet, der wenigstens zu einem schönen Schuh Veranlassung gab. In vielen Fällen wird man nach der Form des Fußes den ganzen Menschen beurteilen können; auf die Rasse kann man stets danach schließen. Es verhält sich mit den Füßen wie mit den Zähnen und den Fingerspitzen. Ich mache mich verbindlich, nach der Weiße und der Reinheit der Zähne und der Fingerspitzen eines Menschen genau zu sagen, wievielmal er in der Woche ein reines Hemd anzieht. Die Fingerspitze steht aber in genauem Zusammenhange mit dem Zahne, der Zahn mit dem Hemde und das Hemd mit dem ganzen Menschen.

Seit Benvenuto Cellini aus den schönen Zähnen seines erschlagenen Nebenbuhlers eine Kette für die lächelnde Herrin arbeitete, hat es wohl keine bessern Kinnladen gegeben als die der neulich am Kap verunglückten englischen [396] Offiziere. Sie wurden von den Kaffern ermordet; nach einigen Tagen fand man sie in der Tiefe des Waldes. Geld, Uhr und Waffen: alles hatte man ihnen gelassen. Man nahm ihnen nur das Leben und die – Zähne. Die Engländer sind die reinlichsten Leute. Nach Liebig verbrauchen die Engländer die meiste Seife; dann kommen die Franzosen, dann die Deutschen usw., zuletzt die Russen. Die Engländer haben die reinsten Hände, die saubersten Zähne und die weißeste Wäsche. Die Engländer sind die Herren der Welt.

Geieraugen, Geiernase, ein ausgestopfter Raubvogel, und im Antlitz die Brandstätte aller Leidenschaften: das ist unsere Herzogin. In unsern Notizen finden wir noch ausdrücklich bemerkt, daß die Herzogin nur Leute, die in der engsten Intimität mit ihr stehen, bei Tage empfängt. In den meisten Fällen nimmt sie nur abends Besuche an, wie sie sich denn überhaupt auch nur bei Abend zeigt, da sie nur zu wohl weiß, wie sehr sie des Lampenlichtes bedürftig ist.

Armer Schnapphahnski! Teurer Mann, du gehst mit einem heroischen Entschluß um!


»Und würfst du die Krone selber hinein
Und sprächst: Wer mir holet die Kron,
Der soll sie tragen und König sein –
Mich gelüstete nicht nach dem teuern Lohn!«

Ja, armer Schnapphahnski.

Unsere Herzogin ist niemand anders als die Herzogin von S., die jüngste Tochter des Herzogs von K., die Gespielin eines »talentvollen« Königs, mit dem sie erzogen wurde und mit dem sie sich duzt. Die Herzogin heiratete den Prince de D., den Neffen jenes berüchtigten Diplomaten, [397] der gerade soviel Eide brach, als er Eide schwur. Nach einigen Jahren trennte sie sich aber, zwar nicht auf gerichtlichem Wege, von ihrem jetzt noch lebenden Mann und zog zu eben dem alten Fuchs, den wir in diesem Augenblick erwähnten, mit dem sie ein Verhältnis hatte, und machte in seinem Hause die Honneurs etc. Da ihr indes die Anwesenheit des Fürsten D. in Paris lästig war, so mußte der alte T. ihm unter der Bedingung Geld geben, daß er sich sofort entferne und nach Florenz gehe. Nachdem dies geschehen, zog unsere Heldin mit T. auf allen seinen Ambassaden herum, bekannt wegen ihres Verstandes, unendlich mehr berühmt aber wegen ihres ausschweifenden Lebenswandels. Ja, der Flug ihrer raffinierten Phantasie verleitete sie zu so abenteuerlichen Spaziergängen der Wollust, daß ihr unter Karl X. der Hof verboten wurde.

Bemerken muß ich noch, daß die Herzogin beim Einrücken der Alliierten in Paris dem ersten Kosaken hinten aufs Pferd sprang und, frohlockend über den Sturz Napoleons, die ganze Parade der Truppen mitmachte. Sie soll bei dieser Gelegenheit vor Freude außer sich gewesen sein und ihren Kosaken mit Liebkosungen überhäuft haben.

Schon lange getrennt von ihrem Manne, fühlt sie sich einst Mutter werden. Es schien eine Unmöglichkeit, das Kind noch auf Rechnung des abwesenden Gemahls zu bringen. Und doch war sein Name für dasselbe notwendig. Die Herzogin ist in keiner kleinen Verlegenheit; sie besinnt sich hin und her, zuletzt entschließt sie sich kurz: sie faßt ein Herz und reist zu ihrem Gemahle. Spät am Abend läßt sie sich bei ihm melden; er ist nicht zu Hause. Ohne »weiteres läßt sie sich daher auf sein Zimmer führen.

[398] Um Mitternacht kommt der harmlose Gemahl endlich zurück, nicht ahnend, was ihm bevorsteht. Er ist natürlich im höchsten Grade überrascht über den unerwarteten Besuch und sucht seinem Erstaunen in den trefflichsten Ehemannsphrasen Luft zu machen.

Das eine Wort gibt das andere, und bald sind sie im besten Zuge, sich recht gemütlich zu zanken. Der holde Gatte merkt gar nicht, daß das Antlitz der Herzogin immer freudiger zu strahlen beginnt, während sein eigenes immer länger und länger wird. Mit jeder Minute wachsen die Hörner des zärtlichen Mannes; da ist eine Stunde herum, und die Herzogin springt plötzlich auf, indem sie erklärt, daß sie jetzt gehen werde. Vor ihrer Abreise, setzt sie hinzu, wolle sie ihm indes sagen, welches der Grund ihres Besuches gewesen sei – – der ehrenwerte Gatte erhebt seinen Hornschmuck und spitzt die Ohren. Nichts ist interessanter als das Bekenntnis einer schönen Seele. Vertraulich legt die Herzogin ihre Hand auf den Arm des horchenden Mannes und teilt ihm leise flüsternd mit, daß sie sich Mutter fühle – – sie habe getrennt von ihm gelebt, jetzt könne sie durch alle Hausleute beweisen, eine Stunde in der Nacht bei ihm gewesen zu sein. Ihr sei geholfen. Adieu, mon ami!

»Den Seinen schenkt's der Herr im Traum. Weiß nicht, wie dir geschah.« –

Der Gemahl der Herzogin legte sich mit dem beruhigenden Bewußtsein zu Bette, auch nicht im geringsten etwas Böses getan zu haben. Die Herzogin entfernte sich aber so rasch als möglich, und hell klang ihr glückliches Lachen.

»Das Kind, für dessen Legitimität so weise gesorgt wurde, war eine Tochter, die später den Grafen C. heiratete.

[399] Der alte T. hielt sich für den Vater dieser Tochter und vermachte derselben bei seinem Tode 80000 Revenue. Sein ganzes übriges Vermögen vermachte er der Herzogin, die, so glänzend bezahlt, nun selbst zu bezahlen anfing.« –

Auf das Gerücht hin, daß die Herzogin bezahle: erscheint Schnapphahnski.

13. Der Professor

XIII
Der Professor

Ritter Schnapphahnski war in demselben Falle wie Professor N. in Berlin – – es stand ihm etwas ganz Außerordentliches bevor. Doch erzählen wir zuerst die Geschichte des Professors.

Der Herr Professor war krank. Er ließ den Doktor kommen. Der Doktor kam. Arzt und Professor standen einander gegenüber. Der erstere mit jenem heidnisch frohen Lächeln, welches den meisten Medizinern eigentümlich ist; der Professor: lang, dürr, einer ausgetrunkenen Flasche ähnlich, mit sehr miserablem Antlitz.

»Doktor, ich bin krank –«, begann der Professor.

»Das freut mich –«, erwiderte der Doktor.

»Ich glaube, ich habe die Schwindsucht, Doktor.«

»Sehr leicht möglich, Herr Professor.«

»Nicht wahr, ich bin sehr krank?«

»Lassen Sie mich Ihren Puls fühlen.«

»Glauben Sie, daß die Sache gefährlich ist?«

»Zeigen Sie mir Ihre Zunge.«

»Meinen Sie nicht, daß ich bald sterben werde?«

»Wann gehen Sie abends zu Bett?«

»Soll ich nicht lieber mein Testament machen?«

[400]

»Wie sieht es mit Ihrem Appetit aus?«

»Soll ich nicht die Verwandten von meiner traurigen Lage benachrichtigen?«

»Haben Sie regelmäßigen Stuhlgang?«

»Doktor, retten Sie mich!«

»Herr Professor, antworten Sie auf meine Frage!«

Eine Pause entstand. Der Professor schaute auf den Doktor wie ein krankes Fohlen auf seine Mutter. Der Doktor fuhr fort:

»Antworten Sie mir also klar und bestimmt, Herr Professor.«

»Ich bin ganz zu Ihren Diensten, Herr Doktor.«

»Schildern Sie mir Ihren Zustand – – haben Sie Beschwerden?«

»Der Beschwerden habe ich manche– –«

»Und welche, Herr Professor? Haben Sie z.B. eine gewisse Schwere in den Gliedern?«

»Ganz recht – es liegt mir wie Blei in den Gliedern –«

»Haben Sie Kongestionen nach dem Kopfe oder nach andern Teilen des Körpers?«

»Kongestionen – ganz recht, ich habe Kongestionen – fast nach allen Teilen.«

»Lassen Sie mich doch Ihre Augen sehen – Sie scheinen ganz rote Augen zu haben.«

»Ach, allerdings, Herr Doktor. Das kommt von dem vielen Arbeiten in der Nacht.«

»Schlafen Sie nachts auf dem Rücken?«

»Ich schlafe selten, Herr Doktor.«

»Also träumen Sie?«

»Ach, ich habe schwere Träume –«

Der Professor schlug verschämt die Augen nieder.

[401] Wiederum entstand eine Pause. Der Doktor blickte auf den Professor wie der Teufel auf einen armen Sünder.

»Setzen wir unsere Konversation fort – nicht wahr, Sie sind unverheiratet, Herr Professor?«

»Allerdings, Herr Doktor!«

»Sie haben auch sonst keinen Umgang mit Frauen?«

»Herr Doktor, das ist eine Gewissensfrage.«

»Verzeihen Sie, eine reine Gesundheitsfrage.«

»Aber wie soll ich Ihnen darauf antworten?«

»Nun, ganz einfach mit ja oder nein; haben Sie Umgang mit Frauen oder nicht?«

»Nein, Herr Doktor! Das ist durchaus gegen mein Prinzip.«

»Aber es wäre gut für Ihre Gesundheit –«

»Mein Prinzip geht über die Gesundheit.«

»Aber Ihr Prinzip kann Sie ins Grab bringen.«

»Mit meinem Prinzip will ich sterben.«

»Nun, so sterben Sie wohl, Herr Professor« – der Doktor griff nach seinem Hute, um sich zu entfernen. Der Professor trat ihm in den Weg.

»Lieber Herr Doktor – –«

»Verehrter Herr Professor – –«

»Bleiben Sie um Gottes willen!«

»Aber gehorchen Sie meinen Befehlen!«

»Ich will alles tun, was Sie wünschen.«

»Meine Befehle werden Ihnen nur angenehm sein.«

»Ich will Moschus und Rhabarber fressen.«

»Würde Ihnen wenig helfen.«

»Ich will Balsam und Fliedertee trinken.«

»Könnte von gar keinem Nutzen sein.«

»Aber was wünschen Sie denn?«

[402] »Ich wünsche nur das Allermenschlichste, das Allererfreulichste von Ihnen!«

»Sprechen Sie also!«

»Und gehorchen Sie mir.«

»Was soll ich tun?«

»Sie solln sich verlieben – ein Weib nehmen!«

Der Kopf des Professors sank auf die Brust, die Tabakspfeife entfiel seiner Hand, und Wolken der tiefsten Verlegenheit, des innigsten Schmerzes verdunkelten die Stirn des unglückseligsten Mannes.

»Herr Doktor«, fuhr endlich der Gepeinigte in sehr gedrücktem, schleppendem Tone fort, »Herr Doktor, Sie wissen, ich bin Theologe. Ihr Befehl widerspricht meinem ganzen System, meiner ganzen Anschauungsweise. Ein viertel Jahrhundert lang bin ich der Stimme meines Innern, meiner Überzeugung treu geblieben und glaube auch heute noch an das, was uns der Apostel sagt im 8. Verse des 7. Kapitels seiner Epistel an die Korinther, wo da geschrieben steht, daß es besser ist, wenn die Ledigen bleiben wie der Apostel, nämlich ebenfalls ledig und unbeweibt – –«

»Narrenspossen, nichts als Narrenspossen!« unterbrach hier der Doktor, »und außerdem vergessen Sie, Herr Professor, daß es im 9. Verse heißt: ›So sie aber sich nicht enthalten können, so laß sie freien. Es ist besser freien, denn – –‹«

Der Professor seufzte tief auf – »Sie verlangen also in vollem Ernst, daß ich mich verheirate?«

»Das habe ich nicht gesagt.«

»Aber Sie wollen ja, daß ich mich verliebe.«

»Man kann lieben, ohne zu heiraten.«

»Aber Herr Doktor, das wäre Sünde.«

[403] »Herr Professor, Sie sind von wahrhaft biblischer Unschuld.«

»Und eine Sünde werde ich nie begehen.«

»Herr Professor, es gibt nur eine Sünde, das ist die Sünde gegen das eigene Fleisch.«

»Nun, so will ich mit dem Apostel sündigen.«

»Vielleicht war der Apostel aber nicht in so krankhaftem Zustande wie Sie, Herr Professor.«

»Wie meinen Sie das, Herr Doktor?«

»Vielleicht konnte der Apostel seinem Verlangen widerstehen. Sie werden darüber zugrunde gehn.«

»Nun, es sei! Ich werde heiraten!«

»In vierundzwanzig Stunden!«

Die letzten Worte waren für den armen Professor ein neuer Donnerschlag. Er taumelte rücklings in seinen Sessel und bedeckte das fahle Antlitz mit beiden Händen. Der Doktor spielte gelassen mit seinem Hute.

»Sie sind grausam, Doktor!« nahm endlich der Professor das Gespräch wieder auf. »Ich soll in vierundzwanzig Stunden heiraten: das ist unmöglich!«

»Beim Menschen ist nichts unmöglich!«

»Ich kenne alle Kirchenväter, aber ich kenne kein einziges Weib.«

»So lassen Sie die Kirchenväter laufen und lernen Sie die Weiber kennen!«

»Ich will mich verbindlich machen, in vierundzwanzig Stunden eine neue Sprache kennenzulernen, aber ein Weib lieben lernen – bedenken Sie, Herr Doktor!«

»Die Sprache der Liebe lernt man in fünf Minuten.«

»Sie sind unerbittlich, Herr Doktor!«

»Unerbittlich, Herr Professor!«

»O Gott, errette mich von diesem Doktor!«

[404] Der Doktor wurde ungeduldig. Er schritt der Türe zu. »Tun Sie, was Sie wollen, Herr Professor. Ich bin hierhergekommen, um für Ihren Leib zu sorgen, nicht für Ihre Seele. Suchen Sie meine Ratschläge mit Ihrem Gewissen zu vereinbaren, das ist Ihre Sache. – Ich gebe zu, daß es mit einigen Schwierigkeiten verbunden ist, in vierundzwanzig Stunden ein ehelich Weib zu finden, Hochzeit zu machen und so weiter – – aber es fällt mir im Traume nicht ein, Sie zu diesem extremen Schritte zu treiben. Richten Sie die Sache anders ein – Sie werden mich verstehen. – Ich stelle Ihnen einfach die beiden Chancen: entweder eine Konzession Ihres Gewissens oder ein früher Tod. Wählen Sie zwischen einem Gewissensmord und einem Selbstmord. Wählen Sie von zwei Sünden eine: wählen Sie!«

Von der Stirn des Professors perlte der Angstschweiß. Der Doktor machte seine Auseinandersetzungen aber mit soviel Präzision und mit so unendlicher Bonhomie, daß der geplagte Mann Gottes endlich langsam das Haupt erhob und nach einigem Stottern und Erröten mit einer wahrhaft naiven Unerschrockenheit die Frage wagte:

»Aber, lieber Herr Doktor, wie würde man diese Mordgeschichte einzurichten haben?«

Hier konnte sich der Doktor nicht länger halten. Er lachte laut auf –

»Teuerster Professor – –«

»Allerdings, Herr Doktor! Sagen Sie mir aufrichtig, wie ich mich dabei benehmen soll!«

»Aktiv sollen Sie sich dabei benehmen!«

»Aber bedenken Sie doch, daß ich durchaus Neuling in der Sünde bin!«

[405] »Tant mieux, Herr Professor.«

»Tant pis, Herr Doktor!«

Das Dilemma wollte kein Ende nehmen. Der Doktor sah ein, daß er seinem Patienten zu Hilfe kommen mußte.

»Wenn Sie den alten Jesuiten Escobar gründlich studiert hätten, Herr Professor, so würden alle weiteren Explikationen unnötig sein. Aber ich merke, daß Sie von der verstocktesten Unschuld sind. Sie sind ein wahrer Sankt Aloisius – doch trösten Sie sich! Morgen abend zwischen 7 und 8 Uhr wird jemand vernehmlich an Ihrer Haustür schellen. Sie werden Ihre Hausbewohner, Ihren Knecht und Ihre Mägde hinausgeschickt haben, und Sie werden gütigst selbst die Türe öffnen. Sie werden die Türe behutsam öffnen, ohne allen Eklat, damit niemand der Vorübergehenden etwas bemerkt, und Sie werden die liebenswürdige Person, die Ihnen eine der interessantesten Visiten abstatten wird, ebenso artig als zuvorkommend empfangen und sie ohne Umstände sofort in Ihr Studierzimmer führen. Sie werden dort die Fenster verhängt und das Sofa von Bibeln und Kirchenvätern gereinigt haben. Sie werden ein gehöriges Feuer im Ofen unterhalten und für die geeignete Beleuchtung sorgen. Sie werden sich leicht und komfortabel gekleidet haben, Sie werden ebenso höflich als zutraulich und hingebend sein, kurz, Sie werden sich ganz den Freuden Ihres Besuches hingeben – – nun Adieu, Herr Professor! Für den Rest werde ich sorgen. Adieu! Bedenken Sie, daß Ihr Leben auf dem Spiele steht – –«

Da war der Doktor verschwunden.

Von der Angst, die der Professor nach dem Fortgehen des Doktors ausstand, kann sich nur der eine richtige Idee machen, der überhaupt die Qualen eines Gerechten [406] zu würdigen versteht. Der gelehrte Herr war außer sich. Zwanzigmal in Zeit von zehn Minuten erlosch ihm die Pfeife. Vierzigmal rieb er die Stirn, und achtzigmal sah er mit frommen Augen andächtig gen Himmel, innerlich flehend, daß dieser Kelch der Freude an ihm vorübergehe. Vor allen Dingen suchte er nach irgendeiner Entschuldigung für seine bevorstehende Sünde, denn das Wagnis seines Lebens schien ihm ein keineswegs ausreichender Grund zu sein. Er schlug den Irenaeus nach, den Augustinus, den Eusebius, den Lactantius, den Chrysostomus und einige Dreißig andere Schweinslederbände, um nachzuforschen, ob denn nicht irgendein Kirchenvater weiland in demselben Falle gewesen sei und ob nicht einer von ihnen auch nur ein Wörtlein über diesen kitzlichen Punkt habe fallen lassen – aber vergebens!

Der Professor überzeugte sich davon, daß nie ein Heiliger der Art vom Teufel versucht worden sei, und an allem verzweifelnd, warf er sich schließlich auf das Lager seiner Leiden, um schlimmer zu träumen als je vorher.

Der kommende Tag brachte nur neue und immer wildere Seelenstürme für den gelehrten Herrn, denn mit jedem Augenblicke rückte ja die Stunde näher, wo die Schelle von unbekannter Hand gerührt und wo der Herr Professor den Beweis ablegen sollte, daß er als Mann und Meisterstück aus der Hand des Schöpfers hervorgegangen sei. Wir brauchen nicht zu versichern, daß der Herr Professor die Vorschriften des Doktors genau befolgte. Schon um 2 Uhr nachmittags war das Haus des Gelehrten wie ausgestorben. Die Schwester des Unglücklichen, die Mägde, der Knecht: alle waren vertrieben. Die Seufzer, welche sich der Studierstube entrangen, [407] zeigten, daß nur ein einziges Wesen in dem verödeten Räume zurückgeblieben sei.

Es schlug 4 Uhr: der Herr Professor zitterte. Es schlug 5: der Herr Professor trocknete den Schweiß von Stirn und Wangen. Es schlug 6: der Herr Professor schnappte nach Luft. Es schlug 7: da tönte die Schelle der Haustür, und der Gelehrte stürzte hinab. – –

Lassen wir ihn stürzen.

