5. Brief

Schreiben der Biblis an ihren Bruder Caunus.


Miletus, welcher vor den Aeacus in Asien fliehen muste zeugete allda mit seinem Weibe Zwillinge beyderley Geschlechtes, wovon er den Sohn Caunus, die Tochter aber Biblis nennete. Als sie nun beyderseits auferzogen, und Biblis mannbar [191] worden, ward sie in ihren Bruder dergestalt vor Liebe entbrannt, daß sie ihre Neigung gegen ihn nicht länger zu verbergen wuste. Weil sie sich aber nicht getrauete ihren Antrag mündlich zu thun; so entdeckete sie ihm ihre Leidenschaft in einem Briefe auf das zärtlichste. Kaum hatte Caunus der Schwester unziemliche Regung daraus ersehen, so erschrak er nicht wenig darüber; er nahm sich vor, solchen gefährlichen Stricken zu entrinnen, und verließ sein Vaterland heimlich. Biblis, der seine Flucht zu Ohren kam, ward dadurch auf das empfindlichste gerühret. Ihre Gluth verstärkete sich durch seine Entfernung, von Tag zu Tag; Weil ihr nun des Bruders Abschied unerträglich war, entschloß sie sich ihrem Geliebten nachzugehen, und ihn aufzusuchen. Jedoch so einen weiten Weg sie auch zu Wasser und Lande that, so verfehlte sie ihn nichts destoweniger. Der Kummer, darein sie hiedurch gesetzet ward, machete, daß da sie endlich ganz matt und kraftlos in Carien angekommen war, sie vor Sehnsucht und Gram sich unter eine Weyde legete, daselbst, wie die Fabel saget, in Thränen zerfloß und zuletzt in einen Fluß verwandelt ward.


Wie? will die bange Furcht die Hand noch länger stämmen?
Entreiß dich ihr mein Kiel, verfolge deinen Lauf,
Und laß ihn ferner nicht durch blöden Einwurf hemmen;
Verbanne Sorg und Qual, gieb allen Zweifel auf.
Nun ists nicht länger Zeit die Leidenschaft zu bergen,
Entschütte dich der Last nunmehr, verzagter Geist!
Du stellst dir Riesen vor, und kämpfst doch nur mit Zwergen,
Was hilft es, wenn man gleich den Schmerzen lang verbeißt;
Annehmlichster der Welt! mein Caunus, mein Verlangen,
Entsiegle dieses Blat, das dir mein Leiden klagt.
Ich bin dir, doch mit Scheu, schon lange nachgegangen,
Nun ist die Furcht verbannt, nun hab ichs doch gewagt.
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Mein Geist reicht nicht mehr zu, die Sehnsucht zu verhelen
Die mich, ach glaub es mir, geliebter, Tag und Nacht,
Auf das empfindlichste beständig sucht zu quälen,
Und meinen Körper recht zum Schattenbilde macht.
Die zuckersüsse Kost will mir zu Myrrhen werden,
Der beste Rebensaft schmeckt mir wie Aloe.
Selbst meine Wohnung ist ein Zeughaus der Beschwerden,
Die Brust trägt überall sich mit dem herben Weh.
Was aber ist es denn das mir den Lenz der Jahre
Im düstern Winter schon durch Harm und Gram verkehrt,
So daß der innere Schmerz mich zeitig auf die Bahre
Beklagenswürdig streckt, wofern man mich nicht hört?
Ach Bruder! darf ich dich den schönen Mörder nennen,
Der, eh ichs recht gewust, mir Mark und Blut entführt?
Ich bin in dich entbrannt, laß mich es frey bekennen,
Du hast, Anmuthigster, mir Seel und Herz gerührt.
Kein andrer kann so leicht wie du die Sehnsucht lindern,
Und wenn er dem Narziß und Paris ähnlich wär;
Auch Götter sind zu schwach die Neigung zu verhindern,
Sie steiget gegen dich noch immer mehr und mehr,
Warum verfärbst du dich? wie? fluchst du meinen Flammen?
Sie sind ja mehr als rein; ach Caunus, glaube mir
Daß selbige gewiß von etwas hohem stammen,
O! stelle dir nur selbst die Macht der Liebe für.
Du weist was für Gewalt die Herscherinn besitzet,
Hier gilt kein Widerstand; denn ihrer Reizung Schein,
Der allen Sterblichen in Herz und Augen blitzet,
Bezwingt die ganze Welt, heißt sie gehorsam seyn.
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Sie läßt von niemand sich Gesetz und Vorschrift geben,
Ihr Wille bindet sich an keine Regel nicht;
Auch selbsten die Natur darf hier nicht widerstreben;
Vergebne Gegenwehr, wenn man ihr widerspricht!
Verboth und Drohung kann ihr Licht doch nicht verdüstern;
Ihr starker Einspruch dringt in das verstopfte Ohr;
Sie trennt das nahe Band selbst unter den Geschwistern,
Und stellt sie beyderseits einander fremde vor.
Sie kan den Sipschaftsbaum aus seiner Wurzel reissen,
Die Liebe glaubt gar nicht daß man hier Grade zehlt,
Ja was? selbst die Vernunft wird es auch billig heissen,
Wofern sie selbige durch Gegenmurren quält.
Das nahe Blut löscht nicht die Flammen zarter Liebe,
Denn diese giebt auch oft der Kindschaft kein Gehör.
Vergaß nicht Myrrha dort bey so erhitztem Triebe
Daß sie von dem, der sie gereizt, die Tochter wär?
Ist dieses, wirst du dich dem Trieb nicht widersetzen,
Den jeder Tropfen Blut in meinen Adern fühlt.
Die Billigkeit muß ihn belohnenswürdig schätzen,
Dein Kuß ists, welcher die entflammte Seele kühlt.
Komm, laß mein Caunus, uns auf Tuberosen betten,
Komm, folge meinem Trieb und gieb das Jawort drein.
Erlöse Bibliden von ihren schweren Ketten,
Sie gleicht Andromeden, und du sollst Perseus seyn.
Der Werkstatt der Natur, so uns verschlossen hegte,
Stellt uns als Zwillinge zugleich ans Licht der Welt;
Durch welche Nachbarschaft sie uns ins Herze prägte,
Daß das, was sich recht liebt, auch stets zusammen hält.
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Bespiegle dich doch nur an dem gestirnten Bogen,
Der statt der Vorschrift uns das Zwillingszeichen weist.
Umarmen sie sich nicht vertraut und recht gewogen?
Wer ist der dieses Paar nicht unzertrennlich heißt!
Ergreife den Entschluß, und laß mich, liebster, wissen,
Ob Biblide dein Herz und dich nach Wunsch besiegt?
Wie zärtlich werd ich dich so dann, mein Bruder küssen!
Ich schmecke schon voraus, wie mich die Lust vergnügt,
Doch will dein Eigensinn mir kein Gehöre geben,
So glaube, daß der Gram mein banges Herze bricht
Denn, Schönster, ohne dich vermag ich nicht zu leben;
Mein Sinn ist nur auf dich, auf keinen sonst gericht.
Ich müste, flöhst du mich, in Zähren ganz zerfliessen,
Mein Auge würde sich bey stetem Weh und Ach,
In Thränen ohne Zahl gleich einem Strohm ergiessen
Drum Bruder, höre mich, gieb meiner Liebe nach.

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TextGrid Repository (2012). Ziegler, Christiana Mariana von. 5. Brief. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B0C5-A