[48] Zweierlei Götterglück

1

»Der Götterstand« – sprach einst von seinem Wolkenthron
Der Sultan im Olymp zu Majens schönem Sohn,
»Der Götterstand, Herr Sohn, um ihm sein Recht zu geben,
Ist (unter uns) beim Styx! ein schales Leben
Ja, wer nur nicht dazu geboren wär,
Und allenfalls auf acht bis vierzehn Tage,
Da ließ ichs gelten! Aber mehr
Wird Unsrer Deität am Ende sehr zu Plage.
Man kriegt zuletzt des Weihrauchs so genug!
Und für und für zum Dudeldum der Sphären
Die Grazien tanzen sehn, die Musen singen hören,
Und immer Ganymed mit seinem Nektarkrug,
Ich sage dir, man kriegt's genug!
Dann noch dazu den ewgen Litaneien
Des Erdenvolks die Ohren herzuleihen!
'Zeus, gib mir dies! Zeus, gib mir das!'
Ein tolles Galimathias
Von Bitten ohne Sinn und Maß
Um nichts und wieder nichts, oft um Unmöglichkeiten!
'Es sind ja (sagen sie) dir lauter Kleinigkeiten!
Ein wenig Sonnenschein zu meiner Wäsche nur!'
'Zwei Regentage bloß für meine trockne Flur!'
Ruft Mann und Frau aus hellem Munde
In Einem Haus, in Einer Stunde.
Der Dedschial hör alle das Gebrüll!
Tat ich ein einzigmal was jeder haben will,
Es richtete die Welt und mich zu Grunde.
Kurz, trauter Sohn, die Stiefeln angeschnürt!
Steig, eh ich hier des Gähnens müde werde,
Ein wenig nieder auf die Erde,
Zu sehen, ob man dort sich besser amüsiert!'
Merkur gehorcht, und ohne anzufragen,
Ob Juno nach dem Erdenplan
[49]
Was zu bestellen hat, und ohne Donnerwagen,
Schleicht Jupiter sich weg, und wird bei Leda – Schwan.