Meine Leser werden mir verzeihen, daß ich sie so lange mit dem alten Professor ennuyiere. – Die Sage geht, daß der unglückliche Mann statt einer reizenden Bajadere die bejahrte Freundin seiner Schwester umarmte – der Herr Professor war mit Blindheit geschlagen; er versicherte, daß sein Leben auf dem Spiel stehe; er hielt den Besuch, welcher der Schwester galt, für den Besuch, den er erwartete, und die herzzerreißendste Szene entwickelte sich zwischen Kirchenvater und Matrone, eine Szene, der Feder eines Swift, eines Sterne, eines Smollet würdig – wert, von einem andern Hogarth gezeichnet zu werden, zur Lust aller kommenden Geschlechter.

Herr von Schnapphahnski verlebte vor seiner ersten Unterredung mit der Herzogin von S. einen ähnlichen Tag wie der Berliner Professor. Der Kirchenvater umarmte statt einer Grazie: eine Matrone. Sehen wir, wie es dem edlen Ritter mit der Herzogin erging.

14. Der Graf

XIV
Der Graf

Ich führe meine Leser in das geräumige Gemach eines alten schlesischen Schlosses. Es ist Abend geworden. Der [408] letzte Strahl des Tages bricht durch die schweren seidenen Vorhänge und treibt sein Spiel mit den Flammen des Kamins, der immer lustigere Streiflichter auf den grünen Teppich wirft, auf die kolossalen Spiegel der »Wände und auf eine Reihe vornehm adliger Köpfe, die aus goldenen Rahmen ernst und feierlich niedersehen.

Die Luft des Gemaches ist duftig warm. Der Rauch der besten Havanna-Zigarren zieht in blauen »Wölkchen vorüber, und auf dem Marmorgesims des Kamins dampft Punsch und Grog aus kristallenen Gläsern. Zur Rechten und zur Linken des Feuers bemerken wir in zwei großen Sesseln zwei junge Männer, die Beine dem Feuer behaglich entgegenstreckend.

Der eine, den Ellenbogen in die Lehne des Sessels drückend, stützt den schönen schwarzgelockten Kopf auf die schneeweiße Hand. Die Flammen des Kamins spiegeln sich in seinem dunklen Auge. Er scheint in tiefes Sinnen versunken. Minutenlang liegt er regungslos da; aber plötzlich fährt er zusammen, er streicht die Locken von der Stirn, und die halberloschene Zigarre aufs neue an die Lippen führend, lacht er und zeigt unter dem kohlschwarzen Schnurrbart eine Perlenreihe der schönsten Zähne.

Der zweite der jungen Raucher bildet den besten Kontrast zu dem ersteren. Er ist lang, dünn, trocken, blondhaarig, mit kahler Glatze – eine etwas ruinierte Erscheinung, die durch fashionable Manieren den frühen Verlust aller übrigen körperlichen Reize wiedergutzumachen strebt. Der Blonde weiß sehr graziös zu rauchen, aber nur selten greift er nach seinem Grog, den er, statt zu trinken, wie aus Langerweile nachlässig in den Kamin [409] schüttet. Mit einem ironischen Lächeln blickt er auf den sinnenden Freund.

»Trösten Sie sich«, beginnt endlich der Blonde, »trösten Sie sich, Ritter, Sie werden die Herzogin jedenfalls noch heute abend zu Gesichte bekommen. Sie werden eine geistreiche Dame kennenlernen.«

Der Schwarzgelockte hebt sich langsam im Sessel empor: »Sagen Sie mir zum zwanzigsten Male, Graf, glauben Sie wirklich, daß ich reüssieren werde?«

»Das hängt einzig und allein von Ihnen ab: übrigens werde ich Sie nach Kräften unterstützen –«

»Ich schenke Ihnen meinen schönsten Hengst!«

»Einen Hengst für eine Herzogin! Es tut mir nur leid, daß ich nicht mehr so gut wie früher mit ihr stehe.«

»Wieso, Graf?«

»Ich sagte der Herzogin einst, daß ich aus reiner Sympathie eine kahle Glatze trüge: und sehen Sie, das konnte sie mir nie vergessen.«

»Armer Mann – –«

»Ja wahrhaftig, hüten Sie sich davor, die leiblichen Schönheiten der Herzogin näher zu besprechen. Loben Sie nur ja nicht ihre glänzenden schwarzen Haare, ihre herrlichen Zähne oder ihren eleganten Wuchs – die Herzogin würde dies für die abscheulichste Ironie halten, denn alles Lob fiele auf den Perruquier zurück, auf den Zahnarzt und auf ähnliche nützliche Mitglieder der menschlichen Gesellschaft.«

»Aber was soll ich tun –?«

»Ich setze voraus, daß Sie nicht von der Herzogin benutzt zu werden wünschen, sondern daß Sie die Herzogin benutzen wollen?«

»Allerdings!«

[410] »Sie müssen daher die Herzogin zu unterjochen suchen.«

»Sehr richtig!«

»Und es stehen Ihnen zwei Wege zu diesem Ziele offen.«

»Welche?«

»Entweder müssen Sie als Tyrann auftreten – oder als harmloser Schäfer. Das eine Mal werden Sie durch Ihre Keckheit, durch Ihre Unverschämtheit die Eitelkeit der Herzogin in so barbarischer Weise aufstacheln, daß sie es sich zur Ehrensache macht, Ihnen nur nach dem fürchterlichsten Kampfe das Feld zu räumen. Ein wahres Gemetzel von Blicken, Worten, Ränken und Intrigen wird sich zwischen Ihnen entwickeln. Sie werden, ohne die Eitelkeit der Herzogin zu verletzen, jede ihrer Frechheiten durch eine eklatantere Bosheit zu überbieten wissen. Ihre List werden Sie durch List umgehen, ihrer Lüge werden Sie durch noch größere Lügen imponieren, die Renommage mit ihren galantesten Sünden werden Sie durch die Erzählung galanterer Abenteuer zu paralysieren suchen. Malt die Herzogin grau, so malen Sie schwarz; malt sie rot, so malen Sie purpurrot, und ist es zuletzt nicht mehr möglich, sie im Raffiniertsein zu überbieten, da schlagen Sie plötzlich in das ganz Entgegengesetzte um und vernichten Ihre Gegnerin durch das Einfache. Sie treiben die Herzogin bis auf den Chimborasso des Unerhörten und lassen sie plötzlich in die Sahara des Allergewöhnlichsten fallen, und ich bin gewiß, daß Sie zuletzt siegen, daß das raffinierte Alter der raffinierten Jugend weichen muß, daß die Herzogin zum Rückzug bläst, ja, daß sie enttäuscht zusammensinkt, daß sie ächzt und winselt – aber dann erst ist der Augenblick gekommen, wo Sie Ihrem Feldzuge die Krone aufsetzen.

[411] Denn statt den Fuß siegend auf ihren Nacken zu setzen, verzichten Sie plötzlich auf den Ruhm der gewonnenen Schlacht; statt zu triumphieren, machen Sie Ihren Triumph zu dem Triumph der Herzogin: während sie Ihnen zu Füßen fallen will, kommen Sie der Herzogin zuvor und fallen ihr zu Füßen, ein sentimentaler Satan, ein verliebter Nero, so daß Sie Ihre fallende Gegnerin mit den Armen auffangen und sie emporrichten, sie maßlos erstaunend durch Ihre Überlegenheit und zum Danke rührend durch Ihre unbeschreibliche Galanterie. Seien Sie versichert, Ritter, durch ein solches Spiel werden Sie die Herzogin durchaus gewinnen – sie wird alle Ihre Schulden bezahlen – –«

»Und den andern Weg?« fragte der Ritter, indem er sich aufmerksamer emporrichtete.

»Nun, der ist bei weitem einfacher, vielleicht zu einfach, als daß Sie sicher und gewiß damit zum Ziele kommen. Soweit ich Sie zu beurteilen verstehe, werden Sie die Rolle eines Roués besser spielen können als die eines Gimpels; die zweite Manier, die Herzogin zu erobern, besteht nämlich wie gesagt darin, daß Sie eben als harmloser, unerfahrener Jüngling auftreten, um die Herzogin durch Ihre Naivität zu besiegen, durch das Reizende einer unerhörten Unbefangenheit, durch eine bis zum Exzeß getriebene Heuchelei der tugendhaftesten, uneigennützigsten Liebe. Sie wissen, in welcher Verlegenheit sich die Herzogin befindet, wie sie alle Ressourcen des Vergnügens erschöpft hat, wie sie längst von ihren erträglichsten Anbetern im Stich gelassen wurde – – Sie wissen alles. Jede neue Aventüre würde ihr willkommen sein, aber schwärmen, schwärmen wie früher würde sie nur für den, der den Frühling des Lebens wieder in ihr [412] Alter hineinzauberte, der durch die jugendlichste Hingebung, wenn auch nicht das Reelle eines jugendlichen Umgangs, so doch wenigstens die Erinnerung an die Lust der Vergangenheit bei ihr heraufbeschwöre, um sie auf diese Weise das Durchlebte scheinbar aufs neue erleben zu lassen. Brächten Sie diese Täuschung bei der Herzogin zuwege, so glaube ich, daß sie wahnsinnig vor Freude würde. Die Herzogin würde nicht nur Ihre Schulden bezahlen, nein, sie würde ihre Schlösser in Brand stecken und ihre Diamanten ins Meer werfen, wenn Sie es wünschten: alles, alles würde sie Ihnen zu Gefallen tun – wählen Sie, lieber Ritter!«

»Ich wähle das letztere!« rief der Ritter, indem er das eben gefaßte Kristallglas zu tausend Scherben an die nächste Wand schleuderte und seinen blonden Freund so stürmisch umarmte, daß der unglückliche Graf wie von dem Stich einer Tarantel laut schreiend zusammenfuhr. »Ich wähle das letztere! Mein Plan ist gefaßt!«

Arm in Arm wandelten Graf und Ritter über den Teppich des weiten Gemaches.

Herr von Schnapphahnski – denn niemand anders war der schwarzgelockte Gast des blonden Grafen – war jetzt in demselben Falle wie unser Berliner Professor: es stand ihm etwas sehr Außerordentliches bevor. Nichts hätte ihn mehr aufregen können als das bevorstehende Zusammentreffen mit der Herzogin von S. Die bösen Geister der Vergangenheit zankten sich in seinem Innern mit der Hoffnung eines endlichen Triumphes. Alle Wunden, die ihm das Mißgeschick in Berlin, in Wien, in München und an zwanzig andern Orten schlug, sollte das Glück bei der Herzogin wiedergutmachen. Nach [413] wochenlanger Niedergeschlagenheit fühlte er aufs neue alle seine Muskeln und Nerven in fieberhafter Bewegung. Er war endlich wieder der alte Schnapphahnski, er war wieder ein schöner Mann vom Scheitel bis zur Zehe, doppelt schön, weil er etwas wagte – er glich einem Spieler, der nach tausend Verlusten aus seiner Lethargie erwacht und die letzte Goldrolle hohnlachend auf den grünen Tisch wirft.

»Machen Sie die Herzogin, ich werde den jugendlichen Verliebten spielen!« rief der erfindungsreiche Ritter, indem er plötzlich im Gehen innehielt, den Arm des Freundes fahren ließ und sich mit der zierlichsten Verbeugung vor den Grafen pflanzte. »Ich weiß nicht mehr recht, wie ich mich seinerzeit als brauner Husar in O. in Schlesien betragen habe. Ich muß mich einmal darin üben. Damals war ich wirklich ein harmloser Junge, ein schönes Kind, und alle alten Damen wollten mich auf den Schoß nehmen mit Stiefeln und Sporen, um mich zu küssen. Wenn ich vor der Herzogin nur halb so naiv erscheine wie einst vor der Gräfin S., da haben wir gewonnenes Spiel, und ich versetze meiner Dulcinea in einem einzigen Jahre die Hälfte ihrer Waldungen – alle meine Schafe werden enthypotheziert.«

Der Ritter riß die Decke von dem nächsten Tisch und hing sie nolens volens über die Schulter des Grafen – Uhr und Vasen rollten auf den Boden.

»Drapieren Sie Ihre Reize so hübsch als möglich mit diesem Lappen! Sie sind die Herzogin, ich bin der sechzehnjährige Schnapphahnski!«

Ritter und Graf standen einander gegenüber.

»Gnädige Frau––«, begann der Ritter.

»Ach, guten Tag, Herr Ritter!« erwiderte der Graf.

[414] »Gnädige Frau, in tiefer Demut beuge ich mich vor Ihrer welthistorischen Persönlichkeit.«

»Es freut mich von Herzen, Sie kennenzulernen, Herr Ritter – ich habe schon viele lose Streiche von Ihnen gehört.«

»Halten Sie die losen Streiche meiner Jugend zugut, aber seien Sie versichert, gnädige Frau, daß ich nur dem Ideale entgegenstrebe, welches mir in diesem wichtigen Momente vor Augen schwebt.«

»Sie haben Ihre Laufbahn jedenfalls früh begonnen; schon als brauner Husar in O. in Schlesien parodierten Sie die Iliade mit so viel Glück, daß die Bauern des Gebirges bereits eine Sage aus Ihnen gemacht haben.«

»Allerdings, gnädige Frau! Ich hatte gehört, daß Sie, kaum verheiratet, schon den Kosaken hinten aufs Pferd sprangen – ich glaubte, in der Romantik nicht hinter Ihnen zurückbleiben zu dürfen. Ihr Bild wollte nicht aus des feurigen Knaben Gedächtnis.«

»Und in Troppau hatten Sie dann Ihr famoses Duell: die Säbel schwirrten, und der Ruf des jungen Helden verbreitete sich durch alle Lande.«

»In demselben Lebensjahre war es, wo Sie sich, gnädige Frau, zum ersten Male mit Ihrem Gemahl so eklatant brouillierten. Die Locken flogen, und die Geschichte machte Furore in allen Pariser Salons.«

»Und nach Berlin eilten Sie dann.«

»Sie machten Ihre diplomatische Reise.«

»Daß Sie unglücklich mit Carlotten waren, Herr Ritter, ich habe es nie geglaubt.«

»Und wenn Ihre Untergebenen oft seltsame Dinge erzählten, gnädige Frau, so war es reine Verleumdung.« [415] »Jedenfalls wurden Sie aus Berlin durch den Zorn der Götter vertrieben –«

»Und Ihnen wurde unter Karl X. der Hof untersagt.«

»Aber Sie machten sich nichts daraus; Sie gingen nach Spanien, Lorbeeren zu pflücken unter Don Carlos.«

»Sie, gnädige Frau, reisten unter den interessantesten Umständen nach Florenz, Ihren unschuldigen Gatten aufzusuchen, und schon nach wenigen Monaten beschenkten Sie die Welt mit der lieblichsten Tochter –«

»Verzeihen Sie, Herr Ritter– –«

»Entschuldigen Sie, gnädige Frau – –«

»Aber Sie werden anzüglich, Herr Ritter!«

»Aber Sie werden verletzend, gnädige Frau!«

»Ich glaubte, einen anspruchslosen Knaben in Ihnen zu

finden –«

Beide Freunde lachten laut auf und sanken einander in die Arme.

»Wir sind aus der zweiten in die erste Rolle gefallen!« rief der Graf.

»Aus der harmlosen in die maliziöse!« erwiderte der Ritter.

Da wurde die Türe geöffnet. Man meldete die Ankunft der Herzogin von S.

15. Der Baron

XV
Der Baron

Der Graf hatte alles aufgeboten, um die Herzogin glänzend zu empfangen. Vor allen Dingen hatte er für die Gesellschaft der hervorragendsten Häupter des benachbarten [416] Adels gesorgt, die entweder für einige Tage bei ihrem Wirte verweilten oder am Abend von ihren Landsitzen zu der Wohnung des Grafen hinübereilten, um sich dann erst spät in der Nacht wieder zu entfernen.

Baron von ... war einer von den Gästen, die immer nur wenige Stunden blieben. – Er war ein Fünfundvierziger und ein hoher, breitschultriger, robuster Mann, mit braunem Schnurrbart und einem Backenbart, der in wilden Büscheln bis hoch hinauf auf die Wangen wuchs. Nase, Füße und Hände des Barons waren sehr gewöhnlich; zwei große lebendige Augen verliehen ihm aber einiges Interesse. In seinen Manieren war der Baron im höchsten Grade ungeschlacht; die geräumigsten Zimmer waren zu klein für seine grotesken Bewegungen; er zerbrach bei jeder Soiree einige Tassen, einen Stuhl oder irgendein anderes unschuldiges Möbel, so daß seine Freunde ihn ein für allemal als den kostspieligsten Gast bezeichneten. Im Gespräche war der Baron sehr verständlich; er führte die undiplomatischsten Redensarten und drückte sich sogar sehr derb aus, wenn er in Eifer geriet. Nichtsdestoweniger war er bei den Damen gern gesehn, denn der Baron war jedenfalls eine zu ehrliche Erscheinung, als daß man ihm hätte zürnen sollen. Er ließ sich auch so willig von den jungen Komtessen an der Nase herumführen, daß man ihm schon der komischen Szenen wegen, zu denen er Veranlassung gab, mit Freuden alle Extravaganzen verzieh. Schrecklich blieb er freilich für die meisten Damen durch den mehr als pikanten Duft des Pferdestalles, den er fortwährend in seinen Kleidern trug. Die Röcke und Beinkleider des adligen Herrn waren dergestalt von diesem durchdringenden [417] Parfüm gesättigt, daß die Fürstin X. einst ohnmächtig wurde, als sie den Baron näher beroch. Ein wahrer Kampf entspann sich zwischen der Atmosphäre des Salons und der Atmosphäre des Stalls, wenn der Baron zur Türe hineintrat, und Fürstin X. behauptete, sie glaube auch jedesmal nichts anderes, als daß ein leibhaftiger vierfüßiger Hengst hereinspaziere. Das Eigentümliche und Charakteristische des Barons hatte sich aus seiner täglichen Beschäftigung, aus seinem stündlichen Umgang entwickelt. Der Baron war nämlich nicht nur ein leidenschaftlicher und ausgezeichneter Reiter, sondern er trieb auch in eigner Person den bedeutendsten Roßhandel. Besonderes Vergnügen machte es ihm stets, von wahrhaft fabelhaften Gewinsten zu erzählen, die er bei seinem Schacher realisiert zu haben meinte. Kein Roßkamm, versicherte er, habe ihn je betrogen;er sei dagegen der Mann, der alle Welt überliste, und halbtot wollte er sich oft über diesen und jenen Israeliten lachen, den er bei dem letzten Geschäft hintergangen zu haben vorgab. Gut unterrichtete Freunde wußten indes besser, wie es mit der Liebhaberei des Barons aussah. Sie hatten meistens schon selbst davon profitiert und hüteten sich wohl, ihren enthusiastischen Bekannten in seinen Illusionen zu stören. Sie wußten, daß der Baron nur der Lust des Kaufens und des Verkaufens wegen den Roßhandel trieb und daß er sich wenig daraus machte, wenn die Summe seiner Verluste jährlich einen nicht unbeträchtlichen Ausfall in seinen sonstigen Revenuen hervorbrachte. Vor allen andern zeichnete sich der Baron als Mitglied eines Reitjagdklubs aus, der nach englischem Muster bei dem schlesischen Adel seinerzeit viel Furore machte. Dieser Klub existierte nur für den Adel und für wenige auserlesene [418] Bürgerliche; er sollte die Freuden des Reitens und der Jagd miteinander verbinden, »um die preußische Jugend wieder zu stählen«.

Dieses »Stählens« bedurfte der Baron freilich nicht, denn trotz mancher Ausschweifungen mit den Landschönheiten seiner Umgebung führte er im ganzen ein sehr regelmäßiges Leben und konservierte seinen eisernen Körper. Er stand morgens mit der Sonne auf und schlief deswegen auch abends im Salon, in der besten Gesellschaft, oft laut schnarchend auf seinem Stuhle ein. In den von den Landräten ausgeschriebenen Kreisversammlungen, die in Schlesien gewöhnlich aus 50 adligen Gutsbesitzern und aus nur 6 oder 8 bürgerlichen und bäuerlichen Deputierten bestehen, fehlte der Baron selten. Noch pünktlicher fand er sich indes auf den in allen benachbarten Orten regelmäßig statthabenden Wochenmärkten ein; nicht nur, um Pferdehandel zu treiben und als Schafzüchter seine Wolle an den Mann zu bringen, sondern namentlich der Annehmlichkeit wegen, viele Leute seines Gelichters beim Trunk oder Spiel zusammen anzutreffen. Diese Wochenmärkte bildeten für den schlesischen Adel lange Zeit einen besuchteren Sammelplatz als die gegen das Ende der dreißiger Jahre gestifteten Adelsreunionen, die zuerst nach den Freiheitskriegen auftauchten, dann aber für einige Jahre wieder verschwanden. Die Krone aller Vergnügungen war für den Baron der jährlich gleich nach Pfingsten stattfindende große Wollmarkt in Breslau. Es ist hinlänglich bekannt, daß der ganze schafzüchtende schlesische Adel um diese Zeit nach der Hauptstadt der Provinz pilgert. Der Baron war von jeher einer der hervorragendsten Besucher dieses Marktes. Er schlug bei solchen Gelegenheiten mehr [419] Geld tot als jeder andere, und es war ihm schon mehr als einmal passiert, daß er eine gehörige Portion Schulden machte, statt einen Haufen Geldes für die verkaufte Wolle mit nach Hause zurückzubringen. Außer dem unvermeidlichen Pferde- und Wollhandel trieb der Baron auch noch die Runkelrübenkultur und die Schnapsbrennerei, so daß er also in seiner Person fast alle »nobeln Passionen« des schlesischen Landadels vereinigte.

