61. Unterirdische in Plau.

1.

Am Gallberge bei Plau pflügten zwei Knechte neben einander. ›Höre,‹ sagte der eine, ›mir ist's, als röche es hier nach frischem Brot und Bier.‹ ›Ja, mir kommt's auch so vor,‹ sagte der andere, ›gewiß backen und brauen die Unterirdischen.‹ ›Wenn sie uns nur etwas abgäben,‹ sprach der erste wieder, ›ich habe gewaltigen Hunger und Durst.‹ So waren sie am Ende des Ackers angekommen und wollten eben umwenden, als sie auf dem Rasen zwei blanke Krüge [41] mit Bier und zwei Stücke Brod hingestellt sahen. Als sie sich vom ersten Schreck erholt, langten sie zu und ließen es sich schmecken. Der erste Knecht füllte, statt zu danken, die leere Kanne mit Unrath, der andere aber, der ihn darüber schalt, legte einen blanken Groschen hinein. Der Uebelthäter aber wurde von Stunde an siech und starb nicht lange darnach.

2.

Einem Ehepaare in Plau wurde ein Kind geboren, das nach zwei Jahren nur einen Schuh lang war, einen gewaltig großen Kopf hatte und durchaus nicht sprechen lernen wollte. Sie klagten ihr Leid einem alten Manne, der sagte ›Gewiß haben die Unterirdischen euer Kind ausgetauscht. Wenn ihr darüber Gewißheit haben wollt, so nehmt eine leere Eierschale, gießt in Gegenwart des Kindes frisches Bier hinein und bringt es durch Hefe in Gährung. Wenn dann das Kind anfängt zu sprechen, dann ist meine Vermuthung richtig.‹ Sie thaten wie ihnen gerathen worden. Kaum war das Bier in Gährung, da rief das Kind in der Wiege:


Ik bün so olt

as Böhmer Gold,

doch dat seih ik taum irsten Mal,

dat man Bier brugt in Eierschal.


Die Eltern beschlossen nun in nächster Nacht das Kind in die Elde zu werfen. Als sie aber nach Mitternacht aufstanden und an die Wiege traten, lag darin ein blühendes kräftiges Kind. Die Unterirdischen hatten das ihrige weggeholt.

3.

Der Knecht des Ackerbürgers Gierck (dessen Wohnhaus in der Eldenstraße zu Plau an der Stelle stand, wo jetzt das des Maurermeisters Büttner steht) fuhr einmal ein Fuder Dung nach einem Ackerstück hart am Gallberg. Er hatte eben den letzten Dung abgezogen und wollte die Seitenbretter auf den Wagen werfen, als er vom Berge her seinen Namen rufen und die Worte hörte ›Wenn du zu Hause kommst, so sage: Prilling und Pralling ist todt.‹ Der Knecht, von Schrecken ergriffen, machte, daß er heimkam. Kaum hatte er sein Begegniß erzählt und jene Worte wiederholt, als man aus dem Keller des Hauses ein Stöhnen und Wimmern vernahm. Als man nachsah, fand man nichts als eine zinnerne Kanne, wie man sie noch nie in Plau gesehen. Der Hausherr nahm die Kanne [42] an sich, und als er später nach Hamburg übersiedelte, auch dorthin mit, wo sie vor einem Menschenalter ein Plauer noch gesehen hat.

4.

