[7] [3]Der Einsiedler

»Überall suchte ich und fand sie nur in Wäldern und Büchern.«

Einsamer Baum

Zersplissen ist mein Haupt
Von schwarzem Wolkenwetter;
Herbstwind und Regen raubt
Die abgestorbenen Blätter:
So rag' ich ganz allein
Aus ödem Haidekraut
Und träume von dem Hain,
Der weit verloren blaut.
Oft, wenn mit grimmer Wucht
Mich packt ein nächtlich Brausen,
Raff ich mit jähem Grausen
Zusammen mich zur Flucht;
Doch halten zähe Schollen
Mich an den Wurzeln fest. –
Da steh' ich nun mit Grollen,
Wild schüttelnd mein Geäst ...

[3] Naturverschwisterung

Wie ein gezäumter Renner
Mit weiten Nüstern lauscht,
Wenn frei durch Grases Wogen
Der Brüder Rudel rauscht:
So horcht mein Haupt und taucht
Vom Fenster in die Nacht,
Wenn draußen wilder Lüfte
Stürmender Drang erwacht.
Da neigen sich und flüstern
Willkommen Baum und Strauch,
Die heiße Stirn umschmeichelt
Des Regens kühler Hauch,
Und aus der Blätter Rauschen,
Aus Sturmes wogendem Laut
Tönt rührend eine Stimme
Geschwisterlich vertraut.
Da ist mir, als erwacht' ich
Aus langem schweren Traum:
Ich bin ja euer Bruder,
Sturm, Regen, Fels und Baum.
Weh, daß ich mich verirrte
Von euch in fremdes Land,
Wo mich ein Fluch in banges
Gemäuer hält gebannt!
[4]
Nun steh' ich hier und breite
Die Arme sehnlich aus,
In Weh verloren lauschend
Dem lockenden Gebraus.
O könnt ich Zaubern lernen!
Ich spräch ein kräftig Wort,
Entrollte stolz den Mantel
Und flög' im Sturme fort.

[5] Der frühe Tag

Tag mit deinen kalten Blicken,
Wie so frühe bist du da!
Meinen Traum hast du vertrieben,
Ach den lieben
Traum, darin ich Liebchen sah.
Grämlich bleich wie eine Greisin
Blickt in mein Gemach die Welt.
Weib, du wirst mit öden Händen
Nimmer spenden,
Was der Traum mir lieb gesellt.
Schließe, Tag, dein kaltes Auge,
Bleib ein Weilchen noch zurück,
Laß mich blind und reglos säumen
Und erträumen
Heimlich noch ein wenig Glück.

[6] Die tröstende Nacht

O Nacht, du treue Trösterin!
Wenn ich auf meinem Lager zage,
So schwebst du vor das Fenster hin
Und hörst geduldig meine Klage;
Und wenn ins Kissen ich mit Stöhnen
Mein thränend Angesicht verhülle,
Hör' ich auf einmal eine Fülle
Von Wohllaut mir zu Herzen tönen:
»Getrost, getrost! Ich bin ja hier!
Will dich nach jedem Tage heilen
Und werde kommen einst zu dir,
Um immerdar bei dir zu weilen.
Dann ruhst du, selig von Vergessen
Durchschauert, fern vom Tagesrauschen
Und magst dem sanften Liede lauschen,
Das Winde harfen in Cypressen.«

[7] Heue

Durch silberne Halme
Eisiger Scheiben
Dämmert zu mir
Ins Dunkel der Mond. –
Ich bin ein See,
Erstarrt zu Eise,
Darin sich spiegelt
Der traurige Mond;
Dürres Schilf
Zittert und flüstert...
Ich höre dich weinen
Und schluchzen – wie einst. – – –
Einst füllt' ich achtlos
Dir Tage mit Leide,
Bis daß du weintest
Aus schluchzender Brust.
Wohl hab' ich flehend
Geküßt die Thränen,
Doch war's geschehen,
Daß du geweint. –
[8]
Jetzt ist dein Auge
Längst getrocknet.
Doch ewig weinst du
In meiner Seele;
Und ich muß weinen
All deine Thränen,
Geliebtes Antlitz, –
Und noch viel mehr.