Diesen robusten schafzüchtenden und schnapsbrennenden Edelmann finden wir als bestes Pendant zu seinem Wirte, dem in Bädern und großen Städten frühzeitig zerrütteten und entnervten Grafen: in der Gesellschaft einer durch ihre Liederlichkeit weltgeschichtlich gewordenen Herzogin v.S. und eines Ritters Schnapphahnski. Der Baron legitimierte sich zu solchem Umgange durch seinen uralten Adel und durch sein kolossales Vermögen.

Wie meine Leser wissen, war die Herzogin bereits auf dem Landsitze des Grafen angekommen. Zu ermüdet und zu ängstlich, sich gleich den Blicken vieler ihr noch unbekannter Leute auszusetzen, hatte sie aber am ersten Abend ihre Gemächer noch nicht verlassen wollen, so daß also Ritter Schnapphahnski abermals 24 Stunden in der peinlichsten Erwartung zubringen mußte.

Wie sie es stets in Schlössern tat, deren Einrichtung ihr noch nicht geläufig war, hatte die Herzogin auch dieses Mal vor ihrem Erscheinen erst mit dem Grafen in betreff der Beleuchtung des Salons Rücksprache genommen. Es war dies einer der wichtigsten Punkte für die Herzogin. Sie befand sich nämlich in der umgekehrten Lage wie weiland der selige Peter Schlemihl. Der arme Schlemihl hatte keine Schattenseite; die arme Herzogin [420] hatte deren zu viele. Wenn Schlemihl daher seinen Freund Bendel voranschickte, um die Beleuchtung zu arrangieren, daß ihn alle Lichter trafen, so befahl die Herzogin dem Grafen, die Sache so einzurichten, daß sie möglicherweise von keinem getroffen werde. Der Graf war in die Geheimnisse der herzoglichen Toilette eingeweiht, und er leitete denn auch alles in so umfassender Weise, daß die Konstellation der Lampen am nächsten Abend die günstigste werden mußte.

Von der Nacht, die der Ritter und die Herzogin vor ihrem ersten Zusammentreffen zubrachten, kann man sich leicht eine Idee machen. Während ihre Körper noch durch kalte Mauern getrennt waren, schlangen sich ihre Seelen schon ineinander und führten jenen lustigen Tanz der Träume auf, jenen Elfentanz der Gedanken, den alle Liebenden kennen.

Oh, das ist der Teufel, daß wir von dem Ziele unserer Wünsche oft nur durch eine Mauer getrennt sind, durch eine Bretterwand, durch einen Vorhang. Wir hören ihn seufzen und lachen und husten und singen: den Gegenstand unserer Verehrung. Aber die Mauer steht wie eine Mauer vor unserm Glück; die Welt unserer Sehnsucht ist mit Brettern vernagelt, und der Vorhang bleibt verhängt. Während die Dame unsers Herzens vielleicht von uns träumt und gebrochenen Lautes die seltsamsten Worte murmelt und mit den nackten kleinen Füßen in des Bettes Linnen wühlt und die weißen Arme emporstreckt, um ihren Traum zu ergreifen und ihn festzuhalten und an die Brust zu drücken mit Tränen und Küssen – ja, während unser ganzes Sein aufgeht in dem ihrigen: müssen wir vielleicht mit kalten Beinen bei einer Tasse schwarzen Kaffees sitzen, um über [421] eine Zivilklage nachzudenken, über ein philosophisches Problem oder dergleichen Lappalien.

Aber alles das liegt an der schlechten Bauart unserer Häuser und an der schlechten Bauart unserer schlechten Gesellschaft. Wie in Menagerien leben wir in Käfigen und in Vogelbauern. Die Löwen verlernen das Brüllen, die Adler das Fliegen und die Nachtigallen das Singen. Unser halbes Leben verstreicht mit nichtsnutziger Arbeit, bei unbefriedigter Sehnsucht. Aus Titanen werden Philister und aus himmlischen Huris: hysterische alte Jungfern. Zu erbärmlichen, rücksichtsvollen Pedanten hat uns die gute Sitte gemacht, zu rechten Geizhälsen, die ihre Schätze so lange konservieren, bis sie rostig und schimmelig sind. Wir faseln wie der König Salomo, als er siebzig Jahr war, und meinen wir, etwas Neues gesagt oder getan zu haben, da war es doch nur altes, abgetakeltes Zeug, was die Griechen schon besser sagten und taten als wir, was längst im Homeros steht, zugänglich für jeden Tertianer.

Ach, nach Kaffee riechen wir, nach Wolle, nach alten Büchern und nach schmutzigen Akten – nur nicht nach Menschen! Schöne Kerls sind wir. Wenn die alten Götter noch leben, so werden sie sich hübsch über uns mokieren, daß wir mit all unserm Scharfsinn, mit unserer immensen Klugheit doch nur so züchtige Krämer geworden sind, so zahme Tagelöhner. Throne werfen wir um und jagen die armen Könige übers Meer, aber unsern sittsamen Zopf, den Rattenschwanz des Aberwitzes, behalten wir im Nacken. Möchte uns das Schicksal daran erhängen!

Oh, es ist Zeit, daß ihr die Mauern einrennt und die Bretterwände zerschlagt und die Vorhänge zerreißt. Wie [422] die Kinder sollt ihr wieder werden – die Kinder nennen sich du und du und betrügen sich selten und lachen miteinander und weinen und küssen sich und schlafen sorglos in einem Bette, und die Kinder sind die einzigen vernünftigen Menschen auf Erden.

16. Der Baron und der Ritter

XVI
Der Baron und der Ritter

»Nicht wahr, Baron, Sie kennen die Herzogin?« fragte der Ritter Schnapphahnski.

»Die Babylonierin meinen Sie?« erwiderte der pferdekundige Edelmann.

»Nun, die Herzogin von S.!«

»Allerdings kenne ich sie. Ich verkaufte ihr einst zwei Schimmel für 90 Friedrichsdor – zwei Schimmel, sage ich Ihnen, wie zwei Engel; zwei Gäule, die ich liebte, die ich vergötterte. Wenn ich an diese zwei Schimmel denke, da werde ich weich, da kommen mir die Tränen in die Augen. Und nur 90 Friedrichsdor – oh, es war entsetzlich!«

»Aber weshalb verkauften Sie so billig?«

»Weil ich die armen Tiere total zuschanden gefahren hatte; weil sie keinen Schuß Pulver mehr wert waren.«

»Aber, beim Teufel, da bezahlte die Herzogin noch teuer genug!«

»Allerdings, Ritter! Aber wer konnte mir meinenKummer um die armen Tiere bezahlen? Wer bezahlte mir meinen Schmerz, daß ich die herrlichen Gäule so früh ruinierte?«

[423]

»Sie sind sehr naiv, Herr Baron!«

»Ich bin ein Edelmann, Ritter. Seit ich der Herzogin die Schimmel verkaufte, machten wir keine Geschäfte mehr miteinander. Vergebens bot ich ihr das Auserlesenste meines Stalles an. Schecken zum Küssen, Füchse zum Umarmen, Rappen zum Anbeten – die Herzogin wollte sich auf nichts einlassen. Sie berief sich immer auf die Schimmel; von neuem riß sie stets die kaum vernarbte Wunde meines Kummers auf.«

»Aber ich finde, daß die Herzogin alle Ursache dazu hatte.«

»Ganz natürlich, Ritter; aber als galante Dame hatte sie ebensosehr Ursache, die Geschichte nie wieder zu berühren, nie wieder an die Schimmel zu denken und mir mein Unrecht ein für allemal zu verzeihen. Wenn ich mir als leichtsinniger Mann in meiner Betrübnis das Vergnügen machte, die Herzogin für lumpige 90 Friedrichsdor hineinzureiten, da mußte sie sich als geniale Frau das Vergnügen machen, mir diesen Trost zu gönnen – jedenfalls ist dies logisch – –«

»Die Logik des Pferdehandels.«

»Übrigens werde ich mich mit der Herzogin aussöhnen. Ich werde ihr täglich den Hof machen; denn ich verehre die Herzogin, ich verehre das Gespann, mit dem sie gestern abend heranfuhr, und ich werde ihr den höchsten Preis dafür bieten, den je ein Standesherr geboten hat.«

»Ist dies Gespann vielleicht ebenfalls zuschanden gejagt?«

»Ich bitte sehr um Verzeihung: nicht im geringsten! Vier Gäule, die ihresgleichen suchen – –«

»Aber wenn die Herzogin nicht verkaufen will?«

[424] »Nun, da werde ich tun, als ob ich halb verrückt würde.«

»Und hilft auch das nichts?«

»Da werde ich mich totzuschießen drohen.«

»Und kommen Sie noch immer nicht zum Ziel?«

»Nun, da werde ich bis zum Äußersten gehen, ich werde der Herzogin zu Füßen fallen, ich werde ihre Knie umfassen, ich werde ihr eine – Liebeserklärung machen.«

Herr von Schnapphahnski taumelte drei Schritte zurück, als ob er plötzlich in der Person des Barons einen der gefährlichsten Konkurrenten sähe.

»Eine Liebeserklärung –?« erwiderte er endlich mit besonderem Nachdruck.

»Allerdings, lieber Ritter, denn ich kann nicht länger leben ohne die vier Hengste der Herzogin.«

»Aber wissen Sie auch, daß die Herzogin fast sechzig Jahre alt ist?«

»Ich weiß, daß ihre Hengste die schönsten auf der Welt sind.«

»Wissen Sie, daß die Herzogin falsche Waden trägt, falsche Zähne, falsche Haare?«

»Ich weiß, daß ihre Hengste echte Schweife, echte Mähnen und echte Hufe haben.«

»Wissen Sie, daß Sie sich vor der ganzen Welt lächerlich machen werden?«

»Ich weiß, daß ihre Hengste Stück für Stück hundert Pistolen wert sind.«

»Wissen Sie, daß es ein Verrat an Ihrer Jugend sein würde, wenn Sie sich mit einer so alten Person einließen?«

»Ich weiß, daß die Hengste der Herzogin meinen Stall ungemein zieren würden –« [425] Doch der Baron lachte plötzlich laut auf:

»Ich wollte Sie nur auf die Probe stellen, lieber Ritter. Es freut mich, daß wir einerlei Meinung über die Herzogin sind. Man sagte mir gestern, daß Sie wirklich mit ernstlichen Absichten auf die Herzogin losrückten. Ich konnte mir dies nicht denken. Nach dem, was Sie mir eben von der Herzogin sagen, ist es unmöglich. Nicht wahr, Herr Ritter, die Herzogin ist eine alte Runkelrübe?« – Herr von Schnapphahnski biß sich die Lippen. – »Eine alte Runkelrübe, die einst der Berggeist Rübezahl in ein Weib verwandelte?« – Herr von Schnapphahnski blickte verschämt zu Boden. – »Ein junger Mann wie Sie, sich in eine alte Runkelrübe verlieben – ich wußte es gleich, es war reine Verleumdung!« – Es wurde Herrn von Schnapphahnski sehr unheimlich zumute.

»Aber lassen Sie die Herzogin«, erwiderte er endlich.

»Verzeihen Sie, Herr Ritter, Sie selbst haben die Herzogin aufs Tapet gebracht!«

»Jedenfalls ist die Herzogin eine geistreiche Dame!«

»Eine geistreiche Runkelrübe!«

»Sie ist eine berühmte Frau.«

»Eine berühmte Runkelrübe.«

»Herr Baron, ich verstehe Sie nicht.«

»Aber ich verstehe mich auf diese Runkelrübe.«

»Sie scheinen sich über mich lustig zu machen.«

»Ich mache mich lustig über die Runkelrübe.«

»Herr Baron, ich muß Ihre Redensarten als eine Provokation ansehen!«

Der Baron sah den Ritter erstaunt an.

»Also Sie interessieren sich dennoch für die Herzogin –?« – Herr von Schnapphahnski sah, daß er besiegt war. – »Beruhigen Sie sich«, fuhr der Baron fort, »ich [426] werde ganz in Ihrem Interesse arbeiten – aber als Gegendienst müssen Sie so gut sein und der Herzogin versichern, daß ihre vier Gäule den – Spat haben – –« Der Ritter nickte beifällig, und der Handel war geschlossen.

17. Der Ritter und die Herzogin

XVII
Der Ritter und die Herzogin

Der Ritter stand vor der Herzogin, und zierlich bog er sich hinab, ihre Hand zu küssen. Der Handkuß ist die beste Ouvertüre zu dem Gespräch mit einer Dame. Die Adligen kultivieren den Handkuß – wir Bürgerlichen höchstens die Kußhand. Die Adligen haben den Handkuß vor uns voraus; es gibt nichts Passenderes und Graziöseres, als einer schönen Dame passend und graziös die Hand zu küssen. Während sich die Dame majestätisch emporrichtet und den Kopf in den seligen Nacken wirft, daß die kohlschwarzen Locken wie verliebte Schlangen um den alabasternen Hals flattern: beugt der Ritter seinen untertänigen Rücken und drückt den Kuß auf die zierliche, souveräne Rechte, höfliche Grüße winselnd, süße Beteuerungen und galante Lügen. Gibt es etwas Liebenswürdigeres als den Handkuß? Wenn man mit der Hand anfängt, wer weiß, wo man aufhört!

Als Ritter Schnapphahnski der Herzogin Hand geküßt hatte, hob er sich langsam empor und ließ die erwartungsvolle Dame in ein Antlitz schauen, auf dem der Reiz der jugendlichsten Schüchternheit sich so geschickt mit der Frivolität der Erfahrung zu vereinigen wußte, daß der Herzogin unwillkürlich ein Seufzer entfuhr, ein Seufzer, wie sie ihn lange nicht geseufzt hatte, einer jener [427] Seufzer, für die man gern eine Million gibt, für die man sich in Fetzen schießen läßt, für die man tausend Eide schwört, aber auch tausend Eide bricht!

Aus ihren besten Zeiten hatte sich die Herzogin diesen Seufzer aufbewahrt. Herr von Schnapphahnski erschrak ordentlich, daß die Herzogin noch so natürlich seufzen könne, und schnell die Hand aufs Herz legend, fragte er in so naivem Tone als nur irgend möglich: »Gilt dieser Seufzer Ihnen oder mir, gnädige Frau? Ihnen kann er unmöglich gelten, denn in heiterer Hoheit sehe ich Sie vor mir thronen, erhaben über allen Seufzern, über jenen Lauten des Schmerzes und der Sehnsucht, die nur mir gehören – ja, gnädige Frau, Ihr Seufzer gehörte mir, er war mein Seufzer, er war die Huldigung, mit der ich Ihnen nahte, mit der ich mich über die Seufzerbrücke des Lebens zu Ihnen hinüberrettete!«

»Jedenfalls weiß dieser Schnapphahnski seine Phrasen abscheulich zu verdrechseln«, sagte der Baron, indem er den Grafen mehr in die Tiefe des Gemaches zog. Doch der Ritter war bereits im besten Zuge: »Am ersten Tage«, fuhr er fort, »lachte Gott und machte das Licht; am zweiten wurde er noch heiterer und schuf den Himmel. Am dritten Tage wurde er ernst und trocken und schuf die trockne solide Erde; doch am vierten wurde er phantastisch und erfand den Mond und die Sterne, und am fünften wandelte ihn endlich der Humor an, und er erschuf, was sich regt in den Höhn und den Tiefen – am sechsten Tage seufzte er aber und erfand den Menschen, er erfand die Liebe, und seit Jahrtausenden weht nun dieser Schöpfungsseufzer des sechsten Tages durch die Herzen aller Erschaffenen, einem ewigen Echo gleich, das von einer Seele zu der andern widertönt, immer neue [428] Töne schaffend, Töne der Freude und Töne des Schmerzes, harmonische und herzzerreißende.«

»Es ist schade, daß der Ritter kein Pastor wurde«, murmelte der Baron in das Ohr des Grafen. »Sehn Sie nur, wie er gestikuliert: wie ein verrückt gewordener Telegraf! Hat man je etwas Tolleres erlebt?«

Die Herzogin hatte sich indes aufmerksamer emporgerichtet. Sie warf den roten Kaschmirschal in geheimnisvollere Falten, und dem Ritter das adlige Profil zeigend, den Handschuh der zierlichen Hand und den kleinen Fuß, erwiderte sie mit freundlichem Lächeln? »Aber, in der Tat, Herr Ritter, Sie führen eine wahre Seufzerkonversation; Sie müssen entsetzlich unglücklich sein –«

»Entsetzlich! gnädige Frau –«

»Aber geistreiche Leute sollten nie unglücklich sein; wenigstens sollten sie nie so sehr an ihrem Glück verzweifeln, daß sie sich länger als einen Tag lang ärgerten oder ennuyierten. – Sagen Sie mir aufrichtig, Herr Ritter, sind Sie seit gestern unglücklich oder seit heute?«

»Seit zehn Minuten, gnädige Frau!« Der Ritter faltete die Hände und sah die Herzogin mit schwärmerischen Augen an. Die Herzogin hätte tausend Louisdor darum gegeben, wenn es ihr möglich gewesen wäre, in diesem Augenblick leise zu erröten.

»Sehn Sie nur, wie er wedelt und scharwenzelt«, murmelte der Graf. – »Wie ein junger Hund vor einer alten Katze«, erwiderte der Baron. – »Ich hätte ihn nie für einen so großen Komödianten gehalten.« – »Er hat sich zehn Jahre lang jeden Tag vor dem Spiegel im Gestikulieren geübt.« – »Es ist gar kein Zweifel mehr, daß er die Herzogin erobert.« – »Gott sei gedankt, so erobere ich die vier Hengste!« – Graf und Baron zogen sich etwas [429] zurück, und unser Schnapphahnski fuhr fort, seine Liebesleiden so rührend zu entwickeln wie noch nie ein Ritter vor ihm.

Mit jeder Sekunde wurde seine Beredsamkeit blumenreicher und ergreifender; seine Worte galoppierten wie geflügelte Rosse über die Hindernisse der kitzlichsten aller Unterredungen. Wie ein Dichter in dem windstillen Raume seines Studierzimmers sich so lebhaft in den fürchterlichsten Sturm auf offener See versetzen kann, daß er während der Schilderung des selben unwillkürlich nach dem Kopfe greift, um den Hut festzuhalten, so wußte Herr von Schnapphahnski in der Nähe einer fast sechzigjährigen Dame derart die Gegenwart eines blutjungen unschuldigen Kindes heraufzubeschwören, daß er wahre Wunder der Naivität beging und die Herzogin unwillkürlich in den Strudel der süßesten Liebesraserei mit sich fortriß.

»Unglücklich bin ich«, rief der Ritter, »unglücklich geworden seit zehn Minuten, weil ich noch daran verzweifeln muß, ob ich je wieder glücklich werde. Eine Rose fand ich – darf ich sie brechen? Eine Perle fand ich – darf ich sie an meine Brust drücken?« –

Ähnliche Phrasen entschlüpften dem Ritter zu Dutzenden. Die Herzogin gestand sich, daß sie schon viel dummes Zeug im Leben gehört habe, gewiß aber nicht so viele verliebte Schnörkel, wie sie der Ritter in Zeit von einer halben Stunde produzierte.

»Reisen Sie, Ritter! Suchen Sie Trost und Zerstreuung auf Reisen –«

»Gnädige Frau, verstoßen Sie mich nicht.«

»Jagen Sie, Ritter! Suchen Sie Zerstreuung auf der Jagd –«

[430] »Gnädige Frau, verjagen Sie mich nicht.«

»Treiben Sie Künste und Wissenschaften, Ritter, zerstreuen Sie sich!«

»Lassen Sie mich das nicht in der Kunst suchen, was ich im Leben vor mir habe –«

So dauerte die Unterredung fort, und immer schwärmerischer schaute der Ritter auf die Dame, und immer entzückter blickte die Dame auf den Ritter.

