116. Bey des M Bardili Begräbnis

1733.


Die Gnade ist gewiß noch allzu unbekant,
Die Gnade, eine Kraft, von Millionen Zungen
Bald mit Beweglichkeit, bald nur mit Unverstand,
Daheim und öffentlich, bezeuget und besungen.
Was wird noch aus der Welt? Wie groß ist ihre Noth!
Wie ist das Leben selbst den Todten noch so todt!
Kan der vom Gnaden-Stuhl zurük geschrekte Geist,
Kan er den Sinn des Herrn nicht gänzlich vorenthalten;
So, daß ein Mensch erfährt, was Gnade Gottes heißt:
So bildet er das Wort in seltsame Gestalten;
Bald gehts dem Glauben ab, bald eignen Werken zu,
Bald macht er, daß man glaubt, damit man wenig thu:
Was ist doch eigentlich am Mißverstande Schuld?
Und ists kein Mißverstand, wer härtet das Beginnen
(Das wie ein Wetzstein ist der Göttlichen Geduld,)
Des Volks von frecher Stirn, von diamantnen Sinnen,
Von unbeschnittnem Ohr und halb verwestem Geist,
Und dessen Sprüchwort doch auch: Unser Vater heißt?
(Jer. 3, 3. 4.)

Nicht Gott! Denn welcher Mensch Ihn dieser Sache zeiht,
Der macht den Schöpfer selbst sehr deutlich zum Betrieger,
[328]
Und damit wird zugleich das Haus der Menschlichkeit
(Denn das Gesetz ist aus) ein Sammel-Platz der Tyger.
Wer anders, als ein Geist der Lügen, hats erdacht,
Daß Gott uns anders lehrt, und gleichwol anders macht?
Wie denkt ein weichlich Herz von Wollust aufgeschwemmt,
Auf Mord und Blut-Gedicht? Mit Zittern und mit Beben.
Wo ist ein stolzer Mund, der ohne Rüge schlemmt?
Welch tief-Sinn ist gemeynt der Faulheit Recht zu geben?
Ein Lenden-lahmer Mensch ist aller Sorge feind;
So, daß auch der Natur manch Böses böse scheint.
Und dieses ist so wahr, daß, wenn sichs etwa fügt,
Daß Geitz und Ruh und Stolz und Weichlichkeit sich gatten,
Und eins ums andere bald ob- bald unten liegt;
So wird derselbe Mensch ein falscher Tugend-Schatten.
Darum ists offenbar, daß nach des Schöpfers Rath,
Der Mensch zum Gutes-thun den freyen Willen hat.
So lehrt, so macht Er uns nach Seinem guten Sinn.
Wie daß die Menschen doch im Grunde gar nichts taugen,
Und warum gibt der Herr sie ihnen selber hin,
Und läßt sie so viel Gift aus ihrem Willen saugen?
Das macht, das Grund-Gesetz zum Segen und zum Bann
Ist diß: Man Liebt nicht recht, wenn man nicht Hassen kan.
Das unbedungne Muß gehört für Stein und Holz,
Für Cörper, die nur blos getriebene Maschinen.
Denn auch so gar ein Thier entdekt Verdruß und Stolz,
Und Faulheit, Zorn und Brunst, und Neid durch seine Mienen.
[329]
Bey einem Thiere geht die Sclaven-Zucht noch gut;
Weils endlich nur darf thun, wenns gleich nicht gerne thut.
Allein, du edler Mensch, der Creatur ihr Herr,
Des Schöpfers Augenmerk, das Lust-Spiel guter Geister,
Du sehnliches Obiect der finstren Wanderer,
1. Petr. 5, 8.
Dir offenbart sich Gott als Freund, nicht nur als Meister:
Gott braucht dein Machen nicht, Er will geliebet seyn,
Gott hassen bringt die Höll ins Paradies hinein.
Drum ist der Mißverstand und klägliche Verstoß
Der Menschen, die sich sonst der Gnade rühmen müssen:
Sie stellen das Geschäft der Seligkeit zu blos,
Sie setzens ins Gebot, in Formen-Ding, in Wissen,
In Künsteln, in Begrif, in deutlichen Verstand;
Nur Eins, das Einige, bleibt ihnen unbekant.
Drum spricht der grosse Mann, auf welchen Juda hofft,
Und den auch Mahomet den Friede-Fürsten nennet,
Wir aber unsern Herrn; drum saget Er so oft,
Der Zeuge, der den Quell der tiefen Gottheit kennet,
Der aus des Vaters Schooß zum letzten Zeugnis kam,