[9] Wolke

Vom Riesenfelsen,
Wolke, niederzieh!
Schlag dein Gewand
Um mich her und flieh!
Zu rauhen Höhen
Trage mich empor,
Wohin des Menschen
Wort sich nie verlor.
Wie scheut die wunde
Seele diesen Laut!
Wie rollt mein Auge,
Wenn es Menschen schaut!
Doch Fels und Wolke
Sind mein stummer Trost;
Erhabne Lieder
Hör ich, sturmumtost.
Beruhigt lieg ich,
Wo der Gießbach rauscht,
Ein Seelenkranker,
So dem Freunde lauscht.
Von grüner Matte
Zeigt das goldne Licht
Des fernen Landes
Lächelnd Angesicht.

[10] Ohne Dank

Selige Sonne, du darfst spenden
Blumenkindern warmes Licht;
Und die Blumen alle wenden
Fromm empor ihr Angesicht.
Aber ich bin matt und krank,
Weil ich liebte ohne Dank;
Meine Seele glutenvoll
Weiß nicht, wem sie glühen soll.
Wie die Schwäne südwärts ziehen,
Wenn der Winter stürmt zu Feld,
Will ich kälteschaudernd fliehen
Diese liebelose Welt.
Auf den Matten blüht mein Trost,
Wo die Sonne Blumen kos't,
Die ihr sanftes Angesicht
Wenden auf zum Liebeslicht.

[11] Liliputanisches Frühlingsfest

Im blauen Äther wirbelt
Ein Ball im Kreiseltanz –
Wie trunken sich ein Mücklein
Wiegt im goldigen Glanz.
Das Frauchen Sonne betrachtet
Vergnügt den runden Wicht;
Da naht das Mücklein Erde
Verliebt dem Sonnengesicht.
Und legt mit Lust vom Leibchen
Die weiße starre Schale,
Sich badend zu verjüngen
Im warmen Sonnenstrale.
Und sieh! Die Wiesen schimmern
Von duftig zartem Grün;
Als gelb und weiße Pünktchen
Felder und Bäume blühn.
Da krabbeln aus den Häuschen
Die Liliputaner hervor
Und kribbeln in bunten Schwärmen
Hinaus zu städtischem Thor.
Auf grünem Wiesenplane
Faßt jeder Mann ein Weib
Und dreht zu zirpenden Weisen
Des Liebchens zierlichen Leib.
[12]
Und wenn ein Pärchen müde,
So rastet es am Tisch
Und schlückert leckre Tränklein
Und kehrt zum Tanze frisch. –
Nur ein Figürchen sondert
Sich ab vom frohen Schwarm
Und wandelt durch die Felder
In bitterbösem Harm.
Es rollt die Äuglein giftig
Und grollt der ganzen Welt.
Warum? – Der Liliput ist
Verliebt und hat kein Geld.
Und heißer zirpen die Fideln,
Und trunkner wirbelt der Reihn,
Und trunkner wirbelt die Erde
Im wärmenden Sonnenschein.
Ein weltenfern Kometenvieh
Mit ungeschlachtem Schwanz
Beglotzt mit dummer Neugier
Den Erdenmückentanz.

[13] Pflanzenkind

Die Winterwolke flieht verdrossen,
Den Himmel schmückt ein sanftes Blau.
Da lächeln goldig übergossen
Gehügel, Garten, See und Au.
Und kosend sich die junge Sonne
An die entzückte Erde schmiegt.
Das Pflanzenkind in stummer Wonne
Die zarten Glieder dehnt und biegt.
Es schaut empor; sein Lächeln schmeichelt
Erquickend wie ein klarer Quell;
Und wie von Kinderhand gestreichelt
Wird meine düstre Stirne hell.

[14] Berg

Über Felsen, windumflattert,
Klimm ich hoch hinan zum Freien;
Droben will ich mich entladen
Dieser Qual, im Sturme baden,
Neugeboren meine Seele weihen.
Berg, vor deinem Riesenantlitz
Kann mein Kleinmut nicht bestehen.
Sturm, im Brausen deiner Kraft,
Die den Forst zusammenrafft,
Muß mein Seufzer wie ein Staub verwehen.