Doch ich kann von meinen Freunden nicht erwarten, daß sie die Liebesduselei zweier alter Sünder bis zu Ende lesen sollen. Das Geschwätz zweier Liebenden ist unter allen Umständen langweilig, und wenn auch eine Konversation wie die der Herzogin und des Ritters schon ihrer Heuchelei wegen interessanter ist als eine wirkliche, aufrichtige, jugendliche Aventüre, so bleiben die mehr oder weniger abgedroschenen Phrasen doch immer dieselben. »Der süße Gram« und die »holde Not« machen sich in schlecht stilisierten Briefen und in erbärmlichen Redefloskeln Luft, und die Faseleien der Liebe sind unerträglich. Erst da wird die Liebe interessant, wo sie rein sinnlich auftritt. Die sinnlichen Engel auf Erden sind ganz leidliche und interessante Geschöpfe, aber die geschlechtslosen Engel im Himmel wollen wir dem lieben Gotte überlassen.

Alle Leute, heißt es in unsern Manuskripten, die seinerzeit auf dem Schlosse des Grafen anwesend waren und die Manöver des Ritters der Herzogin gegenüber zu beobachten Gelegenheit hatten, meinten vor Lachen zu sterben. Der Ritter betrug sich wie der sentimentalste Affe, und er führte diese Rolle mit einer solchen Konsequenz durch, daß die Herzogin sich immer mehr täuschen ließ und wunderbarerweise zuletzt gar nicht mehr [431] daran zweifelte, daß der Ritter ihr mit demselben Verlangen entgegeneile, wie sie sich zu ihm hinübersehnte. Die Herzogin gestand sich, daß sie noch nie so geliebt worden sei. Alle ihre Jugendträume kehrten wieder; alles, was sie genossen, wurde aufs neue bei ihr lebendig. Sie glaubte sich in jene Tage zurückversetzt, wo einst die Blüte der französischen Jugend zu ihren Füßen lag, und in der Gestalt unseres Ritters erschienen ihr alle Männer, von denen sie Liebes erfuhr. Dem Ritter war es gelungen, was ihm der Graf als die schwierigste Aufgabe geschildert hatte. Es war ihm gelungen, die Jugend der Herzogin in ihr Alter zurückzuzaubern.

Als der Ritter aber soweit gelangt war, da kannte die Dankbarkeit der Herzogin keine Grenzen mehr. Wäre es Schnapphahnskis Wunsch gewesen: sie hätte wirklich mit Freuden ihre Schlösser in Brand gesteckt und ihre Demanten ins Meer geschleudert. Diese Dankbarkeit der alten, unverwüstlichen Dame soll etwas Rührendes gehabt haben. In dem abscheulichen Gewirr der Lügen, der Heuchelei, der widerwärtigsten Eitelkeit und der schamlosesten Intrigen tauchte diese Dankbarkeit, dem geschmolzenen Gold in seinen Schlacken ähnlich, als das einzig erquickliche Gefühl auf und versöhnte gewissermaßen das Bizarre und Ekelerregende des ganzen Umgangs.

Auf unsern Ritter wirkte dies zurück. Zum ersten Male in seinem Leben schämte er sich. Er hatte zu sehr gesiegt, um sich nicht zu schämen. Aus der ersten, unnatürlichen Annäherung wurde ein jahrelanges, zärtliches Verhältnis.

Nach dem Besuch auf dem Landsitze des Grafen kehrte damals die Herzogin nach ihrem Schlosse zurück, [432] und es verstand sich von selbst, daß sie unsern Ritter mitnahm. Es erfolgte nun ein Zusammenleben, daß man unmöglich hinlänglich beschreiben kann. Ein griechischer Kultus wird eingerichtet; die Herzogin läßt die Badegrotte mit asiatischem Luxus neu möblieren, und hier weilen die Liebenden halbe Tage lang.


Odysseus und Kalypso.


»Also geschah's; da sank die Sonne, und Dunkel erhob sich. Beide gingen zur Kammer der schöngewölbten Grotte und genossen der Lieb und ruheten nebeneinander.«


Todmüde und nach Luft schnappend, zieht sich der Ritter endlich nach seinem Gute zurück. Aber hierhin folgt ihm die Schöne, voll ungestillten Verlangens, inMannskleidern – – –

Groß wie der Dienst war auch schließlich der Lohn. Auf einen Schlag erhält der Ritter 200000 Taler.

18. Das Resultat

XVIII
Das Resultat

Komisch würde es sich ausnehmen, wenn man auf unsern heutigen Bühnen bei hellem, lichtem Tage Theater spielen wollte. Unter der ganzen gemalten Herrlichkeit würde das Eselsohr der Wirklichkeit hervorschauen. Blumen und Bäume würden ihren Glanz verlieren, und Salons und prächtige Hallen würden zu wahren Ställen und schofeln Korridoren hinabsinken. Auch die Künstler würden sich ganz anders ausnehmen. Unter einem Almaviva würde man trotz der besten Maske den Herrn Meyer erkennen, Marquis Posa käme als Herr Fischer [433] zum Vorschein, und so würde man einen jeden an seinen Blatternarben erkennen, an seinem schlechten Schnurrbart oder an irgendeiner andern Vernachlässigung der Schöpfung, und der Herr Direktor würde bald vergebens sein Haus zu füllen suchen.

Wie es dem Direktor mit dem Theater geht, so ging es mir mit der Herzogin von S. Meine letzten Schilderungen würden ebenfalls hübscher geworden sein, wenn ich sie bei Lampenlicht hätte geben können. Aber nur in trocknen Worten, bei unzweifelhaftem Tageslichte mußte ich die Schönheiten jener hohen Dame zergliedern; da half kein Bitten und kein Flehen, die Sache wollte nun einmal beschrieben sein, so oder so, jedenfalls aber gemäß der Wahrheit, und leider mußte ich gehorchen. Meine Leser werden bemerkt haben, daß dies nur mit großem Widerstreben geschah, ich zog die Sache soviel wie möglich in die Länge und würde mich durch das Zwischenschieben anderer, fremdartiger Geschichten wohl noch länger dagegen gesträubt haben, wenn mich mein Gewissen nicht daran erinnert hätte, daß es besser sei, lieber um kein Haar breit von meinem Texte abzuweichen und allein der Wahrheit die Ehre zu geben.

Ich blieb bei der Wahrheit, und ich war deshalb zehnmal weniger interessant, als wenn ich die Göttin der Lüge umarmt hätte. Wahrheit und Lüge! Die Göttin der Wahrheit ist wie ein sechs Fuß hohes Mädchen mit blonden Haaren und mit kaltem, aber schneeweißem Teint. Aus zwei großen blauen Augen, die wie zwei Himmel in ruhig heiterer Herrlichkeit zu dir niederlächeln, schaut dich die Seele der reinen, keuschen Göttin so unbefangen und doch so feierlich an, daß du nur schüchtern zu nahen wagst, um ihr höchstens die Stirn zu küssen, [434] die hohe olympische Stirn, und dann eines Befehles zu harren in banger Unterwürfigkeit, den langen, lieben, langweiligen Tag. Es geht uns mit der Wahrheit wie Cupido mit den sämtlichen Musen. Ich entsinne mich nämlich, gelesen zu haben, sagt Meister Alcofribas, daß einst Cupido, den seine Mutter Venus frug, warum er nicht die Musen anfiel, zur Antwort gab, er fände sie so schön, rein, ehrbar, sittsam und stets beschäftigt, die eine mit Betrachtung der Sterne, die andere mit Berechnung der Zahlen, die dritte mit geometrischen Maßen, die vierte mit rednerischer Erfindung, die fünfte mit poetischen Künsten, die sechste mit Musikbesetzung usw., daß er, wenn er zu ihnen käme, seinen Bogen abspannte, den Köcher zuschlöß und die Fackel verlöschte, aus Scham und Scheu, ihnen weh zu tun. Auch nähme er sich die Binde von den Augen, sie offenen Angesichts zu schauen, ihre artigen Lieder und Oden zu hören: dies wäre ihm die größte Lust der Welt, so daß er sich öfters schier verzückt fühle in ihrer Anmut und Lieblichkeit, ja in der Harmonie entschliefe, geschweige daß er sie überfallen oder von ihren Studien sollte abziehen. – So geht es uns denn auch mit der Wahrheit.

Oh, wie anders ist es mit der Lüge! Die Göttin der Lüge oder der Phantasie, wenn ihr sie lieber so nennen wollt, ist nicht wie die der Wahrheit ihre sechs Fuß hoch; sie trägt auch keine blonden Haare – nein, eine kleine schwarz- oder braungelockte Person ist sie, südlich dunkler Gesichtsfarbe, mit schelmischem Rosenmund und so verführerisch zierlich an Taille, Händen und Füßen, daß man wirklich gleich auf allerlei Irrwege geraten würde, wenn die beiden feurigen Augen der Kleinen nicht so sehnsüchtig verlangten, daß man sich taumelnd [435] in ihnen verlöre wie eine Mücke im flammenden Lichte. Ruhig nicht und ernst ist die reizende Göttin, nein, sie ist lebendig, beweglich; sie tanzt und singt und schmückt ihre Locken mit lustigen Blumen, lachend und weinend, wie es ihr gerade einfällt, und immer bleibt sie graziös. Der Wahrheit mußt du huldigen wie einer Königin, und was sie dir gibt, das gibt sie dir aus Gnade. Nicht so die Phantasie. Statt ihr nachzulaufen, läuft sie mitunter dir nach, und bist du ein hübscher Junge, da besucht sie dich in den Nächten des Frühlings und schlingt ihre weichen Arme um deinen Nacken und küßt dich, und am Morgen wachst du verwundert auf. Die nackte Wahrheit ist eine englische Ehefrau; die schöne Lüge eine französische Grisette.

Doch zurück zu Schnapphahnski!

Es war die höchste Zeit, daß unser Ritter in seinen Unternehmungen reüssierte; er siegte noch gerade zur rechten Zeit über die Herzogin; ihre Großmut konnte ihn noch retten. Die bedeutenden Besitzungen der Schnapphahnskischen Familie im östreichischen Schlesien sollten nämlich öffentlich verkauft werden, da der Ritter nicht mehr imstande war, sie zu halten. Schon war der Versteigerungstermin bestimmt, und ein Bevollmächtigter des K. von H. präsentierte sich, um die enorme Besitzung zu erstehen. Da trat jene Wendung in dem Leben unseres Ritters ein ... Die Herzogin von S. schwärmte für Schnapphahnski, und kein Opfer war ihr zu groß, um dem unglücklichen Manne zu helfen. Durch ihren Einfluß wußte sie es dahin zu bringen, daß der K. von H. seinen Bevollmächtigten zurückzog und die Idee des Kaufes fahren ließ. – Andere Bieter waren bei der ungemeinen Beträchtlichkeit der Herrschaft nicht zu [436] fürchten und nicht vorhanden, und die Herzogin gab dann dem Ritter 200.000 Taler, damit er die ganze Geschichte halten konnte. Hiermit nicht zufrieden, veranlaßte der Ritter seine Gönnerin außerdem noch, nach und nach die Hypotheken, welche auf den andern Gütern lasteten, abzulösen und so mit seinen bedeutendsten Schulden tabula rasa zu machen – unser Freund war einer der Glücklichsten unter der Sonne.

Ihr erinnert euch jener Sage von einem verwünschten Schlosse? Disteln und Dornen waren hoch um die alten Mauern gewachsen und bildeten mit den efeuberankten Bäumen des Waldes einen undurchdringlichen Kranz, der die ganze Feste einschloß. Totenstille herrschte in dem prächtigen Raume. Auf dem Hofe schlummerten Hunde und Katzen; regungslos standen im Stalle die edlen Rosse, eben noch bedient von rüstigen Knechten, die plötzlich bei der Arbeit eingeschlafen waren und mit halb geschlossenen Augen träumerisch an den Krippen lehnten.

In der Küche nickten Koch und Küchenjunge, und da und dort saßen die andern Dienstboten, alle wie vom Schlage gerührt. In den Hallen des Saales ruhten aber auf weichen Polstern: Herren und Damen, beim Bankett vom Schlafe überrascht, die Becher noch in Händen, mit gesenkten Häuptern.

Kurz, alle lebenden Wesen des Schlosses, von den Helden des Saales an bis zu der Fliege an der Wand, waren behext und vom Zauber berückt, und schlafen würden sie vielleicht noch heute, wenn sich nicht einst ein jugendlicher Ritter mit dem Schwerte Bahn durch die Disteln und Dornen geschlagen hätte und keck hinein in den verwünschten Raum gedrungen wäre.

Er sah sich verwundert um, und er begriff, daß dieser [437] Zauber nur auf ganz eigentümliche Weise gelöst werden könne. Wochenlang hätte er die Herren und die Diener rütteln und schütteln können: sie würden doch nicht wach geworden sein. Er schritt daher die Wendeltreppe des Turmes hinauf, und als er hoch oben in ein kleines Gemach trat, da fand er auf weiche Kissen hingegossen: die schönste Jungfrau. Die Locken ruhten neben dem lieblichen Köpfchen, und die Lippen leuchteten in rosiger Frische.

Entzückt war der Ritter, und lange schwelgte er in dem seligen Anblick. Als er sich aber genug erquickt hatte, da bog er sich hinab, und es verstand sich von selbst, daß er die Schöne mitten auf ihren roten Mund küßte – da war der Zauber gelöst!

Im Hofe erwachten Hunde und Katzen; im Stall die Rosse samt ihren Knechten; in der Küche fuhr Koch und Küchenjunge empor, und erwachend reckten die übrigen Dienstboten ihre steifgewordenen Glieder. Die Herren und Damen des Saales regten sich nicht minder: sie fuhren in ihrem Bankett fort und ahnten kaum, daß sie ein paar Hundert Jahre lang geschlafen hatten.

Kurz, alles wurde lebendig, von den Helden des Saales an bis zu der Fliege an der Wand, denn oben im Erker küßte der Ritter die Jungfrau, und vom Traume erwachend, sank sie liebeseufzend an seine Brust.

Gelehrte Leute behaupten, der ganze Zauber rühre von dem Stich einer Spindel her und nur durch einen Kuß könne so etwas wiedergutgemacht werden – –

Ich weiß nicht, wie es darum steht, soviel ist aber gewiß, daß die Umarmung des Ritters Schnapphahnski und der Herzogin von S. denselben Einfluß auf die verschuldeten Güter des erstern hatte wie der Kuß des Ritters [438] der Sage und der schlafenden Jungfrau auf das verwünschte Waldschloß. Der Kuß des Ritters entzauberte das Schloß; die Umarmung unseres Schnapphahnski enthypothezierte seine sämtlichen Besitzungen.

Wie die Rosse des Waldschlosses froh in die Luft hinauswieherten, daß endlich der Spuk gelöst sei, so huben sich auch die Merinomutterschafe und Böcke der Schnapphahnskischen Güter freudig empor und blökten ihrem schuldenfreien Herrn ein lustiges Willkommen.

Schnapphahnski hatte keine Schulden mehr.

Jeder, der einmal Schulden hatte, wird die Seligkeit dieses Gefühles zu begreifen wissen. Schulden gehören zu den unangenehmsten Rückerinnerungen; Schulden sind gewissermaßen der Katzenjammer längst verrauschter Genüsse. Alle dummen Streiche, die wir im Leben begingen, treten in den steifen Ziffern unserer Schulden noch einmal ärgerlich vor unser Gedächtnis, und mit widerlichen Grimassen grinst die Vergangenheit in unsere Gegenwart herein.

Das Schlimmste bei den Schulden ist indes, daß wir mit den Schulden Gläubiger bekommen! Diese ernsten, mürrischen Leute, die uns auf der Straße mit Nasenrümpfen anschauen, die schon in der goldenen Frühe an unsere Tür pochen, um uns all ihren Jammer vorzuleiern, ja, die uns gar bei der Arbeit überraschen, wenn wir mit den höchsten Weltinteressen beschäftigt sind, um uns von dem Sinai unserer Gedanken in das tote Meer ihrer kleinbürgerlichen Misere hinabzuziehen – oh, es ist entsetzlich!

Aber das ist die Ironie des Schicksals, daß schon mancher Titane, der für das Heil der Menschheit schwärmte, nicht einmal seine Hosen bezahlen konnte – –

[439] Mensch, mache keine Schulden! Ein Gläubiger ist erboster als eine Hornisse, beständiger wie der Teufel und langweiliger als ein Engel.

Mit dem Bezahlen der Schnapphahnskischen Schulden glaubte die Herzogin indes, noch nicht genug getan zu haben. Vor allen Dingen wollte sie ihm wieder Bahn in die Berliner Gesellschaft brechen. Nur eine Herzogin von S. konnte eine solche Aufgabe übernehmen. Eine Frau, die alle Intrigen des Ancien régime und der Revolution kannte, die alle Wechselfälle des Kaiserreichs, der Restauration und der Dynastie mit durchgemacht hatte, schrak vor nichts zurück. Imponierend durch ihre Kühnheit, durch ihre Erfahrung und durch ihren kolossalen Reichtum, sehen wir sie zugleich mit unserem Ritter in Berlin auftreten. Die alten Feinde Schnapphahnskis regen sich an hundert Orten; aber ohnmächtig sind sie gegen die Energie der Herzogin; die heillosesten Geschichten ihres Freundes werden zu den liebenswürdigsten Abenteuern; Haß, Spott, Gelächter: alles weiß sie zu besiegen. In einer Audienz bei dem Gespiel ihrer Jugend weiß sie Schnapphahnskis Zulassung zu den höchsten Kreisen durchzusetzen. Der Ritter wird wieder »möglich«, er faßt Fuß, er bekommt eine Stellung und – muß geduldet werden.

Schnapphahnskis politische Laufbahn beginnt.

19. Die Römerfahrt

XIX
Die Römerfahrt

Ehe wir unserm Ritter auf dem dornenvollen Pfade der Politik folgen, müssen wir noch eine Episode seines [440] Lebens berühren, die zu merkwürdig ist, als daß sie übergangen werden dürfte. Es tut uns nur leid, daß wir etwas weit von dem bisherigen Schauplatz der Begebenheiten abschweifen müssen. Schon einmal begleiteten wir unsern Helden bis nach Spanien; heute müssen wir ihm nach Italien folgen. Damals begleiteten wir ihn bis in das Leihhaus von Pampeluna; heute folgen wir ihm bis zu den Füßen des Heiligen Vaters.

Wir haben nämlich nichts mehr und nichts weniger zu erzählen als die Römerfahrt unsres Ritters.

Alle großen Sünder verrauschter Jahrhunderte hielten es für ihre Pflicht, wenigstens einmal im Leben, wenn auch nicht nach dem Heiligen Grabe, so doch nach Rom zu wallfahrten, um dort, von allen Skrupeln erlöst, desto ruhiger in einen neuen Sündenabschnitt ihres Lebens hineinzusteuern.

Jede Zeit hatte ihre Sitte; so auch die damalige. Die Griechen brachten den Göttern Hekatomben; das Mittelalter pilgerte nach Rom; wir sündigen Menschen der Jetztzeit pilgern höchstens nach Paris.

Nach Paris, dem welschen Babylon! Nach der heiligen Stadt der schönen Babylonierinnen! Auf den Boulevards zu spazieren, zu tanzen in den Champs-Élysées und zu Mittag speisen bei Véry für 48 Francs. – O welches Vergnügen! Wie ein Araber in Mekka, wenn er, die Arme kreuzend und blumenreiche Gebete murmelnd, in die heilige Kaaba tritt, so trat ich, Mabille, in deinen Garten und neigte mich, o Babylon, vor deinen Frauen!

Die Rosen dufteten, die Seide rauschte.


»Hörner, Pauken und Trompeten
Tönten jubelnd die Fanfare,
[441]
Und wir riefen alle: Heil!
Heil der Königin Pomare!«

Herr von Schnapphahnski hielt aber fest an den Sitten der Väter; Se. Hochgeboren waren ein guter Katholik – niemand wird ihm dies verdenken.

Die protestantische Religion ist eine Religion für Kaufleute und Fabrikanten – – Herr von Schnapphahnski war weder Kaufmann noch Fabrikant, sondern, wie gesagt, ein guter Katholik. Nichtsdestoweniger machte er aber von Zeit zu Zeit seine Bilanz, d.h. seine geistige oder Seelenbilanz, indem er sich dann jedesmal den Saldo seiner Sünden von der guten Mutter Kirche quittieren ließ. Eine materielle Bilanz brauchte der Ritter um so weniger zu machen, da ja die Herzogin von S. seine sämtlichen Schulden bezahlt hatte.

