[325] Das funfzehende Lied

An die kus- und grus-flüchtige/ übermänschlich-schöne Adelmund/ die lieblich-blühende Rose des gantzen weiblichen geschlechts.


gesetzt durch Johan Langen.

[326] 1.
Was sol die Rosen-blüht/
im fall sie sich entzüht
in ihrer jungen zierde
der gärtnerin begierde/
und ihre kräntze flüht.
2.
Was hilft der stoltze neid?
es mus doch mit der zeit
ihr rohtes bluht verblassen/
sehn mit verachtem hassen
die blasse sterbligkeit.
3.
So darf die lippen-blüht
die sich dem kuss' entzüht
in ihrem ersten morgen/
für spot und has nicht sorgen/
wan ihre zierde flüht.
4.
Drüm gib dich/ Adelmund/
und las mir sein vergunt
zu kosten in der gühte
von deiner frischen blühte
den feuchten zukker-grund
5.
Dan wie die zeit entflüht/
der rosen stoltz verblüht/
so wird dein frisches blühen
sich eben auch entzühen/
das fast noch rascher flüht.

[327] An die tugend-folkommene Jungfrau/ Jungf. Marien Vermeulen/ als Sie itzund den lieblichen Braut-nahmen entfangen

1.
Was hall ist dis? was schallt so laut?
Sie sage miers/ o schöne Braut/
o klügste Tochter Ihres standes:
wie? ists der widerruf des neuen landes?
da in der stoltzen Amstel-stadt
Ihr andres Hertz sein bleiben hat.
2.
O nein. es ist der Weisheit schall/
der ädlen Mutter froher hall/
weil sie so weise zucht gebohren/
die nicht märkurisch ist/ noch das erkohren
was dieses volk der märkte kuhr/
das redlich-scheinen wählet nuhr.
3.
Sie wählet andrer gaben zier/
die sich erhöben gantz von hier
und bei den sternen-saaten schweben;
Sie wählt/ o kluge wahl! mit Dem zu leben/
Der alzeit lebet/ wan er stirbt/
und dessen nahme nie verdirbt.
[328] 4.
Ihr sinn wird aus der gruft entzükt.
Sie lässt das schwache volk gebükt
nach schnödem gold' und silber kriechen/
das auf der erden klebt/ und manchen flüchen
der Weisen unterworffen liegt/
ja das sich gleichsam prahlend schmiegt.
5.
Es mus sich schmiegen/ ob es schohn
ein stündlein prahlt/ und raubt den lohn
der ehre/ der sonst ungezwungen
der Weisheit nuhr fällt zu von allen zungen;
der Weisheit/ die bei Fürsten wohnt/
und selbst durch Fürsten wird belohnt.
6.
Zugleich wird Weisheit hier beglükt;
weil Ihr das glük ein Lieb zuschikt/
o weise Braut/ Dem Ehr' und günste
so mancher Fürst erzeugt für seine künste;
Der mit im Weisen Rahte sitzt/
und unter diesen Sternen blitzt.
7.
O kluge Weisheit! großes glük!
Der unverfälschten Liebe strük
verknüpft zwo unbeflekte seelen/
die sich mit eitler sorg und last nicht kwehlen.
Die misgunst wühte/ wie sie wil/
so steht doch nuhn ihr glükke stil.

Lizenz
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link zur Lizenz

Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Zesen, Philipp von. Das funfzehende Lied. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AFE1-F