[15] Frühlingsregen

Die grauen Wolken flogen,
Umwölbend das Gefild,
Und nieder kam gezogen
Ein Regen warm und mild.
Nun träufelt der Erquickung Thau,
Es dampft die zartbegrünte Au;
Die Erde hat gesogen
Und ihren Durst gestillt.
Ein Duft von jungem Leben
Den kühlen Hain durchdringt;
Die Knospen wonnig beben,
Und sachtes Tröpfeln klingt.
Durch Erlenbüsche streift der Wind,
Mit feuchtem Haar – ein heitres Kind;
Ein Säuseln läßt er schweben
Aus dem Gezweig und singt:
[16]
»Sonne, erschließe
Das himmlische Blau,
Goldglanz gieße
Auf grüne Au!
Ihr gebadeten Blumen,
Laßt die feuchten
Äuglein leuchten!
Ich schüttle von schwanken Erlen
Zum Spiel euch glitzernde Perlen. –
Solch bunte Perlen woben
Die schwebende Brücke droben
Am blauen Himmelssee.«

[17] Regen

Wohl strömt ein feuchter Segen
Und labt das atmende Thal ...
Du meiner Seele Regen,
Wann strömest du einmal?

[18] Stimme der Mutter

Lag ich als Kind
Schlaflos, ängstlich,
Sang die Mutter
Mit sanfter Stimme,
Bis der Schlummer
Die träumenden Augen
Leise mir schloß. –
Längst verklangen
Die Wiegenlieder;
Wuchs der Mutter
Ueber den Kopf ...
Wer singt heut' mir
Tröstliche Lieder?
Das bist du,
Hehre Stimme
Im Gebrause
Des Frühlingssturmes
Und im Flüstern
Fallenden Regens.
Lauschen will ich und liegen
Wie ein Wiegekind;
Singe, treue Mutter,
Schläfre dein banges Kind!

[19] Herbstabend

Der Nebelabend kühlt und feuchtet;
Die Ferne stirbt in Dämmerduft;
Mit mattem Blinzeln nur durchleuchtet
Ein Stern die wolkigtrübe Luft.
Gedämpfte Glockenlaute beben
Weich summend über Stoppelfeld;
Aus Wiesenniederungen heben
Sich dunkle Massen in die Welt.
Ein alter Pflüger mit dem Pferde
Zieht müde heim; die Pfeife glimmt;
Vom Schäferhund umtummelt, schwimmt
Mit Blöken dorfwärts eine Herde.
Mit qualmigmatter Rotglut säumt
Der Himmel sich; großleuchtend taucht
Der Mond empor ... Die Landschaft träumt
Vom Tage – schlummerüberhaucht.

[20] Herbststurm

Ich wandle gern durch ödes Feld
Bei abendkaltem Brausen.
Aus Wolkenballen Dunkel fällt,
Die Stoppeläcker sausen,
Der Dornbusch duckt sich, zornumtost,
Verdorrte Blätter erschauern...
O düstrer Trost,
Wenn Wolke, Busch und Haide mit mir trauern!

[21] Einst

Wie liegt die Welt in Regenfloren
So leichenhaft verloren!
Der Himmel grau und greise,
Die Erde runzlig greise;
Und beide weinen leise.
Vergilbter Rasen, Moderlaub,
Der Bäume schwärzliches Geäst –
So trüb verschwommen,
Gleich gramgetränkten Grübelein.
Mein Haupt ist öde wie im Herbst ein Nest,
Und auf dem Herzen preßt
Mir kalt und schwer ein Leichenstein. – –
Einst lieg ich steif und hager
Auf dem Totenlager:
All meine Weisheit ist alsdann
Ein Büschel Silberhaar,
Und all mein Lied
Ein reglos bleiches Lippenpaar;
All meine Liebe
Ein kaltes, starres Herz,
Und all mein Werk
Zwei schwere Hände auf dem starren Herzen
Fern stirbt der Straßenlärm, stumm schaun die düstern Wände
Auf meinen greisen Schatz,
Der leise schluchzt – in seine welken Hände.
Dann – kommt der Leichenmann,
Packt alles in den Sarg:
[22]
Haare, Lippen, Herz und Hände,
Und preßt den Deckel fest mit knirschenden Schrauben.
Nun mag ich träumen
Im Finstern, Stillen, Kühlen ...
Und ich träume:
Ich bin ein zarter Keim
Und grabe heimlich feine Wurzeln,
Stemme mich rüstig wider die Krume
Und recke neugiervoll mein Köpfchen...
Da blendet und umspült mich
Entzückend goldnes Licht,
So lau, so weich!
Horch, wie jauchzend zwitschern
Die behenden Vöglein!
Mit ihren süßen Kehlen
Hüpft mein Kinderherz.
Und sieh, auf Zweigen sitzen
Viel kleine runde Knospen.
Ich nicke ihnen lächelnd zu;
Sie nicken wieder
Und wollen mit mir spielen.
Und wie wir spielen in warmer Sonne,
Da wachsen den lieben Kleinen
Lauter Flügelchen weiß und rosa,
Und zwischen Zweigen und Blättchen schweben sie,
Duftige Engelchenschwärme.