Mit der geistigen oder Seelenbilanz unseres Helden sah es diesmal schlimm aus. Der edle Ritter hatte viel auf dem Herzen. Seit mehreren Jahren hatte er die Sündenconti seines Gewissens nicht abgeschlossen, und wenn er die Folioseiten seines Gedächtnisses durchblätterte, so fand er nur gar zu viele dittos in seinem Debet – höchst wenige im Kredit.b

Unser Ritter ging daher eines Tages sehr ernstlich mit sich zu Rate; er zerbrach fünf Federmesser und zerschnitt zehn Bleistifte. Nachdem er aber die fünf Federmesser zerbrochen und die zehn Bleistifte zerschnitten hatte, schnitt er mit dem sechsten Federmesser den elften Bleistift und entwarf die folgende:


[442]
Geistige oder Seelen-Bilanz des berühmten Ritters Schnapphanski
Soll Haben Abenteuer in O. Schlesien 1 Sünde Tugenden Troppau 1 Saldo der Sünden 30 Sünden mit Carlotten 1 den Diamanten 1 der Tochter Atta Trolls 1 in Brüssel 1 München 1 Wien 1 Berlin 1 auf einer Insel der Nordsee 1 Verschiedene 20 Sünden Summa: 30 Sünden Summa: 30 Sünden Saldo Vortrag 30 Sünden Mögliche Absolution 30 Sünden

[443] Unsere Leser werden gestehen, daß diese Abrechnung eben nicht sehr günstig für unsern Ritter ausfiel. Wenn nicht der Papst ebenso großmütig war wie die Herzogin von S., so ließen sich die geistigen Angelegenheiten unseres Helden bei weitem nicht so leicht ordnen, als es eben erst mit seinen materiellen Verhältnissen geschah. Herr von Schnapphahnski wollte aber nichts unversucht lassen, und so trat er denn eines Morgens in das Zimmer der Herzogin und sprach in der Weise Ritter Tannhäusers die folgenden berühmten Worte:


»Mein Leben das ist worden krank,
ich mag nit lenger pleiben;
nun gebt mir urlob, frewlin zart,
von eurem stolzen leibe!«

Die Herzogin erschrak natürlich im höchsten Grade und begriff nicht gleich, was die Geschichte zu bedeuten hatte. Sie war erst eben so gefällig gewesen, die Schulden ihres Freundes mit baren 200000 Talern zu bezahlen, die Ablösung vieler kleinen Hypotheken ungerechnet; und nun wollte der Ritter schon wieder fortziehn: das war nicht recht! Es fiel ihr im Traume nicht ein, daß der Ritter zur Buße seiner Sünden nach Rom pilgern wollte – – Ohne sich daher an der altdeutschen Sprachweise ihres Freundes zu stören, fuhr die Herzogin in der Manier der Frau Venus fort zu reden und erwiderte:


»Danhäuser, nit reden also!
ir tund euch nit wol besinnen;
so gen wir in ain kemerlein
und spilen der edlen minne!«

[444] Die Herzogin lispelte diese Worte geradeso verführerisch, wie sie einst Frau Venus gesprochen haben mag. Der Ritter schien aber wenig davon erbaut zu sein; er schüttelte mit dem schönen schwarzlockigen Kopfe, und ohne von den Tränen Notiz zu nehmen, die aus den Augen der hohen Dame in den roten Kaschmirschal rieselten, öffnete er zum zweiten Male den holdseligen Mund und antwortete, indem er die Hände in die Hosentaschen steckte, mit sehr akzentuiertem Tone:


»Eur minne ist mir worden laid,
ich hab in meinem Sinne:
fraw Venus, edle fraw so zart!
ir seind ain teufelinne.«

Hierüber entsetzte sich die Herzogin nur um so mehr, so daß sie unwillkürlich ein Kreuz schlug, was sie seit dem Einzug der Alliierten in Paris nicht mehr getan hatte. Tödlich wäre es der Herzogin gewesen, ihren Schnapphahnski zu verlieren; hätte sie nicht ihren kahlen Kopf gefürchtet, sie würde die Perücke vor Verzweiflung unter die Decke geschleudert haben. Mit den Zähnen konnte sie ebenfalls nicht knirschen, denn, wie unsern Lesern bekannt ist, waren sie mehr ein Produkt des Zahnarztes als der Mutter Natur. Das Rollen der gewaltigen Augen durfte daher einzig und allein den Zorn ihres Innern zu erkennen geben, und dies Augengeroll war entsetzlich: zwei Roulettescheiben glaubte man in wilder Bewegung zu sehn.

Vergebens waren aber alle Anstrengungen: der Ritter beharrte auf seinem Vorhaben, und die Herzogin würde sich gewiß mit einer Haarnadel den Tod gegeben haben, wenn der muntere Schnapphahnski nicht plötzlich den [445] Schluß des berühmten Tannhäuser-Liedes gesprochen und ihr erklärt hätte:


»Ich will gen Rom wol in die statt
gott well mein immer walten!
zu einem bapst der haist Urban
ob er mich möcht behalten – –«

Als nämlich der Ritter diesen Vers zitiert hatte, trocknete die Herzogin ihre Tränen aus beiden Roulettescheiben und sprang empor mit dem Schrei des Entzückens.

»Ja, zum Papst! Zum Papst Urban!« rief sie. »Wenn er dich auch nicht behalten soll, so soll er dich wenigstens erlösen. Ja, nach Rom, zum Papst! Ich werde dich begleiten – –« Mit beiden Armen umschlang die Herzogin ihren geliebten Ritter.

Am nächsten Morgen waren sie auf dem Wege nach Italien.

Meine Leser können unmöglich verlangen, daß ich ihnen die Abenteuer dieser italienischen Reise haarklein erzähle. Ich dachte damals noch nicht an den Ritter Schnapphahnski und bestach daher weder einen Kutscher noch eine Kammerfrau, um mir alle die süßen Geheimnisse mitzuteilen, die zwischen der kalten Jungfrau und dem feurigen Vesuv vorgefallen sein mögen. Genug, unser glückliches Paar reiste von der Jungfrau bis fast an den Vesuv, d.h. bis nach Rom. – Es versteht sich von selbst, daß unsere Pilger nicht wie die Pilger von ehedem zu Fuß in härenem Gewände ihre Straße zogen. Nein, sowohl Frau Venus als Ritter Tannhäuser stimmten in der Ansicht überein, daß der religiöse Fanatismus mit einer bequemen Karosse wohl zu vereinbaren sei. Indem sie nicht nur bequem, sondern höchst elegant reisten, [446] befolgten sie sogar recht eigentlich das Prinzip des Katholizismus, denn die katholische Religion ist die Religion des Glanzes und der Pracht.

Gerade das macht den Katholizismus liebenswürdig, daß er ein Auge für das Schöne, für das Sinnliche hat. Alles, was sinnlich ist, ist aber ewig, und so glaube ich auch an die Ewigkeit des Katholizismus. Man lache mich ja nicht aus! In keinem Falle muß man mir aber mit den Griechen kommen. Man könnte mir nämlich vorwerfen, die Griechen seien auch im höchsten Grade sinnlich gewesen, und trotzdem wären ihre Götter verschwunden, und niemand denke und niemand glaube mehr an sie – – dummes Zeug! Die Griechengötter leben bis auf den heutigen Tag.

Oh, ich habe das einem meiner alten Lehrer an der Nase angesehen. Am Morgen gab er uns nämlich den nüchternen protestantischen Religionsunterricht, und dann war er ledern, zum Verzweifeln. Steif wie ein Stockdegen stand er vor uns, seine Ohren waren länger als gewöhnlich, seine Gesichtsfarbe war bleiern fahl, und die Worte haspelten sich aus seinem Munde los wie ein dünner langweiliger Zwirnsfaden von einer unbeholfenen Spule – oh, es war entsetzlich, wie man uns peinigte! Da kam der Abend; und derselbe Mann, der uns morgens den Katechismus einpaukte, er schlug den Homer auf und las uns einen Gesang der Odyssee vor. Anfangs holprig und poltrig. Man merkte, daß der arme Mann erst das Christentum vergessen mußte, um ganz wieder Heide zu werden. Aber allmählich ging es besser, mit jeder Strophe gewann seine Stimme an Wohlklang. Es war, als wenn der ganze Mensch von Minute zu Minute anders geworden wäre. Der Rücken hörte auf, steif zu sein, [447] die Ohren wurden kleiner, sein Gesicht belebte sich, seine Augen funkelten; der Schulmeister war ein Mensch geworden, ja, der arme Teufel war plötzlich ein schöner Mann, und er riß uns fort, und atemlos horchten wir, und war er zu Ende und blitzten Freudentränen in seinen Wimpern, da stürzten wir auf ihn los, und warm drückte er uns die Hände, und heiter eilten wir in die Nacht hinaus, wo die Sterne am dunkeln Himmel heraufzogen, feierlich, prächtig – ach, und wir glaubten an die alten Götter.

Der Mann, der uns zu Christen machen sollte, er machte uns zu Heiden. Ich werde ihm das nie vergessen. Dankbar will ich seiner gedenken.

Herrn von Schnapphahnski erwartete in Rom der beste Empfang. Frau Venus protegierte ihn herrlich, und zum Lohn für seine Sünden schmückte man seine Brust mit einem der höchsten Orden der Christenheit.

20. Die Politik

XX
Die Politik

Von Rom kehrte unser Ritter zurück nach Berlin. Er trat jetzt bei weitem anders auf als früher, denn die Herzogin hatte ja alle Schwierigkeiten seines Daseins aus dem Wege geräumt. Herr von Schnapphahnski konnte sich nicht nur wieder auf der Straße sehen lassen, nein, er hatte auch wieder Zutritt zu den besten Kreisen, und allerhöchsten Ortes stand er von neuem sehr gut angeschrieben. Zu allen diesen Errungenschaften kam jetzt noch die Huld des Papstes und der Nimbus, die ihm die ganze italienische Reise verlieh – in der Tat, es gab nicht [448] leicht einen Menschen, der in so kurzer Zeit mehr auf den Strumpf gekommen wäre als unser Ritter.

Alles drängte sich an ihn heran, um ihn zu protegieren und um von ihm protegiert zu werden. So machte man Schnapphahnski z.B. zum Direktor eines großen industriellen Unternehmens, eine Stellung, die er dadurch geschickt zu seinem Vorteile zu benutzen wußte, daß er die ganze Anlage auf den Namen einer der höchstgestellten Personen des Landes taufen ließ und sich natürlich dadurch die besondere Gunst derselben sicherte. Vor allen andern war es aber stets die Herzogin, die unserm Ritter getreu blieb. Sie konnte nicht mehr ohne ihn leben. Ging er von seinen Gütern nach Berlin, so folgte sie ihm; reiste sie nach Berlin, so mußte er ihr folgen. Schnapphahnski beutete diese Anhänglichkeit ganz in seinem Interesse aus. Wenn die Herzogin nämlich ihren Liebling einlud, so weigerte er sich gewöhnlich, ihrem Rufe zu folgen, unter dem Vorgeben: seine Vermögensverhältnisse zwängen ihn, den Luxus, den er als Er (!) in Berlin machen müsse, zu vermeiden und auf dem Lande zu bleiben. Dies Argument konnte dann stets nur aufeine Weise aus dem Wege geräumt werden, nämlich durch bare Zahlung. Regelmäßig schickte ihm die Herzogin für eine vierwöchentliche Reise nach Berlin 20000 Taler; allermindestens 10000 Taler.

Die Herzogin war reich genug, um allen ihren wie allen Launen ihres Ritters genügen zu können. Denn, wie wir früher schon erzählten, hatte sie nicht nur, mit Ausnahme von 80000 Francs Revenue, welche an die Gemahlin des Grafen C., die vermeintliche Tochter des alten T., gingen, das ganze Vermögen jenes berüchtigten französischen Diplomaten geerbt, sondern auch noch seit [449] 1839 den Besitz der sämtlichen Güter ihrer ältern Schwester angetreten.

Diese ihre älteste Schwester, welche wir schon früher als die Erfinderin der berühmten schwarzen Haartinktur erwähnten, war nämlich plötzlich gestorben. Ob sie, wie die alte Mars, eben an der Tinktur starb: haben wir nie ergründen können. Die Mars, die viele Jahre lang an unsäglichen Kopfschmerzen litt, soll nämlich dadurch zugrunde gegangen sein, daß die Tinktur allmählich durch die Poren in das Innere des Körpers drang und diesen langsam vergiftete.

Genug, die alte Herzogin starb, und ihr Tod erregte große Sensation, da man die Herzogin allgemein für unsterblich hielt.

Es ist nicht zu verwundern, wenn die englische Aristokratie bei ihrer gesunden, vernünftigen Lebensweise in den meisten Fällen ein wahrhaft alttestamentliches Alter erreicht; wenn aber der lasterhaftere französische oder deutsche Adel sich bis in die achtzig oder neunzig versteigt, so heißt dies wirklich, dem lieben Gotte einen Streich spielen.

Die Herzogin hatte sich, wie gesagt, den Tod länger vom Halse zu halten gewußt, als dies die kühnsten Sterndeuter für möglich hielten. Ein fünfzigjähriges Genießen, im weitesten Sinne des Wortes, hatte vergeblich an ihrem schönen Körper gerüttelt. Vom Jahre 1800 bis 1819 zu drei verschiedenen Malen vermählt, wiegte sie nicht nur nebenbei die glänzendsten Persönlichkeiten der damaligen Zeit – darunter auch den damals jugendlich reizenden, jetzt gefallenen Fürsten M. – auf ihrem Schoße: nein, sie wußte auch noch bis in die dreißiger Jahre hinein eine solche Virtuosität zu behaupten, daß [450] ihr endlicher Tod in der Tat durchaus unvermutet kam und als sonderbares Faktum in der galanten Welt betrauert wurde.

Einmal mit ihren irdischen Resten unter der Erde, verfielen ihre irdischen Besitzungen über der Erde den hinterlassenen tiefbetrübten Schwestern, und zwar in der Weise, daß die zweite und die dritte Schwester auf jene Besitzungen als auf das Majorat des schon längst verstorbenen Vaters, des Herzogs von K., noch vor der jüngsten Tochter, der von uns so genau geschilderten Herzogin von S., Anspruch machen konnten.

Die zweite Schwester, die Herzogin von H., und die dritte, die Herzogin von A., lebten aber in zu wenig vorteilhaften Umständen, als daß sie den Besitz des verschuldeten Majorats hätten antreten können, und verkauften ihre Ansprüche daher an die jüngste Schwester, an unsere Herzogin von S., eine Abtretung, die gehörigen Ortes bestätigt wurde und durch ihre eigentümlich mittelalterliche Form seinerzeit viel Furore in der juristischen Welt machte.

Die Freundin unseres Ritters, nachdem sie so alle Güter der Familie ihren sonstigen Besitzungen hinzugefügt hatte, richtete sich dann in S. eine Art von Hofstaat ein, die Crême der Aristokratie um sich versammelnd und abwechselnd da und in Berlin lebend, im besten Einverständnis mit einem Herrn und einer Dame, deren hohe Stellung es uns verbietet, mehr Worte über dieses Verhältnis fallen zu lassen.

Die Erlebnisse unsres Ritters gewinnen inzwischen auch ein so allgemeines Interesse, daß wir ihm wirklich unsre ausschließliche Aufmerksamkeit schuldig sind.

Nach der bei der Herzogin gemachten Eroberung, nach [451] der italienischen Reise und nach der Wiedererlangung einer Stellung in der Berliner Gesellschaft beginnt nämlich, wie wir bereits bemerkten, die politische Laufbahn unsres Helden.

Schnapphahnski: Politiker! Sollte es möglich sein! Aber unser Held ist zu allem fähig. Deswegen auch zur Politik.

Die ewig denkwürdige Epoche der Provinzial-Landtage mit ihren großen Erfolgen, der Emanzipation der Nachtigallen usw., ging zu Ende. Das Patent des 3. Februar 1847 erschien, und am 11. April eröffnete Se. Majestät der König von Preußen mit einer Rede »ohnegleichen«, »ohne Beispiel« den Vereinigten Landtag.

Es verstand sich von selbst, daß der politische Ehrgeiz aller gesellschaftlichen Klassen durch dieses Ereignis in die lebendigste Bewegung geriet, und es konnte nicht ausbleiben, daß auch unser Ritter, von diesem Fieber angesteckt, das Bedürfnis fühlte, dem Vaterlande einmal als großer Mann gegenüberzutreten.

Die Herzogin hatte unsern Helden oft darauf aufmerksam gemacht, daß er sich à tout prix in die Politik hineinstürzen müsse. Die Krautjunkerei pure et simple, die der Ritter bisher trieb, konnte natürlich der ausgezeichneten Dame wenig gefallen. Sie war geistreich genug, um zu begreifen, daß die kompakte, hausbackene Liebe erst dann ihren rechten Reiz erhält, wenn sie mit den »strong emotions« des öffentlichen Lebens Hand in Hand geht. Einen Krautjunker zu umarmen, einen harmlosen schönen Wasserpolacken, dessen Abenteuer, so wunderlich sie auch sein mochten, doch keineswegs den Horizont des schon oft Dagewesenen passierten: konnte ihr unmöglich auf die Dauer genügen.

[452] Die Herzogin war zu sehr an den Umgang mit weltgeschichtlichen Persönlichkeiten gewöhnt, als daß sie nicht in unserm Ritter außer dem bel homme auch noch den Politiker, den Staatsmann, den Redner zu umfangen gewünscht hätte. Ihre in diesem Sinne gemachten Andeutungen waren denn auch unserm Helden nicht entgangen, und wenn ihn schon seine eigne Eitelkeit zu einer politischen Karriere trieb, so sah er schließlich nur einen doppelten Nutzen, wenn er daran dachte, daß ihn auch der geringste Erfolg immer vorteilhafter mit der Herzogin verbinden würde.

Du willst als Staatsmann auftreten – sagte Schnapphahnski daher eines Morgens zu sich selbst, indem er den Kopf auf die Hand stützte –, eh bien! – und er besann sich auf alles, was er je von berühmten Rednern gehört, gesehen und gelesen hatte. Die Alten lagen unserm Helden zu fern. Ein Römer und Schnapphahnski – – der Ritter fühlte, daß er nie ein Römer werden würde.

Ohne weiteres wandte er sich daher der neuen Zeit zu, und gewiß würde er sich der Heroen der Konstituante und des Konvents erinnert haben, wenn er nicht bei dem Gedanken an diese »blutdürstigen Ungeheuer« ein solches Herzklopfen bekommen hätte, daß er sich schleunigst der allerneuesten Zeit zuwandte – – da war unser Ritter zu Hause! Denn bis in die kleinsten Details hinein war ihm das parlamentarische Leben der Franzosen und Briten gegenwärtig.

Sollst du ein Montalembert werden, hinreißend durch Beredsamkeit, imponierend durch altadlige Kühnheit und unterjochend durch jene mystisch-katholischen Wendungen, die wie ein riesiger Trauerflor seiner Rede nachwallen? Oder ein Larochejaquelin, lebendig, auf seinem [453] Thema reitend wie auf geflügeltem Rosse, frech und herausfordernd, sarkastisch-witzig und erobernd durch die ritterliche Keckheit eines ungebändigten Edelmanns? Oder sollst du Lamartine nachahmen, bald vornehm durch die Nase sprechen und bald in blumenreichen Redensarten dich ergießen, von der Vorsehung säuseln und durch den Namen Gottes Effekt zu machen suchen; ja, historische und literarische Reminiszenzen auskramen und deine Zuhörer mit dir fortziehen in das rosenduftende Paradies der Rhetorik, wo da wenige praktische Wege und Stege sind, aber desto mehr weiche Mooshügel, Palmen, Trauerweiden und ähnliche wohlfeile dichterische Gegenstände? Oder sollst du dir den Herrn Guizot zum Muster nehmen, den kalten, tugendhaften Mann, oder gar den kleinen betörenden Thiers, der sich wie eine Schlange auf die Tribüne hinaufwindet und so allerliebst von allem spricht, was er weiß und was er nicht weiß – –? Unser Ritter wurde immer tiefsinniger.

Aber auch die Geister des britischen Parlaments stiegen vor unserem Helden herauf. Sollst du dich naiv ausdrücken wie der alte Wellington? Sollst du den Rufer im Streit, den Lord Stanley spielen? Sollst du dich Lord Campbell nähern und behaupten, du seist ein großer Rechtsgelehrter? Oder sollst du dir gar Henry, den unvergleichlichen Lord Brougham, zum Vorbild nehmen? Das wäre eine Rolle!

Ja, und im Unterhaus, wen nimmst du dir da zum Muster? Sollst du, ein Sir Robert Peel, in weißer Weste und im blauen Frack vor deine Zuhörer treten, jetzt die Rechte feierlich erhebend und jetzt rasselnd die grüne Papierdose schlagend? Oder sollst du wüten wie Roebuck, der ewige Krakeeler, oder die Interessen der Torys vertreten [454] wie ein Lord George oder ein Ferrand? O göttlicher Lord George, der du aus dem Jockey-Klub kamst und im Parlamente dich erhobst als der Erste deiner Partei, oh, wenn ich dir nicht gleichen kann, so laß mich wenigstens deinem Freunde Disraeli ähnlich sehn, wenn er im Wirbelwinde der Beredsamkeit seine Feinde zu Boden wirft, ihren alten Ruhm entwurzelnd und tabula rasa machend mit ihrem ganzen Einfluß.

