Das Amthaus

Ein heller Lebensmorgen und eine fröhliche Jugend war denn auch den Kindern des Amthauses zu Bernheim beschieden und mit ihnen noch vielen, denen es unter dem gastlichen Dache wohl wurde.

Nicht umsonst ist die Gastfreundschaft, die so ganz weltlicher Natur scheint, in der Bibel schon als eine schöne Tugend gepriesen; eine edle Tugend ist sie, denn sie ruht nicht auf der Grundlage praktischen Nutzens, die freie, heitere Gastlichkeit, auch da, wo sie nicht Wohltätigkeit ist, wo sie auf Gegenseitigkeit beruht. Wirte und Gäste würden wohl mehr ersparen, wenn sie hübsch zu Hause blieben; aber ein gastliches Haus gibt unendlich mehr als Essen und Trinken und Herberge; es gibt den Reiz und das Behagen des eigenen Hauses ohne seine Mühen und Sorgen; es gibt den Gästen das erwärmende Gefühl, lieb und willkommen zu sein, auch wo man nicht nötig ist; es gibt guten Mut für die eigene Heimat, und Frische und Kraft zu der Rückkehr ins Alltagsleben.

Man klagt, und das mit Recht, daß die Gastlichkeit in unsern Tagen so im Abnehmen sei.


[8]
Das ist die Not der schweren Zeit,
Das ist die schwere Not der Zeit,
Das ist die schwere Zeit der Not,
Das ist die Zeit der schweren Not.

Sie stellt andre Forderungen und verlangt schwerere Opfer als das fröhliche Geben der Gastlichkeit, das zugleich Genießen ist. Bringt sie immerhin, diese Opfer, mit willigem Herzen! Laßt die Schmäuse und Gastereien, die Spanferkel und Truthühner, die Aufsatztorten und Schmalzgebäcke der guten alten Zeit untergehen und kauft statt dessen Brot für die hungernde Armut! Nehmt, wenn es sein muß, in Gottes Namen Zimmerherrn und Kostfräulein in eure Stuben und verkauft so das Heiligtum eures eigenen Herdes; aber Schande einer Zeit, wo bald der Bruder keinen Raum mehr findet am Tisch seines Bruders; wo Geschwister sich vom Gasthof aus die Aufwartung machen; wo an die Stelle der sorgsamen Hausfrau, des schüchternen Töchterleins, deren freundliches Gesicht die Speisen würzt, der vornehme Oberkellner des Hotels tritt; wo die Enkel derselben Ahnherrn sich nimmer kennen! Wenn es an dem ist, daß man dem Gaste mit Ängstlichkeit die Bissen in den Mund zählen muß, dann laßt uns dem Monsieur Proudhon folgen, die Familie aufheben, die Heimat schließen und die Menschheit in ungeheure Kosthäuser sperren!

Diese Abschweifung über Gastfreundschaft trifft nun das Amthaus nicht; zwar hat man damals auch schon über schlimme Zeiten geklagt, aber es war damit so böse nicht gemeint, und die Frau Amtmännin, die auch für die Armut stets ein Tischchen gedeckt hielt, machte sich gar keine Skrupel aus der gutbesetzten Tafel, mit der sie bei ihren Gästen heitere Gesichter und klägliche Lamentationen über die großen Umstände hervorrief.

Die Tafel allein war es aber nicht, die das Haus so sonnig machte; es war die herzliche, ruhige Freundlichkeit, mit der man jedes willkommen hieß, wenn es nicht gerade am Bügeltage kam; die unbeschränkte Freiheit, mit der man treiben [9] durfte, was man wollte; die unendliche Behaglichkeit und unzerstörbar gute Laune, mit der der Herr des Hauses oben in seinem Lehnstuhl saß, zur Rechten seine Dose, zur Linken die Zeitung, seine Serviette umgebunden; wie er mit freundlichem Blick seine Kinder und Gäste überblickte, je mehr, desto lieber. Viel Worte waren eben seine Sache nicht, auch konnte er niemals die Namen seiner Neffen und Nichten behalten; er war manchmal so schweigsam, daß die junge Welt seiner gänzlich vergaß und sich eifrig in Gespräche vertiefte, bis er einen trockenen Brocken dazwischen warf, der zeigte, daß er alles wohl vernommen und in seiner Weise beurteilt habe.

Der Amtmann, das einzige Kind eines reichen Vaters, hatte in jungen Jahren studiert, aber wenig Geschmack an der Jurisprudenz gefunden. Nach des Vaters Tode hatte er dessen Gut übernommen, zugleich die Schultheißenstelle des Ortes mit dem Ehrentitel Amtmann; er verwaltete Amt und Güter getreulich und guten Mutes und nahm zu der Amtsverwaltung mehr seinen gesunden Menschenverstand als die anstudierten juridischen Kenntnisse zu Hilfe.

Sein ältester Sohn, Karl genannt, wie alle braven Knaben, sollte dereinst das Gut übernehmen und wollte es noch mit einer Bierbrauerei erweitern; der war auf Reisen. Eduard, der jüngste, studierte Theologie: es freute den Vater, daß er Lust zum Studium hatte. Er selbst hatte dazu nicht viel mehr beigetragen, als daß er ihn von seinem achten Jahr an, wo er in die Kostschule kam, bis jetzt, wo er flotter Student war, nach den Ferien jedesmal mit der Ermahnung entließ: »Lern nur brav; man trägt an nichts schwer.« Aber er hatte dem Sohne seine volle Liebe gezeigt, alle Freude und Hoffnung, die er auf ihn setzte, und das wurde diesem ein mächtigerer Sporn und Halt als bogenlange Ermahnungsbriefe.

Am gesuchtesten war das Amthaus als häusliche Bildungsstätte für junge Mädchen, und es war das eine vergnüglichere Lehrzeit als in einer französischen Pension. Die Frau Amtmännin nahm's mit dem Unterricht nicht eben so genau: »Plagen kann ich mich nicht mit dem Mädchenvolk,« meinte [10] sie. »Wenn sie aufmerken, so lernen sie von selbst; passen sie nicht auf, so wird ja doch nichts aus ihnen.«

So zogen denn manche ab, ohne daß sie im Amthause mehr gelernt hätten als Gemüse putzen und Kartoffeln schälen; strebsame Geister drangen bis zum Butterteig, bis zum Geflügel, ja bis zum Schmalzbacken vor, was der höchste Gunstbeweis der Hausfrau war und von Friederike, dem ältesten Töchterlein, meist mit etwas scheelen Augen angesehen wurde. Alle aber ließen sich's in Haus und Garten und Umgegend recht von Herzen wohl sein, und wie die Nachkur bei Bädern, so wirkte die Erinnerung an die fröhliche, freudige Tätigkeit des Amthauses oft nachträglich mehr als der Unterricht selbst.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Wildermuth, Ottilie. Erzählungen. Aus dem Frauenleben. Morgen, Mittag und Abend. Das Amthaus. Das Amthaus. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-A78A-A