[23] Dämmerstündchen

Dämmerstündchen im frostigen Winter,
Dämmerstündchen im traulichen Stübchen ...
Wenn da draußen über den harten
Knarrenden Schnee ein kragenvermummter
Mann mit dampfendem Atem eilt,
Ohren und Nase rotgezwickt ...
Wolkig umhüllt, mit Schnauben und Stampfen
Ziehn zwei Pferde den wuchtigen Wagen ...
Und der Schusterjunge im Schurzfell
Trabt und haucht in die klamme Hand ...
Rötlich strahlt die Straßenlaterne;
Über dem schneebelasteten Hausdach
Blinzelt der Abendstern.
Dämmerstündchen im frostigen Winter,
Dämmerstündchen im traulichen Stübchen ...
Wärme strahlt der gewaltige Ofen,
Muntre Flammen durchäugeln den Spalt;
Und ich dehne behaglich die Glieder,
Lausche dem lieblich summenden Singsang
Des melodisch sinnigen Kessels;
Hitzig brät indessen der Apfel,
Den lieb Mütterchen mir verehrte.
Fernher klingelt ein Schlitten – fernhin;
Und die ruhige Seele träumt.

[24] Strom der Wahrheit

Wenn versunken Licht und Lärmen,
Sitz ich bei der Lampe Schimmer
Oft im nächtlich stillen Zimmer,
Wo Gedanken mich umschwärmen,
Auf ein altes Buch gesenkt
Meine Stirne ernstbeschwert;
Kühlung mir der Nachtwind schenkt
Durch das Fenster unverwehrt.
Wundersame Lieder sausen
Draußen Wind und Wald und Wetter,
Und es wehn des Buches Blätter;
Welch ein feierliches Brausen!
Und ich lausche und ich lausche,
An ein Ufer fern entrückt. –
Rausche Strom der Wahrheit, rausche!
Meine Seele lauscht entzückt.

[25] Strebensmüde

Nachts in stummer Kammer lag ich
Strebensmüd' und lebensbang;
Sorgen, irr wie Fledermäuse,
Huschten das Gebälk entlang.
Geisterhaft ein ernstes Weib
Mir zum Trost am Lager wachte,
Starrte in die Kerzenflamme;
Und da las ich, was sie dachte:
»Weine, bis du mit verweinten
Augen endlich klar erschaust,
Daß die holde Welt ein Trugbild,
Dem du niemals straflos traust. –
Füllst du stattlich Schrein und Truhe,
Bleibt die Seele dennoch leer;
Trinkst du von dem Trank der Ehre,
Wird dich dürsten mehr und mehr.
Und nun Becher, Spiele, Tänze,
Festgepränge durch den Saal ...
Mitten in dem Rausch der Freude
Fühltest du geheime Qual.
[26]
Voller Liebe und Vertrauen
Drücktest du so manche Hand;
Als du in das Herz gesehen,
Hast du trübe dich gewandt.
Einem argen Rosenstrauche
Gleicht das Leben, dornbewehrt;
Hält die wunde Hand die Rose,
Hat ein Wurm den Kelch versehrt.
Darum laß die Rosen gleißen,
Geh vorbei und blicke kalt!
Ueber solche, die entsagen,
Hat das Leiden nicht Gewalt.«

[27] Zukunft

Zukunft ist ein Würfelbecher,
Der ein Würfelpaar bedeckt.
Längst gefallen sind die Würfel;
Doch der Wurf ist noch versteckt.
Zukunft ist ein Würfelbecher:
Längst gefallen ist dein Loos. –
Darum blicke auf den Becher
Ohne Furcht – und hoffnungslos.