Was sind die Lorbeeren der Literatur, was die Lorbeeren des Schlachtfeldes gegen die Lorbeeren der Tribüne!

Staunen soll man, wenn ich mich einst erhebe! Schnapphahnski, o Schnapphahnski! was steht dir bevor! In wenigen Worten wirst du z.B. bei irgendeiner Debatte auseinandersetzen, wie es eigentlich gar nicht vonnöten sei, so vielen herrlichen Reden noch die deine folgen zu lassen, und wie nur die Wichtigkeit des vorliegenden Gegenstandes dich zu einigen einfachen Bemerkungen veranlassen könne – einfache Bemerkungen, die sich durch zwei oder drei Stunden hinwinden. Kurz und bündig ziehst du dann die Grenzen deiner etwaigen Rede – um natürlich nie innerhalb dieser Grenzen zu bleiben, sondern abzuschweifen und dich über Spanien und Portugal zu ergehen, über die Heilige Allianz zu sprechen und über die Not der arbeitenden Klasse, über deine Zuneigung zu Don Carlos und über englische Wettrennen und über alles, nur nicht über das, was ursprünglich zum Ziele gesteckt wurde.

Bist du mit deiner Exposition fertig, so gibst du dich an die Argumentation und argumentierst mit Händen und Füßen, bis es deinen Zuhörern gelb und grün vor den Augen wird, ja, bis sie zu gähnen anfangen aus [455] reinem Erstaunen vor deiner entsetzlichen Gelehrsamkeit. Dann aber brichst du plötzlich ab und rüstest dich zu der ersten Attacke auf deine Gegner, ein Übergang, der nie seine Wirkung verfehlt, der die Einschlafenden emporrüttelt und sie unwillkürlich in einen neuen Strom deiner Beredsamkeit hineinreißt. Mit Keulen schlägst du anfangs um dich, mit dem Morgenstern echt adliger Unverschämtheit; dann ziehst du den krummen Säbel des Humors, und zuletzt spielst du mit dem Dolche des Witzes, der spitz die Herzen trifft und tötet, wo bisher nur verwundet wurde.

Schrecken, Lachen und lustige Tränen folgen deinen Worten – doch da änderst du plötzlich deinen Ton, und wie du bisher als gewandter Gladiator deinen Gegenstand tief im Staube behandeltest: so schwingst du dich jetzt auf das stolze, hochtrabende Schlachtroß des Pathos und galoppierst zermalmend über die Kadaver deiner Feinde, die Posaune des Sieges an die Lippen drückend, um unter dem kaum verhaltenen Jubel der Versammlung in wenigen mystischen Worten den Schluß zu sprechen, wo die Stenographen sich den Schweiß von der Stirn trocknen, und das Haus »is ringing with cheers for several minutes«.

Schnapphahnski sprach's. Er ging hin, und wenn er auch kein Montalembert wurde, kein Larochejaquelin, kein Lamartine, kein Guizot, kein Thiers, kein Redner des Unterhauses oder des Oberhauses, so wurde er wenigstens – – nun, was wurde er denn?

[456]

21. Das Domfest

XXI
Das Domfest

Über die Zeiten des Vereinigten Landtags und der Revolution setzen wir uns rasch hinweg und springen mitten in die heilige Stadt Köln, wo eben der Dom am 14. August 1848 seinen sechshundertjährigen Geburtstag feiert.

Große Erinnerungen ließ dies Ereignis zurück und manchen erhabenen Schnupfen. In der Tat, die Kölner konnten sagen, daß sie für ihren König zwar nicht ins Feuer gegangen seien, wohl aber ins Wasser.

Gab es je ein trefflicheres Regenwetter als das, welches den Tag verherrlichte, wo der Protektor des Doms, König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, und der Erzherzog Reichsverweser die riesige Säulenhalle gemeinschaftlich besuchten? In die konstitutionellen Könige der Erde vertieft, hatte das Volk die absoluten Monarchen des Himmels vergessen, den Wolkenversammler Zeus, der, ärgerlich darüber, plötzlich seine Schleusen öffnete und die gottvergessene Menge in so nachdrücklicher Weise von aller Unsauberkeit reinigte, daß wirklich an den meisten Menschen kein einziger sündhafter Zoll mehr zu waschen übrigblieb.

Man muß gestehen, das Schicksal hat den Göttern nicht nur den Nektar gegeben, sondern auch das Regenwasser, und das letztere in so großer Menge, daß es ihnen eben nicht darauf ankommt, sich gerade dann ihres Überflusses zu entledigen, wenn die armen trocknen Menschenkinder des Befeuchtens am allerwenigsten bedürfen.

Leider sollte ich dem berühmten Festregen der Dombautage eben nicht aus einem sichern Versteck zusehen.

[457] Tollkühn genug hatte ich mich gerade vor das Portal des Domes gepflanzt, fest entschlossen, meinen Posten zu behaupten, denn ich sollte ja auf drei Schritt den Reichsverweser sehen und den König – ich muß gestehen, ich befand mich in einer eigentümlich schwarz-weiß und schwarz-rot-golden gemischten Stimmung. Der Regen floß hinab; ich stand wie eine Mauer. Ich habe da zum ersten Male für einen König gelitten; ich bin stolz darauf. Ich wartete eine halbe Stunde, im Regen nämlich. Ein Verliebter kann nur so töricht sein oder jemand, der einen König sehen will. Weder der König noch der Reichsverweser wollte indes aus dem Dome hinaus ins Freie treten.

So gequält von banger Erwartung und gepeitscht vom Regen, legte ich mich auf den süßen Zeitvertreib des Gedankenspiels. Ist der König von Preußen nicht wirklich ein vortrefflicher König? Ja wahrhaftig, er ist es! Wenn je ein Fürst rücksichtsvoll und artig mit einer Stadt verfuhr, so war es Friedrich Wilhelm. War ich nicht selbst dabei, als ihm die guten Kölner in ihrer Naivität einst zur Karnevalszeit eine bunte Schellenkappe überreichten? Gott weiß, wie man zu dieser Kühnheit kam! Ein Nero oder ein Tiberius würde uns gleich haben köpfen lassen – Friedrich Wilhelm nahm die Narrenkappe aber lächelnd entgegen, und seit der Zeit bin ich fest davon überzeugt, daß er ein geistreicher Mann und kein Nero ist –

Die kölnischen Funken setzen ihre Schellenkappen eigentlich nie ab, das ganze Jahr hindurch klingelt es ihnen in den Ohren wie Römergeklirr und »O Jerum! O Jerum!« Man ist verraten und verkauft, wenn man mit diesen Leuten in ernster Weise anbinden will. Der [458] Spaß ist der Grundzug ihres Charakters, und dieser Spaß kitzelt sie auch bei jeder Gelegenheit, die ganze Welt existiert nur für sie, damit Späße darüber gerissen werden. Ein Kölner ist mit seinem alten holprigen Köln so liebend verwachsen wie ein Großvater mit seinem Schlafrock. Ein humoristischer Großvater und ein humoristischer Schlafrock. Ein Kölner ist ganz unglücklich, wenn er nicht außer seinem Karneval jedes Jahr wenigstens zwei oder drei recht gründliche Feste in seinen Mauern feiert. Ein Musikfest, der Empfang eines hohen Geistlichen oder eines Künstlers, eine Erinnerungsfeier vergangener Herrlichkeit, ein politisches Fest, die Ankunft des neuen Weißen, ein Bockessen usw., man ist wahrhaftig nicht verlegen um irgendeinen denkwürdigen Gegenstand. Für alle möglichen Feierlichkeiten ist man vorbereitet. Wenigstens zwei- oder dreimal im Jahre läutet man zu irgendeiner Feier mit allen Glocken und mit allen Römergläsern; wenigstens zwei- oder dreimal schießt man aus Kanonen und Böllern und läßt Raketen aufsteigen und steckt die Giebel der Häuser voll Fahnen und schmückt die Türen mit Eichenlaub und die eignen Rücken mit Sonntagsröcken; wenigstens zwei-oder dreimal öffnet man die Kirchen, damit alle Welt die lieblichen Heiligenbilder sehe, und läßt die Wirtshäuser wagenweit offenstehen, damit jeder Fremde sich davon überzeuge, wie die Kölner so fromme und so lustige Leute sind; wenigstens zwei- oder dreimal läßt man die Lokalgrößen ihre wundervollsten Reden halten, die Mädchen und Frauen ihre schönsten Kleider spazierenführen, alle Stadtmusikanten zu irgendeinem stillen Vergnügen ihre Waldhörner blasen, und zwei- oder dreimal im Jahre läßt man den alten Gürzenich bis in seine basaltenen [459] Grundfesten zittern von dem Tanz oder dem Gelage seiner heitersten Bürger. So war es bisher, und so wird es in Zukunft sein; der Feste wird es geben in Köln, solange Groß-Martin und der Bayenturm in den Rhein schauen und solange über dem Rhein das alte Banner weht mit den drei Kronen und den elf Funken und den Farben Weiß und Rot, die gewissermaßen das Sinnbild des vielen weißen und roten Weines sind, der in Köln getrunken wird.

So mit Erinnerungen spielend und zitternd vor Nässe und süßer Erwartung, mochte ich eine halbe Stunde im furchtbarsten Gedränge gestanden haben, da entstand vor der Türe des Domes eine unruhige Bewegung; die Mäuler flüsterten, die Hälse reckten sich, die Regenschirme wurden geschlossen, und Federbüsche und lange Schnurrbärte und kriegerische Figuren nickten in den Domhof hinaus.

Voran der Erzherzog Reichsverweser und der König von Preußen. Der Reichsverweser ist ein kleiner alter Mann mit gutmütigem Gesichte und mit großem kahlem Schädel. In der Tat, dieser ernste Schädel hängt über dem freundlichen Antlitz wie ein Gletscher über einem friedlichen Alpentale. Der alte Herr nahm sich ganz liebenswürdig in dem grauen Soldatenmäntelchen aus; nach der frommen Hitze des Domes schien es ihn in der feuchten Außenwelt zu frösteln; er hielt die Krempe des Mantels fest aneinander und trippelte vorsichtig über die glatten Steine. Wenn ich nicht den tiefsten Respekt vor dem Reichsverweser hätte, so glaube ich, daß mir das Lachen näher gewesen wäre als das Weinen. Es ist nämlich ein Fehler meiner Einbildungskraft, daß ich mir einen Kaiser oder einen Reichsverweser noch immer [460] wenigstens 7 Fuß hoch denke, mit furchtbaren Lenden, breiter Brust, schrecklichem Barte – mit einem Worte, ein Kaiser mußte meiner Meinung nach ein Eisenfresser sein, ein Mann, der bei jedem Ritt ein oder zwei Hengste zuschanden reitet, der die Türken lebendig frißt und, allezeit Mehrer des Reiches, mit einem Säbel über das Pflaster rasselt, bei dem einem alle Schrecken des Jüngsten Gerichtes einfallen. Wie freute ich mich daher, als ich das friedliche Antlitz des alten Johann erblickte. Es wurde mir ganz familiär zumute, ich würde den Hut vom Kopfe gerissen und ihn bewillkommend geschwenkt haben, wenn nicht meine Hände in den Taschen gesessen hätten und dergestalt von meinen schaulustigen Nachbarn zusammengepreßt worden wären, daß nur eine Herzensregung nicht zu den Unmöglichkeiten gehörte und an ein Schwingen des Hutes vollends gar nicht zu denken war.

Se. Majestät den König von Preußen kannte ich schon von früher. Er ist noch immer derselbe wohlaussehende Mann mit den jugendlich roten Wangen und dem pfiffigen Lächeln. Manche meiner Nachbarn behaupteten freilich, er sei etwas mager geworden, man sähe Spuren der Sorge und der Betrübnis in seinen Zügen und sein Auge strahle nicht mehr so volksvertrauend wie früher – –

Ich muß gestehen, ich halte diese Ansicht für grundfalsch. Ich habe noch nie eine so heitere Majestät gesehen – und ist nicht alle Ursache dazu vorhanden, geht nicht alles nach Wunsch? »Es lebe der König!« rief ich, und ich mäßigte erst meinen Jubel, als einige alte Generäle mit grausenerregenden Gesichtern den beiden Fürsten auf dem Fuße folgten und mich mit so komischen Augen ansahen, [461] als merkten sie trotz meiner loyalen Jubelausbrüche einigen Unrat und als wollten sie sagen: »Kerl, du bist doch ein Kryptorepublikaner, und der Teufel soll dich holen!« – – Da saßen die Fürsten in der Tiefe des schützenden Wagens, und hinter ihnen her wogte das Volk, lange Gymnasiasten und duftende Hofräte, Flegel vom Lande und gebildete Städter, Soldaten und Handwerker, Gemüseweiber und Taschendiebe, und in dem steinernen Laubgewinde des Domes fingen die Glocken an zu brummen und zu summen gleich riesigen Käfern in den Zweigen einer Linde, und unter Lachen und Fluchen, unter Boxen, Beten, Grunzen und Hurrarufen stürzte der Strom der Menge in die Gassen hinunter, daß man seinen besten Feinden auf die Hühneraugen trat und an den Wänden der Häuser hinaufzufliegen meinte vor lauter Lust und Begeisterung.

Wer weiß, wie weit ich mit fortgerissen wäre, wenn nicht ein seltsames Ereignis meine Schritte aufgehalten hätte. An einer der nächsten Straßenecken hatte nämlich auf dem Rand einer Treppe ein fliegender Buchhändler Posto gefaßt. Wenig kehrten sich die vorüberstürzenden Fremden an den armen Gesellen. Da rollte plötzlich eine brillante Karosse hart an der Treppe vorüber; der Junge erhebt seine Bilder und Zeitungen, und »Fortsetzung von Schnapphahnski! Fortsetzung des Ritters Schnapphahnski!« schreit er, und der Wagen hält, und empor richtet sich ein eleganter, hübscher Mann, der sich über den Wagenschlag hinaus in die Straße biegt.

Das Wort »Schnapphahnski« scheint ihn zum Stutzen gebracht zu haben; rasch greift er in die Tasche und wirft dem frohen Buchhändler ein Geldstück in den Hut; noch hastiger streckt er die Hand nach der gekauften Zeitung [462] aus, und wie er das Blatt auseinanderfaltet und hinunter auf den Titel des Feuilleton blickt, da schrickt er zusammen und – aber die Rosse schlagen schon wieder aufs Pflaster, und der Wagen rollt weiter, und verschwunden ist der schöne Fremde, und »Fortsetzung von Schnapphahnski! Fortsetzung des Ritters Schnapphahnski!« beginnt der Junge von neuem, und tönend verliert sich sein Ruf in dem Getöse der Gassen.

In den Kölner Straßen wurde an jenem Tage die »Neue Rheinische Zeitung« verkauft. Als Feuilletonaufsatz enthielt sie ein Kapitel aus dem »Leben und den Taten des berühmten Ritters Schnapphahnski«.

22. Der Gürzenich

XXII
Der Gürzenich

Es ist ein ergreifendes Schauspiel, wenn der Vesuv seine roten Feuerblöcke in die tiefblaue See wirft; es ist ein erhabener Anblick, wenn die Lawine von den Alpen hinab in das Tal rollt, und es muß großartig aussehn, wenn der Niagara seinem Bette entgegenschäumt – aber noch viel ergreifender, erhabener und großartiger ist es, wenn auf dem Gürzenich-Saal der heiligen Stadt Köln zwölfhundert hungrige Gäste zur Feier des Dombaus über einen Heringssalat herfallen. Ich habe in meinem Leben nichts Imposanteres gesehen. Unvergeßlich wird mir diese Szene bleiben. Als ein Mann, der den Dom und den Heringssalat liebt, hatte ich mir für schweres Geld auf dem Sekretariate des Zentral-Dombau-Vereins eine Festmahlkarte gekauft. Ich habe nie eine Portion Heringssalat teurer und mit mehr Vergnügen gezahlt [463] als diesmal; ich bin sogar einen halben Tag lang dahinter hergelaufen, und wäre Herr Schnitzler nicht ein so überaus artiger Mann, ich liefe noch – und alles um eine Portion Heringssalat! Man sollte sagen, daß ich den schrecklichsten Katzenjammer haben müßte.

Aber wie meine Leser wissen, war dem nicht so. Ich hatte den ganzen Morgen mit meinem beschränkten Untertanenhumor an den Pforten des Domes gestanden und mich mehr des wohlfeilen Regenwassers als des kostspieligen Weines erfreut. Endlich war der Reichsverweser und der König erschienen, endlich hatte ich beide bewundert, und endlich konnte ich naß wie ein Pudel nach Hause gehen, um für das bevorstehende Diner Toilette zu machen.

Schön wie ein Gott und hungrig wie ein Wolf trat ich in den Saal. Schon auf der Schwelle hätte ich vor Erstaunen fast einen Purzelbaum geschlagen. War das der Gürzenich? O seltsame Ändrung!

Ach, ich kenne den Gürzenich aus meinen Jugendjahren, aus jener Zeit, wo ich in der Sternengasse nicht weit von dem berühmten Hause wohnte, von dem mir einst ein todernster Kölner erzählte, daß der Herr Peter Paul Rubens darin geboren und daß die Mediceische Venus darin gestorben sei! – Ach, damals hatte ich noch meine fünf Sinne beieinander und hielt es für meine Pflicht, jedesmal um die Karnevalszeit Schulden zu machen und meine Uhr zu verkaufen, um hinter dem Rücken meiner alten, grausamen Freunde die schönste Maske zu machen, welche je durch die Straßen der heiligen Stadt Köln sprang. Hab ich nicht einmal den Don Quijote gespielt, in gelben Stiefeln, in schwarzer Trikothose, den Panzer vor der Brust, den Spitzenkragen um [464] den Hals, das Barbierbecken auf dem Kopfe und den fürchterlichen Speer in der Rechten?

Zog nicht mein Sancho hinter mir her, mit weltkugelrundem Bauche, in ländlicher Tracht, und forderte ich nicht auf dem Gürzenich wenigstens ein Schock der holdseligsten Dulcineen zum Tanze heraus, bis mir zuletzt die Beine unterm Leibe fortliefen und bis ich, einer blassen Leiche ähnlich, an die Brust meines mir ewig teuern und unvergeßlichen, damals als Bär verkleideten Freundes Klütsch sank?

Oh, wie hatte sich alles geändert! In demselben Saale, in dem ich früher nur der heiligen Stadt Köln vortrefflichste Narren in buntem Gemisch durcheinanderwogen sah, in demselben Freudensaale erblickte ich jetzt an unendlich langen Tischen, ach Gott, der Politik geweihte Köpfe, Deputierte aus Hessen, aus Österreich, aus Schwaben, aus Bayern, aus Ungarn, aus Oldenburg, und mitten zwischen ihnen nichts als kohlschwarze Pastöre, Geheimräte, Kaufleute und andere nützliche Mitglieder der menschlichen Gesellschaft – ich glaubte weinen zu müssen.

Aus den Deckenfeldern des Saales, aus denen früher Rosen und Reben nickten, schauten jetzt grimmige schwarze Reichsadler; an den Säulen, die früher die ausgezeichnetsten Geckenköpfe schmückten, hingen jetzt die Wappenschilde der verschiedenen deutschen Staaten, und an den Wänden des Saales hieß es statt »Es leben alle Narren!« – »Ein einiges Deutschland« und statt »Allen wohl und Keinem weh!« – »Eintracht und Ausdauer«.

Eine unendliche Wehmut erfaßte mich; ich fühlte zum ersten Male, daß die leidige Revolution, und noch dazu eine Revolution, die die guten Kölner gar nicht einmal [465] gemacht haben, uns um allen Spaß zu bringen droht. Durch die Reihen der Tische, an den unheimlich unverständlich redenden Volksvertretern schritt ich so traurig vorüber, wie vielleicht der Geist eines alten verkommenen Griechengottes an den glattgerittenen Bänken einer protestantischen Kirche vorüberspukt, und ich konnte erst wieder recht herzlich lachen, als ich auf der Erhöhung des gewaltigen Raumes, an derselben Stelle, wo ich seinerzeit als Don Quijote meiner Dulcinea nachjagte, den edlen Gagern hinter der deutschen Einheit herlaufen sah und den Sancho Soiron erblickte, wie er seinem berühmten Ritter im purzelnden Eselstrab zu folgen strebte.