Er sagt: Der Mensch ist Braut, und Gott ist Bräutigam.
Ihr Menschen (fährt Er fort) der erste Mensche fiel,
Und hat sich Gottes Feind zur Knechtschaft überlassen;
Und dünkt euchs fremden Fall zu büssen allzuviel,
So prüft euch, pflegt ihr Gott nicht für euch selbst zu hassen?
Doch den Zusammenhang laßt nur auf sich beruhn.
Ihr könnet, wenn ihr wollt, was wesentlichers thun.
[330]
Ich habe! (Wundert euch des grossen Handels nicht,
Ihr lernt die Liebe erst, ich bin die Liebe selber)
Ich habe diesen Fall und diesen Fluch geschlicht't,
Ich werd ein Mensch wie ihr, ein Opfer wie die Kälber.
Die menschliche Vernunft spricht Nein, das Herz spricht Ja,
Macht nur, daß euer Will zum Herzens-Grunde nah.
O eine selige, o Heils-Confusion!
Wenn in dem steinernen Gemüth das Wort der Gnaden,
Mit einem schmetternden doch angenehmen Ton,
Den Witz betäuben kan, den Muth zur Liebe laden.
Die Predigt, die das thut, heißt Evangelium;
Die Welt ist taub dazu, und manche Lehrer stumm.
Herr Jesu, etliche, die Herzog Eberhard,
Ein Amtmann Deines Reichs (denn Du bist Herr auf Erden)
In dieser hohen Schul zu grossem Zwek bewahrt,
(Sie sollen Dir zum Ohr und Mund bereitet werden,)
Sind, (welch ein Wunder-Glük!) sie sind dahin gericht't,
Daß Herz, Verstand und Will zur Gnade Amen spricht.
Der gute Bardili, den itzt die Ewigkeit
(Wie seiner Hütte Raum ein Erd-Klos) überdekket,
Ward unter andren auch für Gottes Lamm geweyht,
Und wie gewöhnlich erst zur Seligkeit erschrekket,
Getröstet und ermahnt, gelokket und gestäupt,
Und Christo endlich doch wahrhaftig eingeleibt.
Die Zucht war seinem Sinn, der leichtlich ausgeschweifft,
So selig als uns oft zur Reinigung das Fieber,
Und wann sich mancherley im Innern aufgehäuft,
So zitterte hernach die ganze Hütte drüber:
[331]
Einst fuhr die Liebe zu, die sich auch Weisheit nennt!
Und siehe, Bardili ward reine ausgebrennt.
O seliger Verlust der Jahre dieser Zeit!
O heiliger Beruf aus dieser Sünder-Höhle!
Hier brauchts der Klage nicht, hier gilt es Frölichkeit,
Und Dank und Lob-Gesang von der erkauften Seele,
Ihr Zoa alle vier, ihr seyd doch ohne Ruh,
Offenb. 4, 8.
Ruft auch für Bardili dem Würge-Lamm, Glük zu!
Er sagte, als das Haupt zur Ruhe niedersank,
Gott, 1 der mich durchgebracht, sey inniglich gepriesen;
Um einen Augenblik, so war er nicht mehr krank,
Und in den Gnaden-Ort der Geister eingewiesen.
Ihr Brüder! merkts und wacht, die Liebe spielet nicht,
Wen sie gereinigt hat, der wandle auch im Licht.
Wie wohl, wie gut ist uns, wenn wir der Hütten Haus,
So wie ein Handwerksmann die Werkstatt, ernstlich brauchen,
Und wissen, wann der Tag der Arbeit endlich aus,
Und unser letzter Schweiß in Jesu Herz darf rauchen;
Hohel. 3, 6.
So geht der Wirkstuhl ein, der nicht mehr nöthig ist,
Das Werk wird beygelegt, der Arbeits-Mann geküßt.
Herr, der Du unsern Freund, der itzt in Frieden ruht,
Mit uns durchs Gnaden-Wort zu einem Ziel geheischet,
Und unserm Dir nunmehr ganz zugeschwornen Muth
Herr! Deine Creutzes-Kraft erst gestern eingefleischet,
Er singe Dir dafür, so gut er singen kan.
Wir gehn aufs neue hin ins sanfte Joch-Gespann.

(Matth. 11, 29.)

Fußnoten

1 Gott sey Dank. 1 Cor. 15, 57.

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TextGrid Repository (2012). Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von. Gedichte. Teutsche Gedichte. 116. Bey des M Bardili Begräbnis. 116. Bey des M Bardili Begräbnis. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B551-A