2

Von feinerem Gefühl getrieben
Vertauschte mit dem Hirtenstand
Apollo den Olymp. Er stieg herab, und fand
Die Menschen, die man ihm bald gar zu gut beschrieben
Bald gar zu schlimm, wie's immer pflegt zu gehn,
Erträglich erst, und endlich gar zum Lieben.
Die Leutchen, mußt er sich gestehn,
Gewännen näher angesehn;
Und setzte man sich nur auf gleichen Fuß mit ihnen,
So wären sie doch ganz was andres, als sie schienen,
Da er aus seinen Wolkenhöhn
Wer weiß wie schief auf sie herunter schielte.
Mit Einem Wort: Apoll, so bald er Mensch sich fühlte,
Entdeckte – was er nie als Göttersohn gewußt –
Es schlage was in seiner linken Brust;
Und unvermerkt, mit lauter Scherz und Spielen,
Lernt Seine Gottheit auch für arme Menschlein fühlen,
Nimmt fröhlich Teil an ihrer Lust,
Entdeckt sogar, auch das sei wahre Lust,
Und von der besten Art, mit andern sich betrüben,
Kurz, schmeckt die Wollust da zu sein
Zum ersten Male ganz und rein,
Und merkt zuletzt – (was ihm bisher geheim geblieben)
Die Kunst von allem dem sei – Lieben.
Was von Thessaliens Volk Apoll
Nicht alles lernte! Tausend Sachen
Wovon euch Göttern nie ein Wörtchen träumen soll:
Den losen Scherz, das wohlgemute Lachen
Gedrückt von keinem Zwanggesetz,
Und ohne Absicht, ohne Schraube,
Das trauliche, gutlaunige Geschwätz
Beim Abendstern in einer Sommerlaube,
[50]
Und, o! den großen Talisman,
Mehr freie Herzen zu gewinnen,
Als Mahmud oder Dschingiskan
Sich Sklaven durch sein Schwert gewann,
Den Zauber, den die Charitinnen
Cytherens Gürtel eingewebt,
Was jeden Mangel deckt und jeden Reiz erhebt,
Gefälligkeit. – Sei einer von uns allen,
Verlange nichts voraus, – wir werden dir gefallen
So wie du uns gefällst! – Die erste Schäferin,
Die, ohne daß sie auf ihn zielte,
In frohem Mut und dumpfem Sinn
Das Herz ihm aus dem Busen spielte,
Ward seine Sittenlehrerin.
»Ein bloßer Hirt – ist's möglich? – vorgezogen
Dem schönsten Gott?« – Das schrie um Rache! – Schon
Ergriff sein Zorn den mächtgen Pythonsbogen;
Zu gutem Glück entfloh der Senn ein sanfter Ton.
Er stutzt, und plötzlich kommt ein Einfall angeflogen,
Der seinen Eifer kühlt und bald zum Mittel wird
Das Ziel, wornach er lüstet, zu erreichen.
Halt! denkt er, bist du hier was anders als ein Hirt?
Was foderst du voraus vor deines gleichen?
Dem Hirten, der gefällt, muß Gott und Halbgott weichen
Der nicht gefällt! Versuch's, gewinne sie!
Das Herz ist frei und Lieb erzwingt sich nie.
Stracks geht er hin und macht aus seinem Bogen
Ein Werkzeug des Gefühls; der Dolmetsch süßer Pein,
Die neue Leier, liegt mit Saiten straff bezogen
In seinem Arm, und schwirret durch den Hain.
Herbei gelockt von ihren süßen Tönen
Versammeln sich um ihn die Hirten und die Schönen,
Ein jedes will des Wunders Zeuge sein.
Bald wirkt der Zauber, Arme schlingen
In Arme sich, den Füßen wachsen Schwingen,
Der ungelehrte Tanz dreht rasch sich um ihn her,
Und wer war glücklicher als er!
[51]
Wie lieben alle nun den Schöpfer ihrer Freuden!
Er ist, wiewohl in Schäfertracht,
Ein Gott für sie! Er hat sie glücklicher gemacht.
Wie freundlich nun ihm jede Hirtin lacht!
Wie drängt man sich, um nah an ihm zu weiden!
Und wenn am warmen Abendglanz
Im Rosenbusch, zu Chloens Füßen –
Indes die Holde manchen süßen
Verstohlnen Blick am halb geflochtnen Kranz
Herunter schlüpfen läßt – wenn dann die sanfte Leier
Der Liebe Schmerzen mit gedämpftem Klang
So zärtlich klagt, stets näher sein Gesang
Ans Herz sich schmiegt, das durch den leichten Schleier
Stets höher schlägt, und nun, wenn sich in vollem Feuer
Der Harmonienstrom ergießt,
In süßem Mitgefühl zerfließt:
O welche Wonne ist's – in diesem Augenblicke
Ein Mensch, und nur ein Mensch zu sein!
Wie wenig ist Genuß in ungeteiltem Glücke!
In ihren Freuden selbst sind Götter stets – allein.
Apoll behielt in seinem Hirtenstande
Vom Gott allein des Wohltuns edle Macht.
Mit jedem Tag erwacht
Das Volk am Peneusstrande
Zu neu geborener Lust.
Ein feineres Gefühl entfaltet sich ganz leise
In jeder Brust,
Man sieht und hört nicht mehr nach alter Weise,
Der Nebel fällt vom Antlitz der Natur,
Und o! wie schön, wie neu ist Wald und Flur!
Man fühlt sich selbst in allen Wesen leben,
Vom Blümchen, das der Erd entspringt,
Zum Vogel, der in hohen Wipfeln singt,
Scheint alles uns vom Seinen was zu geben,
Verwebt uns alles mit ins allgemeine Weben.
Der holde Geist der Eintracht schlingt
Sein goldnes Band um alle, stimmt die Herzen
[52]
Zu sanften Freuden, süßen Schmerzen;
Die lange Weile flieht, und nur zu leicht beschwingt
Entfliehen itzt, man weiß nicht wie, die Stunden,
Die man vordem so drückend lang gefunden.