Das Spaßhafte dieser Erscheinung tröstete mich in etwas; ich überzeugte mich davon, daß wenigstens noch nicht aller Humor aus der Welt verschwunden ist, und da gerade an die Stelle des Heringssalates einige höchst einladende Salme auf die Tafel schwammen, so bemächtigte ich mich, nicht ohne Lebensgefahr, eines Kuvertes und drückte mich zwischen einige unbekannte Versammelte und stammelte mein Tischgebet. Wie immer betete ich aus dem Homer, in Hexametern:


»Und die ehrbare Schaffnerin kam und tischte das Brot auf
Und der Gerichte viel aus ihrem gesammelten Vorrat.
Und ich erhob die Hände zum lecker bereiteten Mahle.«

Mit den Gerichten und dem lecker bereiteten Mahle muß ich indes meine Leser erst noch genauer bekannt machen. Die Speisen sind keineswegs eine Nebensache bei einem Essen. Wie meine Leser wissen, folgte dem Heringssalat der Salm. Aber das war noch keineswegs alles. Ich greife daher zu dem Küchenzettel, den jeder [466] Gast in Groß-Folio-Format neben seinem Teller fand und den ich wohlweislich mit nach Hause nahm, um mich noch nachträglich davon zu überzeugen, ob ich auch gewissenhaft das ganze Verzeichnis durchgekaut hatte. Ich tat dies zu meiner besonderen Beruhigung.

Der Speisezettel heißt aber treu kopiert wie folgt:


Festmal der DOMBAU-VEREINS GENOSSEN auf dem Saale Gürzenich, bei Gelegenheit der 6. Säkularfeier der Domgrundsteinlegung 15. August 1848 Italienischer Salade Rhein-Salm Westerwalder Ochsen-Rücken Festlied von Inkermann Westphälischer Schinken mit Saladbohnen Preiset die Reben etc. Gefülltes Geflügel Wildpasteten Bekränzt mit Laub etc. Süße Speise. Nachtisch Zeltinger 10 Sgr. Moselblümchen 20 Sgr. Scharzhofberger 40 Sgr. Liebfrauenmilch 25 Sgr. Ahrbleichant 10 Sgr. Bordeaux 25 Sgr. Champagner Giessler-Mumm oder Loisson 2 Thaler

[467] Das Ganze ist umringt von Arabesken und allegorischen Figuren: ein Küfer, ein unentzifferbares Wesen, ein Kerl mit einem höchst christlich-germanischen Gesichte mit dem Reichsadler und viertens ein dito mit dem preußischen Adler.

Ich kann es mir nicht versagen, noch die Bemerkung hinzuzufügen, daß die guten deutschen Blätter und namentlich die »Kölnische Zeitung« in ihren sonst so reichhaltigen und schön stilisierten Berichten über die Festlichkeiten dieses Dokument nicht mit aufgeführt haben. Die Gründe zu dieser Weglassung habe ich beim besten Willen nicht ermitteln können, soviel ich aber höre, soll keine böswillige Absicht dabei zugrunde gelegen haben, was natürlich auch nicht anders zu erwarten war.

Nachdem ich den Speisezettel aufs sorgfältigste studiert und meinem Salm – dem Fisch, nicht dem Fürsten Salm – mit Messer und Gabel angekündigt hatte, daß seine letzte Stunde gekommen sei, schaute ich mich zum ersten Male nach meinen Nachbarn um. Lauter fremde Gesichter, alle in ihre Atzung vertieft. Es ist traurig, wenn man unter 1200 Menschen sitzt und sich mit niemandem unterhalten soll. Man kommt sich wie ein Zellengefangener vor. Ich schüttete daher meinem Nebenmanne ein Glas Champagner über den Arm, um mich dann bei ihm aufs untertänigste zu entschuldigen und auf diese Weise die Konversation zu beginnen.

Der gute Mann schien Lebensart zu haben, denn er ging in die Falle und teilte mir sofort mit, daß er ein Österreicher sei und der Frankfurter Nationalversammlung angehöre. »Ich bin ganz entzückt darüber«, bemerkte er, »daß Sie unsern Erzherzog so freundlich empfangen [468] haben. Das hat mir in der Seele wohlgetan. Ich werde die Artigkeiten der Kölner nicht genug zu loben wissen. Einen solchen Enthusiasmus und ein solches Hurrarufen habe ich selten gehört – man empfing den Erzherzog Reichsverweser fast günstiger wie Se. Majestät den König –«

Das Gespräch wurde mir zu ernsthaft: »Verzeihen Sie, mein Herr – Sie irren sich; der Luftschiffer Coxwell, der bei der Ankunft des Reichsverwesers über Köln emporstieg und der daher den ganzen Empfang aus der Vogelperspektive oder sozusagen von einem höhern Standpunkt aus betrachtete, hat mir versichert, daß die Feier viel zu wünschen übriggelassen habe; die Sonne habe nicht einmal geschienen, es sei das häßlichste Regenwetter gewesen« – der Österreicher sah mich verwundert an. »Aber jedenfalls«, fuhr ich fort, »haben wir uns sehr über den Reichsverweser gefreut; wir glaubten eine Geißel Gottes zu bekommen, und wir fanden einen alten freundlichen Mann, der im schäbigen Röckchen, mit weißer Weste und mit entblößtem Haupte in unsere Stadt einzog, ein trauliches Märchen aus alter Zeit – aber haben Sie Ihren Speisezettel schon einmal durchgesehen?«

Der Österreicher sah auf seine Groß-Folio-Liste: »Den italienischen Salade haben wir genossen.« Allen Irrtümern vorzubeugen, zog er indes noch einen Bleistift aus der Westentasche und machte ein Kreuz vor die betreffende Speise. »Ist dieser Salat nicht so vortrefflich, als ob ihn Radetzky selbst angemengt hätte?« Der Österreicher blickte mich zum zweiten Male sehr erstaunt an. »Den Salat«, begann er aufs neue, »und den Salm verstehe ich schon, auch der Westerwalder Ochsen-Rücken ist mir bekannt, aber bitte, sagen Sie mir doch, was verstehen [469] Sie unter dem Festlied von Inkermann – es steht mitten unter den Speisen, es wird ein Gericht sein?«

»Allerdings! ein politisches Gericht, ein echt germanisches Ragout, in drei Versen oder Schüsseln.« – »Soll mich wundern«, versetzte der wißbegierige Mann, »dann kommen westfälische Schinken und Salatbohnen; wiederum zwei unzweideutige Dinge; ferner aber: Preiset die Reben?«

»Dies ist eine höchst poetische Ente mit einer Weinsauce und Trüffeln.« – »Was Sie sagen!« rief der Österreicher und leckte die Finger. »Dann haben wir gefülltes Geflügel und Wildpasteten; darüber kann kein Zweifel sein; beides zwei auserlesene Sachen. Aber schließlich wieder: Bekränzt mit Laub – was ist das?« Ich schnitt ein Gesicht wie ein totes Kamel. »Bekränzt mit Laub ist ein wahres Nationalfressen. Die Studenten lieben es vor allen Dingen; bei jedem Kommers wird es aufgetischt und mit Bier angefeuchtet hinuntergeschluckt; außerdem findet man es im Munde aller fröhlichen Zecher; Harfenmädchen goutieren es ebenfalls. Wenn ich mich nicht sehr irre, so erfand es der alte Asmus, als er eines Abends mit der Frau vor der Haustüre saß und die Sterne beschaute. Es scheint, der Zentral-Dombau-Verein hat dieses Gericht direkt durch den ›Wandsbeker Boten‹ kommen lassen.« – »Das ist sehr artig!« meinte der Österreicher. Da überließ ich ihn den süßen Speisen, dem Nachtisch, der Weinkarte und für die Zukunft der Paulskirche.

Von meinem Nachbar zur Rechten wandte ich mich zu meinem Tischgenossen vis-à-vis, der sich durch seinen rein uckermärkischen Akzent bereits als ein Stockpreuße und durch verschiedene erhabene Festbemerkungen als [470] ein Mann von ungewöhnlicher Bildung beurkundet hatte. Er war wiederum ein Nationalversammelter. Ich machte sofort die Honneurs und bot ihm das Salz meines Geistes und den Senf meiner Konversation. Er behauptete aber, Rheinsalm schmecke besser mit Öl und Essig. »Sie essen selten einen Salm in Berlin?« fragte ich ihn. »Selten!« erwiderte er lakonisch, »aber wir essen viel Teltower Rüben –« Es wurde mir traurig zumute. Ich sah schon bei den ersten Versuchen, daß ich die unsterbliche Seele meines Preußen nicht ohne entsetzliche Anstrengung über den Horizont eines Rübenfeldes zu erheben vermochte. Ich griff daher zu einem Mittel, welches die Zeitverhältnisse zu dem stimulierendsten der Gegenwart machen. »Der Erzherzog Reichsverweser ist wirklich bei weitem freudiger empfangen worden als der König«, rief ich nämlich dem Österreicher zu und sagte es so laut, daß es ringsum verstanden wurde.

Dies wirkte. Der Preuße ließ Gabel und Messer sinken, und »Sie irren sich!« rief er mit dem Ausdruck der tiefsten Entrüstung. – Mein Plan war gelungen. Ich hatte den Schwarz-weißen und den Schwarz-rot-goldenen aneinandergehetzt.

Vergebens strengte sich jetzt der letztere an, unserm Teltower noch einmal alle Hochs und alle Hurras auf den alten Erzherzog ins Gedächtnis zurückzurufen: der Schwarz-weiße wußte seine Stimme sofort zu einem solchen durchdringenden Diskant emporzuschrauben, daß er schnell den Österreicher übertönte und die Unterredung im Nu beherrschte.

»Sie irren sich!« begann er von neuem. »Als der König von Deutz nach Köln hinüberfuhr, krachten da nicht die Kanonen, als ob die ganze Stadt bis in ihre Grundfesten [471] zusammenschaudre, als ob der Dom ineinanderbrechen wollte? Ja, Se. Majestät war gerührt über diesen Empfang. Die Augen des Königs leuchteten Lust und Seligkeit. Etwas bleich und schüchtern hatte er die Eisenbahn verlassen, aber rosig und glücklich zog er ein in die donnernde Freudenstadt!«

Österreicher und Preuße schwiegen, denn an der andern Seite des Saales erhob sich plötzlich ein solcher Sturm des Begrüßens, des Trampelns und des Serviettenschwenkens, daß der alte Gürzenich in eine schwingende Bewegung geriet und daß ich nicht anders meinte, als daß wir jeden Augenblick in den untern Raum des Gebäudes, in die Siruptöpfe und in die Butterfässer des Kaufhauses hinabstürzen würden. – –

Es war kein Zweifel mehr, eben erschien der König und der Reichsverweser, und einmütig sang man das bereits erwähnte echt germanische Ragout von Inkermann.

Freundlich lächelten die hohen Herren auf die singende Menge hinab. Als aber der Zauber der Inkermannschen Poesie wie mit fernem Nachtwächtergedudel in den letzten Winkeln des Riesensaales verklungen war, da sprang empor von der Bank der Fürsten, in strahlender Uniform und mit geistreichem Antlitz: Se. Majestät der König, jetzt mit der Linken Ruhe gebietend und jetzt die Rechte mit gefülltem Römer erhebend, zu begeisterndem Toaste:

»Ich trinke auf das Wohlsein eines deutschen Mannes, auf das Wohlsein eines meiner treuesten Freunde. Wie er Ihr Vertrauen besitzt, so besitzt er auch Mein Vertrauen und Meine Liebe. Möge er uns einige und freie Völker geben; gebe er uns einige und freie Fürsten. Hoch lebe Erzherzog Johann, der Reichsverweser!« [472] So ungefähr sprach Se. Majestät und leerte den Römer bis auf den Grund und machte die Nagelprobe mit unendlicher Grazie! – Das letztere schien vor allen Dingen einen berauschenden Eindruck auf die Zuschauer hervorzubringen. Mehrere meiner Nachbarn rasten vor Wollust. Sie fühlten sich in die Zeiten des Kaisers Max zurückversetzt, der auch wohl mit den Leuten derlei harmlose Späße trieb. So z.B. in Nüremberg. Der dumme Magistrat hatte nämlich damals für die Dauer der Reichsfestlichkeiten alle schönen unverheirateten Frauenzimmer aus der Stadt verbannt, weil ihm die ungesetzliche Liebe als ein Greuel vor dem Herrn erschien. Vor den Toren standen nun die armen lüsternen Dinger und ennuyierten sich à mort. Da kam der Kaiser, und ehe er sich's versah, umlagerten ihn ein Dutzend der hübschesten Bajaderen und sagten ihm, er sei ein vernünftiger Mann, der Magistrat bestehe aber aus Eseln, und er, der Kaiser, möge doch seine bessere Einsicht bei diesen Blödsinnigen geltend machen und dafür sorgen, daß sie, die Bajaderen, dennoch Erlaubnis erhielten, das Fest durch ihre Locken, Lippen und wogenden Busen verherrlichen zu dürfen.

Max hörte die liebenswürdigen Geschöpfe ruhig an und lächelte. Ehe er aber weiterritt, befahl er statt aller Versprechungen dem zunächst stehenden jungen Kinde, einmal hinter das kaiserliche Roß zu treten und des Pferdes Schweif zu fassen, und der zweiten gebot er, sich wieder hinter ihre Genossin zu stellen und deren Rock zu ergreifen, und als nun die erste den Schwanz des Gaules in der Hand hielt und die zweite den Rock der erstern faßte und die dritte den Rock der zweiten und so fort, da gab Kaiser Max seinem Pferde die Sporen, und mit ein, zwei, drei, vier, acht, zwanzig, ja, wer weiß mit [473] wieviel braunen und blonden kichernden Weibern im Schlepptau ritt er fürbaß gen Nüremberg, wo der Magistrat schon an den Toren stand, um den Kaiser zu empfangen, und aus Scham und Wut schier verrückt zu werden meinte, als er zugleich mit dem Einzug des Kaisers auch das süße Gefolge seines Roßschwanzes passieren lassen mußte.

Die Nüremberger Chronik setzt hinzu, daß die damaligen Festlichkeiten zu den »verteufelt-fidelsten« gehört hätten.

Wie es der ehrliche Max mit den Weibern machte, so machte es König Friedrich Wilhelm mit dem Wein. Mit der Nagelprobe entzückte er den ganzen Gürzenich, und dieselbe Rolle, die der steife Magistrat in Nüremberg spielte, sie wurde in Köln von den unbeholfenen Liberalen gespielt, die mit Schrecken sahen, wie ein König sogar imstande ist, nur durch eine Nagelprobe alle Herzen wiederzugewinnen und alles vergessen zu machen, ja alles, alles, vom 18. März an bis auf den heutigen Tag. O geht und laßt euch hängen, ihr Demokraten, ihr dummen Republikaner! Was ist all eure Berserkerwut gegen die Nagelprobe eines klugen Königs?

Dem Könige folgte der Erzherzog Reichsverweser. Das Glas erhebend, sprach er:

»Dem Fürsten, der eben meine Gesundheit ausbrachte, dem Könige von Preußen! und dem, was an unserm Dom geschrieben steht: Eintracht und Ausdauer!«

Die beiden Fürsten umarmten sich und küßten sich; laut schallte der Jubel der Versammlung, und ihre schwarz-weißen und schwarz-rot-goldnen Leidenschaften fluteten ineinander. Was wollt ihr mehr? Preußen ging in Deutschland und Deutschland in Preußen auf in diesem [474] Kuß vor allem Volke, in dieser versöhnenden Umarmung. Was wollt ihr mehr, die ihr noch immer das Gespenst des Bürgerkrieges zwischen den beiden Kokarden seht? Ist es nicht offenbar, daß es mit aller Zwietracht aus ist? Oh, aber ihr seid kalte, berechnende Menschen, ihr finstern Volkssouveränen. Ihr glaubt weder an Küsse noch an Umarmungen. Heilig ist euch nichts mehr – heilig nur euer kalter Egoismus! Oh, wärt ihr doch in Köln gewesen, auf dem Gürzenich, auf dem Dombaufestmahle, ihr würdet eure revolutionären Ideen drangegeben, ihr würdet gelernt haben, was Fürsten über Völker vermögen und wie man sich vor Fürsten beugen muß. Ja, herrlich hast du dich bewährt, mein altes Köln, mein treffliches Rheinland, als eine Stadt, als ein Land der Treue, der Loyalität, und niemand wird hinfort mehr von euch sagen können, daß ihr der Herd des Aufruhrs wärt, der Revolution und der Anarchie.

Wir übergehen den Toast eines loyalen Kölners und wenden uns zu dem Präsidenten der Frankfurter Nationalversammlung von Gagern. Auftrat dieser große Mann. Ich muß gestehen, ich war im höchsten Grade neugierig, den Zeus mit der Schelle, von dem ich schon soviel hören und lesen mußte, einmal in der Nähe zu sehen und mit eignen Ohren zu belauschen. Hatten mir doch wenigstens schon hundert Männer, alte und junge, aufzubinden versucht, Gagern sei ein Halbgott, er stamme direkt aus dem Olymp her, Jupiter habe ihn auf einer Ferienreise mit einer oberländischen Nymphe gezeugt! – Ich wollte es immer nicht glauben; auf das Geschwätz von Männern gebe ich nichts; sie sind fast immer schief gewickelt; wenn Männer über Männer urteilen, so steht es noch immer so und so um das Resultat; [475] auf Männer ist nicht zu bauen. Erst seit mir neulich ein hübsches Weib mit schneeweißen Zähnen und mit verliebten Augen die feste Versicherung gab, daß Gagern ein ausgezeichneter Mann sei und daß sie für ihn schwärmen könne, ja, schwärmen trotz alledem und alledem, seit jenem Augenblick fing ich an, die Wahrheit der verschiedenen Gerüchte weniger als bisher zu bezweifeln, denn die Aussage einer schönen Frau ist maßgebend in allen Dingen, einer Frau muß man mehr glauben als dem Evangelium; was eine Nachtigall singt und was auf Rosen und Lilien geschrieben steht und was ein Engel in Menschengestalt spricht, das ist die lautere Wahrheit, das soll man glauben, dafür soll man leben und sterben und auferstehen. Ja, was ist ein Sokrates und ein Hegel gegen eine kleine Person mit kohlschwarzen Locken, die dir an den Hals springt und dich küßt und darauf flucht mit dem liebenswürdigsten Fluche, daß sie recht habe und daß sie recht behalten wolle ihr Leben lang.


»Wen Frauen loben, der wird bekannt,
Er hat den Ruhm an seiner Hand,
Dazu seines Herzens Wonne.«

So sagt schon der alte Wolfram von Eschenbach, und in der Tat, Gagern hat alle Aussicht, einer der glücklichsten Menschen seiner Zeit zu werden. Gagern ist eine gesunde Erscheinung. Junge Mädchen werden sich schwerlich für ihn begeistern; hübsche Frauen werden ihn stets zu schätzen wissen. –

Gagern brachte einen Toast auf ein »einiges, freies und starkes Deutschland« aus. Wiederum bebte der Saal von Applaus. Alle Patrioten und alle Gläser wackelten. Se. Majestät der König erhob sich hierauf zum zweiten [476] Male, und ich muß gestehen, daß ich ihn für einen weit größern Redner als den Jupiter der Paulskirche halte.

»Schon zweimal«, sprach der König, »hat man auf die Erfüllung meines schönsten Jugendtraumes, auf ein einiges und starkes Deutschland angestoßen. Ich lade Sie jetzt ein, auch auf das Wohl der Werkleute am Baue dieses einigen Deutschlands zu trinken – es leben die anwesenden und abwesenden Mitglieder der Nationalversammlung in Frankfurt!«

Der Erzherzog Reichsverweser folgte wieder Se. Majestät mit einem Toaste auf das Wohlsein der Stadt Köln. Die stotternde Beredsamkeit des verwitterten Mannes war rührend komisch. Der alte Fürst und die alte Stadt – sie grüßten einander wie zwei graue Kirchtürme. Es war, als ob der Domkranen und der Turm der Stephanskirche sich umarmt hätten.

Unter den übrigen Rednern fiel mir noch von Soiron, der Vizepräsident aus Frankfurt, auf. Ich muß den Mann schon früher einmal gesehen haben. In Brüssel, in Liverpool, in Hamburg – ich weiß es nicht. Aber ich möchte darauf wetten, daß ich ihn schon einmal auf einem Droschkenbock sah; ja wahrhaftig, ich will mich hängen lassen, Herr v. Soiron war schon einmal Droschkenkutscher! Ist das nicht derselbe Kutscherbart, dieselbe Kutscherwürde, dasselbe Kutscherpathos? Was für eine Nummer hatten Sie, Herr Soiron?

