[266] 1. Das erste Lied/ auf den sin- und wahl-spruch der Durchleuchtigen und Hochgebohrnen Fürstin/ und Fräulein/ Fräulein Julianen/ Fürstin zu Anhalt/ Gräfin von Askanien/ Fräulein zu Zerbst und Bernburg. uam

Sçience sans consçience est vanité.

Wissenschaft ohne gewissen ist eitel.

gesetzet durch Johan Langen.


[267] 1.
Ia freilich wird zu nichts das prangen hoher sinnen/
Und alle Wissenschaft/ die kein gewissen hägt;
Lebt gleich ein mensch alhier auf höchster klugheit zinnen/
Ists doch nur eitle frucht der tohrheit/ die er trägt.
Acht man schon für der welt als-göttlich seine kunst/
Neugt sie sich doch/ und bleibt für Gotte lauter dunst.
[268] 2.
O mensch/ was trotzest du auf dein so eitles wissen/
da deiner werke bild dier niemahls ist bewust!
was bistdu nuhr auf kunst/ auf solche kunst/ beflissen/
da du sonst deiner selbst erkäntnüs missen must.
Viel kennen/ und sich selbst nicht kennen/ ist nur dunst;
viel wissen und sich selbst nicht wissen/ ist ümsunst.
3.
Doch wan ich etwas sol von eitlen dingen haben/
so wil ich wissenschaft/ die alles niedertrükt/
die mier erst redlich zeugt den preis der ädlen gaben/
und macht/ daß für mier selbst der hochmuht geht gebükt.
Wer wissenschaft nicht acht/ der stirbet wie ein vieh.
wer wissenschaft und kunst erlangt/ der stirbet nie.

An eben-selbige J.F. Gn.

als er Sie bei schlüßung eines briefes Ihres gebuhrts-tages erinnerte.


Juliane/ Zier der Jugend/
schönstes Bild der schönen tugend/
kluge Fürstin/ nim doch hin/
was zu deinen Nahmens-ehren
meine zunge lässet hören/
was ersinnen kan mein sinn.
Frohe tag' und freuden-stunden/
die ein mensch hat je entfunden/
sollen stehn üm dein Geschlecht!
Gott und glük sei Dier geneuget/
und Du dem/ der sich erzeuget
als dein stets-ergebner knecht.

[269] Der Veränderung

zwo wider-sinnige töchter.


Zwo seind zu viel/ die du uns hast gebohren/
Veränderung. Verlohren/
verlohren geht die Freude/ wann das leiden/
das bastärt/ sie macht scheiden.
Ein kind ist guht:
das andre stürmt/ und tämmt den muht.
Bringt uns ein mahnd der Mannen und der Märsen
die frühe lilj' aus Persen;
so folgen nach die bunten oster-wochen/
und kommen aus-gebrochen
in froher tracht
mit vielgefärbter tulpen-tracht.
Drauf brechen an des Rosen-mahndes lüste/
die zier der frohen brüste/
in keuscher schaam mit milch' und bluht besprühet:
dan milcht die ros' und blühet;
dan bluhten sie
die lieblichen/ die schönen Rosen die.
Sie tauren noch am längsten unter allen/
und wan sie ja verfallen;
dan fallen auch darnieder alle freuden/
ach weh! verkehrt in leiden.
dan stirbt zur stund
die gantze lust mit Rosemund.

Lizenz
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link zur Lizenz

Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Zesen, Philipp von. Das erste Lied. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AE64-4