3

Der Ruhm dies Wunder zu erneun,
Olympia, der seltne Ruhm, sei Dein!
Der schönste aller Deiner Preise!
Wohl Dir, die in dem Weihrauchkreise
Der Erdengötter nicht den hohen Sinn verlor
Für Freiheit und Natur, nach alter Deutscher Sitte
Sich einen Wald zum Ruhesitz erkor,
Und in der moosbedeckten Hütte,
Wenn tief im nächtlich stummen Hain
Auf offnem Herd die heilge Flamme lodert,
Sich glücklich fühlt und nichts vom Schicksal fodert.
Des Waldes Geister sehn den ungewohnten Schein
Ringsum die hohen Buchen weißen,
Und nähern freundlich sich, und heißen
Willkommen Dich in ihrem stillen Reich.
Wir spüren sie, bald leichten Nebeln gleich
Um halb bestrahlte Erlen lauschen,
Bald über uns durch hohe Wipfel rauschen.
Ein leises Grauen schleicht um unsre Brust,
Doch stört es nicht, erhöht nur unsre Lust.
Wir singen – um Dich her im Kreise
Gelagert – nach der schönen Weise
Die Dir, Olympia, die Musen eingehaucht,
»Zaydens Schmerz bei ihres Mohren Klagen«,
Und fühlen unser Herz im Busen höher schlagen:
Bis jetzt der Herd mit trüberm Feuer raucht,
Und späte Sterne, die durch schwarze Wipfel blinken,
Uns in die Burg zurück zu unsern Zellen winken.
Was ist's, das uns Olympiens hehren Wald
Zum Zaubergarten macht, zum Tempel schöner Freuden,
[53]
Zu dem man eilt um zögernd draus zu scheiden?
Sie selbst! – O! würde Sie zu Ihrem Aufenthalt
Der rauhsten Alpe Gipfel wählen,
Der rauhsten Alpe würde bald
Kein Reiz der schönsten Berge fehlen.
Ja, zöge Sie bis an den Anadir,
Wohin Sie gehen mag, die Musen folgen Ihr,
Ihr einen Pindus zu bereiten.
Sie, von Olympien stets geliebt, gepflegt, geschützt,
Belohnen Sie durch ihre Gaben itzt.
Sie schweben Ihr in Ihren Einsamkeiten,
Wenn Sie im Morgentau die Pfade der Natur
Besuchet, ungesehn zur Seiten,
Und leiten Sie auf ihre schönste Spur.
Und wenn Sie, in begeistertem Entzücken,
An einen Stamm gelehnt, mit liebender Begier
Was Sie erblickt und fühlt Sich sehnet auszudrücken,
So reichen sie den Bleistift Ihr.
Sie sind's, die am harmonischen Klavier
Der leichten Finger Flug beleben;
Und wer als sie vermöchte Ihr
Die Melodien einzugeben,
Von denen das Gefühl der lautre Urquell ist,
Die tief im Herzen widerklingen,
Die man beim ersten Mal erhascht und nie vergißt,
Und niemals müde wird zu hören und zu singen?
O Fürstin, fahre fort aus Deinem schönen Hain
Dir ein Elysium zu schaffen!
Was hold den Musen ist soll da willkommen sein!
Doch allen, die in Deine Wildnis gaffen
Und nichts darin als – Bäume sehn,
Dem ganzen Midasstamm der frostgen langen Weile
Mit ihrem Troß, dem Uhu und der Eule,
Und ihrer Schwesterschaft von Gänschen und von Krähn,
Sei Deine Luft zu rein! Das traur'ge Völkchen weile
Stets an des Berges Fuß; und führt das böse Glück
Es ja hinauf, so kehr es bald zurück,
[54]
Und banne selber sich aus Deiner Republik!
Und so, Natur, und ihr, geliebte Pieriden,
Pflegt eurer großen Priesterin!
Ihr sei das schönste Los des Erdenglücks beschieden,
Zur Lust an euch ein immer offner Sinn,
Ein immer fühlend Herz, und eine Quelle drin,
Die nie versiegt, von süßem innerm Frieden!
Was sonst die Sterblichen zu wünschen sich ermüden,
Ist gleich der Flut im Faß der Danaiden:
Und schöpften sie äonenlang hinein,
Es würde niemals voller sein.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Wieland, Christoph Martin. Zweierlei Götterglück. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-A6CF-7