[28] Der Tote

Aus schwarzem Sarge starrt,
Von Morgengrau erhellt,
Ein Toter bleich und ernsthaft
In die verlassne Welt.
Ein müdes Schluchzen irrt
Umher im Beigemach;
Im starren Totenantlitz
Wird keine Rührung wach.
In Wonne bricht der Morgen
Herein mit rother Glut,
Begrüßt von Vogelzwitschern; –
Tief ernst der Tote ruht.
Er starrt empor und grübelt,
Wie es nur möglich war,
Daß er von Lust und Leide
Gebebt so manches Jahr.

[29] Der Träumer

Ich war ein Kind, mit großen Kinderaugen,
Die nur zu träumerischem Schauen,
Nicht zum Berechnen und zum schlauen
Erwerben taugen;
In dumpfen Stuben bangte mir, ich scheute
Gespräche nüchtern kluger Leute
Und stahl mich fort mit stiller Wonne
Zu Blumen, Gras und Sonne.
Dort sog ich Luft wie ein Befreiter, lauschte
Den Bienen, Grillen, schwankendem Gesträuch,
Das wogengleich im weichen Winde rauschte;
Mit Staunen und Entzücken schaute
Mein Aug' empor zu ihm, der tief und weithin blaute;
Und der bethörte Träumersinn
Schwamm mit dem wunderbaren,
Wie Schneegebirge klaren
Gewölke sanft dahin.
So wuchs ich auf; und allezeit getreu
Blieb meinem Aug das träumerische Schauen.
Doch ich bedachte nie: Der Schatz der Auen
Sind nicht die bunten Blumen, sondern Heu;
Was blau und rot im Ährenfelde blüht,
Ist nicht dem Bauch des Erntesackes hold;
Und eines Dichters träumereich Gemüt
Trägt wenig Körnchen irdisch Gold. –
[30]
Nun stehn die Äcker braun und stopplig nackt,
Geschorne Wiesen werden bleich und bleicher,
Und mir zum Spotte tanzt im fremden Speicher
Der plumpe Flegel trocknen Erntetakt.
Am Dornstrauch sitz' ich, trübe wie der Himmel;
Verwelkte Blätter zerrt ein rauher Wind,
Scheucht mürrisch fort das raschelnde Gewimmel;
Und träumend starr' ich nach ... ich dummes großes Kind!
Der Winter kommt; ich werde frieren, darben
Und wie die arme Maus im Stoppelwald
Mich nähren von dem Abfall fremder Garben;
Vielleicht auch sterb' ich bald ...
Mag sein! Doch schließ' ich ohne Reue
Und segne dankbar meinen Träumerblick;
Er ließ mich lieben Flur und Himmelsbläue,
Und diese Liebe war mein Lebensglück.

[31] »Ich bleibe«

Durch die Nacht mit dumpfem Rauschen
Treibt vorbei des Stromes Wut;
Und mit träumerischem Lauschen
Starr' ich auf die dunkle Flut.
Schattenhafte Kähne wallen
Mir vorbei, in Nacht hinein;
Liebe Stimmen fern verhallen; –
Und die Strömung tönt allein.
Und verlassen heb ich meine
Augen schmerzbethaut empor:
Da entschwebt mit hehrem Scheine
Ein Gestirn dem Wolkenflor;
»Sieh, ich bleibe!« winkt sein Auge.
Und die bange Seele zieht
Auf zu diesem treuen Auge, –
Wie ein Kind zur Mutter flieht. –
Wenn dereinst des Todes Grauen
Dieses Herz umspült und bricht,
Laß noch einmal dich erschauen
Ueber Wassern, süßes Licht,
Bis den letzten Liebesfunken,
Der in meinem Auge scheint,
Deine Blicke aufgetrunken
Und dem Sternenglanz vereint.

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TextGrid Repository (2012). Wille, Bruno. Der Einsiedler. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-A935-9