»Hohe Versammlung!« begann Sancho-Soiron. »Gönnen Sie einem einfachen Manne ein einfaches Wort, ein Wort, das aus dem Herzen kommt. Reichen wir uns die Hände durch alle Gaue des deutschen Vaterlandes, auf daß Brüderlichkeit zwischen uns herrsche bis an die [477] äußersten Grenzen. Hoch lebe die Brüderlichkeit des deutschen Volkes!«

Kann ein patriotischer Kutscher besser sprechen? Hohe Versammlung – einfacher Mann – Händereichen des deutschen Vaterlandes – äußerste Grenzen – es lebe die Brüderlichkeit. Wunderschön! Es lebe Sancho, der einfache Mann! –

Nachdem noch der Erzbischof von Köln den Segen über die Eintracht der Völker und Fürsten ausgesprochen hatte, sprach auch noch der kölnische Deputierte Franz Raveaux, der Mann mit dem melancholischen Schnurrbart, der nicht so berühmt ist wie der Kölner Dom, der fast so bekannt ist wie der kölnische Karneval und der jedenfalls die Unsterblichkeit mit der Eau de Cologne teilen wird. Die Heroen des Tages hatten indes geredet, das Gürzenich-Bankett ging seinem Ende entgegen; der König und der Reichsverweser verließen den Saal, und mein Österreicher rückte in dem Studium des Speisezettels bis zu den Salatbohnen, zu dem gefüllten Geflügel und zu dem Nationalgerichte des »Wandsbeker Boten« vor.

Ich muß gestehen, ich war erschöpft vom Anhören so vieler köstlicher Toaste. Ich hatte meinen Platz verlassen und war hart an die Erhöhung des Saales getreten, um recht in der nächsten Nähe in dem Anblick der größten Männer unsres Jahrhunderts schwelgen zu können. Gott weiß, wie lange ich dort festgebannt worden wäre, wenn nicht plötzlich ein ziemlich wohlbeleibter Mann meine Schulter berührt und mich im reinsten westfälischen Dialekt darauf aufmerksam gemacht hätte, daß ich ihm durch meine Stellung die Aussicht nach einer höchst einladenden Torte versperre, die bei dem allgemeinen Redeenthusiasmus [478] bisher unberücksichtigt geblieben war. Der würdige Dombaudeputierte, der von Hamm, Soest, Dortmund oder von irgendeiner andern sabbatstillen Stadt der roten Erde nach Köln gekommen war, um sich einmal recht am Wein, am Gebet und am Patriotismus zu letzen, schien mir fest entschlossen zu sein, den hohen Eintrittspreis des Festmahles gewissenhaft herausfressen zu wollen. Der ehrenwerte Mann kümmerte sich wenig um den Erzherzog Reichsverweser, um Herrn von Gagern und den päpstlichen Nuntius – er ließ der Weltgeschichte ihren Lauf und beschäftigte sich mehr mit den praktischen Interessen des Hungers und des Durstes.

»Wollten Sie mir nicht die Aussicht nach jener Torte gewähren?« fragte mich der gute Westfale mit dem Ausdruck der höchsten Freundlichkeit. Ich merkte die leidenschaftlichen Gelüste des alten Knaben, denn während er mich anredete, sah er nicht auf mich, sondern immer nach der Stelle hin, wo die herzerfreuende Torte stand. »Mit dem größten Vergnügen!« erwiderte ich ihm und stemmte meine Faust in die Seite, so daß der Westfale, wie man durch das Bingerloch nach dem Rheingau oder durch den Rolandsbogen nach dem Siebengebirge blickt, so durch meinen gekrümmten Arm hindurch nach dem Gegenstand aller seiner Wünsche schauen konnte. Der Westfale schien zu glauben, daß ich seine tiefern Absichten nicht verstanden hätte; er sah mich daher mit seinen großen blauen Augen ziemlich stier an, als wollte er mich fragen, ob ich denn nicht die Sprüche Salomonis kenne, wo da geschrieben steht, daß man dem Ochsen, der da drischt, das Maul nicht verbinden soll? – Ich blieb aber unerbittlich. »Lieber Herr, wollten Sie mir nicht gefälligst die Aussicht nach jener Torte gewähren?« fragte da [479] der Sohn der roten Erde zum zweiten Male, und ein Gemisch von Wollust und Melancholie spielte um seinen sehr großen Mund. Die Leiden des armen Mannes rührten mich. »Mit dem größten Vergnügen!« rief ich abermals. »Sie scheinen nicht gut sehen zu können – wollen Sie sich meiner Lorgnette bedienen?«

Während mein rechter Arm seine frühere gekrümmte Position beibehielt, reichte ich ihm mit der linken Hand die Lorgnette über den Tisch hinüber. Der Westfale stutzte. Sie müssen entweder ein sehr dummer oder ein höchst impertinenter Mensch sein – schien der unglückliche Sehnsüchtige zu denken. Da ermannte er sich und sprach zum dritten Male mit einer so bittenden, wehmütigen Stimme, daß es einen Stein hätte erweichen können: »Sehr verehrter Herr, hätten Sie nicht die große Gewogenheit, mir die Aussicht nach jener Torte gefälligst zu gewähren? Ich habe 1 Taler 20 Silbergroschen für mein Billett bezahlt – Geld ist Dreck, aber Dreck ist kein Geld! –, es verlangt mich nach jener Torte – –«

Das Antlitz des Armen überflog eine sichtbare Bangigkeit. Er sah, wie von der andern Seite noch ein zweiter Aspirant auf die reizende Torte lossteuerte; ein Mann, der sich etwas verschämt, wie es Liebende sind, rechts und links umschaute, um sich davon zu überzeugen, daß ihn auch niemand in dem allgemeinen Wirrwarr bemerke. Es war die höchste Zeit, den Raub zu vollbringen. Den Westfalen stach es wie mit tausend Nadeln, er rückte hin und her, und immer flehentlicher und immer bittender leuchteten seine unschuldigen Augen.

Da konnte ich nicht länger widerstehen; ich wandte mich seitwärts, und schon hatte ich die Hand nach der Heißersehnten ausgestreckt, da kam mir plötzlich der[480] gewandtere Nebenbuhler des armen Westfalen zuvor, ich erkannte in meinem Gegner meinen frühern Nachbar, den preußischen Deputierten, den Ritter von der Teltower Rübe, und ich wäre fast vor Lachen gestorben, als ich ihn mit einer wahrhaft teuflischen Geschwindigkeit samt der eroberten Torte davonrennen sah.

Der arme Westfale sank aber wie eine geknickte Blume zusammen; er röchelte in seine Serviette hinein, und »Geld ist Dreck, aber Dreck ist kein Geld!« schien er noch einmal zu seufzen, da machte ich mich aus dem Staube, denn ich fürchtete den gerechten Zorn des Mannes, ich glaube, er hätte mich getötet mit Messer und Gabel und mich selbst gefressen statt der verhängnisvollsten aller Torten.

Meine Aufmerksamkeit wurde nach der andern Seite des Saales gelenkt, wo sich ein eigentümliches Getöse erhob, das mein musikalisches Gefühl aufs empfindlichste verletzte und mich ebensosehr an die Menagerie eines van Aken als an jenes Grunzen und Brummen erinnerte, welches man nachts um die zwölfte Stunde wohl aus den Bierhäusern deutscher Hochschulen schallen hört.

Ich sah mich erstaunt und unwillig um und bemerkte zu meinem nicht geringen Leidwesen einen ehrenwerten Vizepräsidenten, der sich mit Händen und Füßen und mit einem nicht zu verachtenden Bierbaß nochmals Gehör zu verschaffen suchte, um sehr wahrscheinlich aufs neue zu erklären, daß er ein einfacher Mann sei und nur ein einfaches Wort zu reden habe, recht aus dem Herzen, von allgemeiner Brüderlichkeit, durch sämtliche Gaue des deutschen Vaterlandes, bis an die äußersten Grenzen. Der bekannte Redner winkte in derselben Weise mit den Händen, wie es die Droschkenkutscher [481] bei schlechtem Wetter tun, wenn sie die Vorübergehenden zum Besteigen des Wagens einladen.

Aber ach, die hohe Versammlung wollte sich nicht zum zweiten Male verleiten lassen. Vergebens trampelte, winkte und schrie Sancho – mit wahrhaft deutscher Unhöflichkeit blieb man auf seinen Sitzen oder eilte an dem guten Manne vorüber, so daß Sancho zuletzt auf die Ehre des Wortes verzichtete und seinem Herrn und Meister das Feld überließ. Herr von Gagern machte indes keine Anstalt zu einem abermaligen Vortrag, nein, er sammelte nur einige Deputierte um sich und stieg wie Zeus, umgeben von seinen Olympiern, von der für die Fürsten und die auserlesenen Abgeordneten reservierten Erhöhung hinab in die Reihen des patriotischen Volkes.

Es war ein imposanter Anblick. Voran der edle Gagern, in der ganzen gesunden Fülle seiner irdischen Erhabenheit. Hinter ihm eine nicht weniger bemerkenswerte Figur, einem Apollo ähnlich, der am Herunterkommen ist – dem die ambrosischen Locken anfangen auszufallen, der aber noch immer Anmut und Manneswürde verrät in Gang und Gebärde. Ich fragte den ersten besten Nachbar, ob er den bedeutenden Herrn kenne. »Das ist der Herr Müller!« antwortete er mir mit besonderem Nachdruck, und ich muß mich schämen, ich hätte beinah gelacht.

Kann es ein größeres Unglück für jemanden, der berühmt werden will – und von jedem ehrenwerten Deputierten kann man doch gewiß erwarten, daß er wenigstens in etwa den verwerflichen Durst nach Ruhm besitzt –, kann es, sage ich, etwas Schlimmeres für einen solchen Ruhmdurstigen geben, als wenn er Müller heißt, wenn er gerade den Namen trägt, unter dem schon so [482] viele ausgezeichnete Männer bekannt sind, daß man den einen oft nicht mehr von dem andern zu unterscheiden weiß und den Wald nicht mehr vor lauter Bäumen sieht? Müller! Müller! ein solcher Name ist entsetzlich; von der Geburt an hat einem schon das Schicksal einen Strich durch die Rechnung gemacht! Gibt es nicht schon einen Johannes Müller, einen Wilhelm Müller, ja, sogar einen Wolfgang Müller?

Was sollen wir noch mit einem neuen Müller anfangen? Armer Herr Müller!

Außer Herrn Müller gewahrte man indes auch noch einen dritten Versammelten, der es für seine Pflicht hielt, sich zu den übrigen Gästen herabzulassen. Es war dies der stille Dulder, es war dies der Mann, der achtzehn Jahre lang für die deutsche Freiheit »gedarbet« hat, es war derselbe Mann, dem die Republik nur über den Leib, über die Leiche geht und der so sehr von der glorreichen Zukunft Deutschlands überzeugt ist, daß er schon jetzt die Kaperprämien für unsre zukünftigen Admiräle bestimmt haben will – es war, mit einem Worte, niemand anders als der Hiob der Nationalversammlung, es war der herrliche Dulder Jacobus Venedey.

Zeus, Müller und Hiob schritten von Tisch zu Tisch, und es verstand sich von selbst, daß alle Kehlen jubelten und alle Römer klirrten.

Heiterkeit thronte auf Kronions Stirn. Er hatte die Donnerkeile seiner Rede in die Taschen des schwarzen Fracks gesteckt und spielte nur leicht mit dem unschädlichen Wetterleuchten seines unerforschlichen Geistes. Müller suchte seinem Gotte durch eine freundlich-würdige Gelassenheit den rechten Hintergrund zu geben; er war gewissermaßen die schöne Abendwolke, auf der die [483] Blitze seines Meisters hin und her zuckten. Hiob, mit einem schmerzlich-süßen Lächeln, säuselte hinter den beiden her wie ein milder Westwind. Gern wäre ich den dreien mit dem Auge gefolgt, um zuzuschauen, wie sie schwatzend, nickend und händeschüttelnd von Tisch zu Tisch zogen; aber sie verschwanden bald im Gewühle, und ich verfügte mich daher zurück an meinen Platz. – Es freute mich nicht wenig, dort meine alten Tafelgenossen, den Österreicher und den Preußen, wiederzufinden. Der letztere war soeben, nach unsäglichen Anstrengungen, mit seiner Torte eingetroffen, und der Schwarz-weiße und der Schwarz-rot-goldne schickten sich auch sofort an, ihre Beute in vollkommener deutscher Einigkeit zu teilen.

Polen wurde nicht gewissenhafter geteilt als diese Torte. Man bot mir natürlich sofort an, daß ich die Rolle Rußlands bei der Teilung übernehmen und der Dritte in dem schönen Bunde sein solle. Ich verweigerte dies aber, mehr aus innerlichen als aus politischen Gründen, indem ich versicherte, daß mir die Geschichte zu schwer im Magen liegen dürfte.

»Dahinten«, setzte ich hinzu, »befindet sich aber ein Mann, der mich gerne remplacieren wird. Er ist ein Westfale und deshalb nicht viel besser als ein Kosake. Der Mann liebt die Torten über alles. Sollen wir ihn nicht einladen?« – »Allerdings!« rief der Preuße, und »Ich halte es sogar für sehr nötig, ihn hinzuzuziehen!« bemerkte der Österreicher. Da erhob ich mich, um meinen hungrigen Zerberus herbeizuschleifen. Aber ach, ich hatte kaum zwei Schritte getan, da nahte unser Freund schon ungerufen. Sein Kopf glühte von Wein, Zorn und Gesundheit; er bemerkte mich gar nicht, denn steif war sein [484] Auge auf die Torte gerichtet. Mit einem schmunzelnden Lächeln schmiegte sich der westfälische Russe zwischen Österreicher und Preuße; ich winkte sofort, daß dies der rechte Mann sei, und keine Minute verstrich, da waren sie auch schon am Fressen nach Herzenslust, alle drei, und die hübschen Verzierungen des armen Kuchens brachen knisternd zusammen.

Als ich aber die drei so glücklich essen sah und als mir bei der Torte, Gott weiß wie, plötzlich das arme Polen in den Sinn kam, da fing es an, mir in den Adern zu sieden und zu kochen. Hat denn der allmächtige Bäcker, der große Schöpfer, diese hübsche Torte, dieses schöne Polen nur deshalb geschaffen, damit ihr mit Gabeln und Messern, mit Kartätschen und Schrappnells darüber herfallen sollt, um alles ineinanderzuschlagen und um es für ewig zu vertilgen? Mein Herz pochte rascher. Und als der vielfräßig-absolutistische, der westfälische Russe und als der konstitutionelle Preuße und der etwas demokratischere Österreicher sich nun erhoben, um wieder auf irgendeine Lumperei anzustoßen – da griff ich nach meinem Glase, und »Es lebe die Republik!« rief ich, daß es bis hinauf unter die Decke des Gürzenich klang – –

Ich hatte nicht mehr die Zeit, um nach dem Ein druck zu sehen, den mein unerhörter Frevel auf die Teiler der Torte hervorbringen mußte, denn in demselben Augenblick, wo ich mit der Rechten den Römer erhob und wo das verhängnisvolle Wort meinen Lippen entfloh, fühlte ich meine nach hinten fahrende Linke von eiserner Faust gefaßt, und entsetzt wandte ich mich um.

Zeus Kronion, der große Gagern, stand vor mir.

Auf seiner Wanderung durch den Saal war er mit seinem Gefolge auch zu unserm Tisch gekommen – jawohl, [485] Zeus hatte mich gefaßt mit eigner Faust. Kalt lief mir's über den Rücken. Jetzt geht's dir schlecht. Wie Jupiter der Erste den Prometheus an den Kaukasus schmieden ließ, damit ihm ein Geier die Leber aushacke, so wird jetzt Jupiter der Zweite, der edle Gagern, dich an den Domkranen hängen, damit die dummen Konstitutionellen ihre schlechten Witze über dich reißen! – Das war der erste Gedanke, der mir durch den Kopf flog. Ja, baumeln wirst du da oben, schon in aller Herrgottsfrühe, und alle deine Feinde werden kommen und lachen über dich. Da wird der Herr Inkermann kommen und rufen: Seht, dort hängt der Kerl, der über meine Verse gespottet hat; und da wird Herr von Soiron herbeieilen und schreien: Seht, das ist der Schurke, welcher sagte, ich sähe aus wie ein Kutscher; und der Herr Venedey wird gelaufen kommen und jauchzen: Seht, das ist die Lästerzunge, die mich einen Dulder und einen Hiob nannte; und der Herr Müller wird herzuspringen und lamentieren: Seht, das ist der Mensch, der nicht einmal meinen ehrlichen Namen zufriedenlassen konnte! Und so werden sie alle miteinander erscheinen und sticheln und spötteln und werden mir sogar noch die Weiber unter die Augen setzen, damit ich sie immer sehe, ohne sie je küssen zu können – daß Gott erbarm!

Doch erst dann wird es mir gelb und grün werden vor den Augen, ja erst dann wird mir der Angstschweiß ausbrechen aus allen Poren, und erst dann werde ich wünschen, daß ich in dem Mittelpunkt der Erde säße, sicher und verborgen wie ein antediluvianischer Hamster: wenn nun endlich der schlimmste meiner Ankläger erscheint, wenn »sporenklirrend, schnurrbartkräuselnd« ein junger elegantgekleideter Herr auf mich losschreitet, ja, [486] wenn derselbe Fremdling naht, der am Morgen des Domfestes die verhängnisvolle Zeitung kaufte, um sie so rasch auseinanderzufalten, um sie so erschrocken mit dem Blick zu durchfliegen – – denn zornig werden seine Augen funkeln, und mahnend wird er seine weiße aristokratische Hand erheben, und Wehe! wird er ausrufen, Wehe über diesen profanen Skribenten, der alle preußischen Junker, ja, der den ganzen deutschen Adel verhöhnt hat, indem er, ach, so treu mein Leben schilderte, ja, indem er das Leben und die Taten beschrieb: »des berühmten Ritters Schnapphahnski!« – –

So blitzte es mir durch den Schädel, und noch immer hielt mich Gagerns Hand gefaßt; und wie ich jeden Augenblick erwartete, daß er Tod und Verdammnis auf mich herabdonnern würde, und in furchtbarer Spannung, weder sitzend noch stehend, abermals zu ihm emporschaute, da wäre ich fast von dem zweiten Schrecken mehr gepackt worden als von dem ersten, denn sieh, das Antlitz des großen Mannes, welches mir aber noch voll schrecklicher Wolken erschien, es schaute mit dem Ausdruck der freudigsten Zufriedenheit auf mich herab; nicht zum Hängen, nein, zum Gruße hielt mich der Donnerer gefaßt, und es war kein Zweifel mehr, er hatte meinen republikanischen Ruf für einen höchst konstitutionellen gehalten, und, ja beim Teufel, ehe ich mich's versah, wurde ich mit hineingerissen in das fatale Gewoge, so daß ich bald den Westfalen, den Österreicher und den Preußen samt ihren Tortenresten aus dem Auge verlor und, endlich von Gagerns Hand befreit, mit hinweggeschwemmt wurde von der schwarz-rot-goldnen Sündflut, über Tische und Bänke, bis daß ich endlich an der andern Seite des Saales auf die Schwelle der Tür [487] geriet und von der Schwelle auf die Treppe und von der Treppe auf die Straße – Alaaf Köln! und vorüber war das Fest des Gürzenich.

Ja, vorüber war die große kölnische Domfarce, bei der all die hohen Herrn mit den schönsten Phrasen im Munde, aber den Groll im Herzen, unter dem Jubel des törichten Volkes all die feinen Pläne ersannen, welche bald in den standrechtlichen Erschießungen Wiens, in der Oktroyierung der preußischen und österreichischen Verfassung und in dem Lächerlichwerden der Frankfurter Versammlung so treffliche Früchte tragen sollten.

Ja, vorüber war dies Fest des widerlichsten Kokettierens mit dem dummen souveränen Michel, und wir würden vielleicht noch darüber lachen, wenn uns durch den schimmernden Haufen dieser »volksfreundlichen« Fürsten, dieser feilen Knechte und dieser düpierten Volksrepräsentanten nicht die kugelzerrissenen Leichen der Proletarier von Paris, von Wien und Berlin angrinsten, wenn durch dieses Gewirr der heuchlerischsten Versicherungen, der schamlosesten Lügen nicht die Sterbeseufzer der zertretenen Polen, der Hilferuf der gefolterten Ungarn und der Racheschrei der verwüsteten Lombardei zu uns herübertönten, wenn nicht das blutige Haupt eines Robert Blum vor unsre Füße rollte – doch genug! der Humor ist versiegt; das Buch ist zu Ende.

[488]

Nachspiel

Aber was wurde aus Schnapphahnski? Lebt er oder ist er tot?
Schnapphahnski lebt, und nimmer wird er sterben.Mein Schnapphahnski ist unsterblich!

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TextGrid Repository (2012). Weerth, Georg. Romane. Leben und Taten des berühmten Ritters Schnapphahnski. Leben und Taten des berühmten Ritters Schnapphahnski. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-969A-F