Der alte Fischer Köster in Plau fuhr mal des Nachts auf der Elde, um Fische zu fangen. Da sah er, wie aus einem Rosenstrauche am Ufer ein kleines Männchen hervortrat in goldgesticktem Sammtmantel und eine Krone auf dem Haupte. Das Männchen bot dem Fischer einen freundlichen guten Morgen und sprach ›Lieber Fischer, erschrick nicht! ich bin der Prinz vom Gallberge und will mich heute mit der Prinzessin vom Klöterpott vermählen; wenn du mich überführst, sollst du aller Armuth ledig sein.‹ Der Fischer nahm ihn in den Kahn, es wollte ihm aber vorkommen, als stiegen außerdem noch mehrere in denselben, denn er sank ziemlich tief; aber es war Niemand weiter zu sehen. Als er ans andere Ufer gekommen, warf der Prinz ihm ein Goldstück in den Kahn, zugleich fielen, wie von unsichtbaren Händen geworfen, eine Menge Silberstücke hinein. Der Prinz stieg ans Land, dankte dem Fischer freundlich und sagte ›Nach drei Tagen komme ich mit meiner jungen Gemalin hieher zurück; wenn du uns dann denselben Dienst leistest, so sollst du für dein ganzes Leben aller Sorge enthoben sein.‹ Damit verschwand er hinter den Wasserweiden, die damals das Flußufer an der Stadtseite umgaben.

Der Fischer, nachdem er sich von seinem Erstaunen erholt, sammelte die Geldstücke in seine Fischerkiepe, es waren außer dem Goldstücke neunundneunzig Silbermünzen. Zu Hause erzählte er seiner Frau, was ihm begegnet war und zeigte ihr seinen Fährlohn. Die war denn nicht minder verwundert als er. In der dritten Nacht stellte er sich vor Sonnenaufgang an den Weiden am Ufer ein, und wie eben die ersten Sonnenstrahlen sich zeigten, trat der Prinz mit seiner kleinen Gemalin an der Hand hervor und stieg nach freundlichem ›Guten Morgen‹ alsbald in den Kahn. Auch diesmal war es, als wenn noch viele Andere unsichtbar in den Kahn stiegen; denn er ging so tief, daß der Fischer zu sinken fürchtete. Am andern Ufer angekommen, warf der Prinz zwei Goldstücke in den Kahn und gleichzeitig regnete es noch viele andere, diesmal auch Goldstücke, hinein. Der Prinz und seine Gemalin sagten dem Fischer freundlich [43] Lebewohl und verschwanden in demselben Rosenstrauche, aus welchem der Prinz das erstemal gekommen war.

Der Fischer überzählte seinen Lohn und fand außer den zwei Goldstücken deren noch zweimal neunundneunzig kleinere Goldmünzen. Er trug Alles nach Hause, wo seine Frau ihn schon mit Ungeduld erwartete, und beide lebten von da an sorgenlos bis an ihr Ende.

5.

Vor vielen Jahren lebte in Plau ein Schuster, der hielt nur einen Gesellen und lieferte doch so rasch seine Arbeit, daß er bald große Kundschaft bekam und ein reicher Mann wurde. Wenn er nämlich ein Paar Stiefel oder Schuhe zugeschnitten am Abend hinlegte, lagen sie am andern Morgen fertig da auf seinem dreibeinigen Arbeitsstuhl. Der Meister wußte nicht, wer sie ihm fertig machte, bis ihm sein Geselle einst dahinter half. Einmal sollten nämlich ein Paar Schuhe zum nächsten Morgen abgeliefert werden, und der Meister befahl dem Gesellen, die Nacht hindurch zu arbeiten, während er selbst zu Bette ging. Wie der Geselle nun wacker seinen Pechdraht zog, kam Schlag zwölf Uhr ein kleines nacktes Männchen mit einer entsetzlich großen Nase herein, setzte sich auf des Meisters Stuhl und arbeitete rüstig zu. Dem Gesellen wurde unheimlich zu Muthe; er nahm seine Lampe und ging aus der Stube. Wie er aber durchs Schlüsselloch sah, bemerkte er, wie das Männchen Licht machte und ruhig fortarbeitete. Der Geselle ging in seine Kammer, konnte aber nicht einschlafen, und erzählte beim ersten Morgengrauen dem Meister sein Abenteuer. Der Meister, anfänglich erschrocken, wollte sich seinem Wohlthäter erkenntlich zeigen und, da derselbe nackt war, ihm einen neuen Rock machen lassen und hinlegen. Da der Geselle genau die Größe des Männchens anzugeben wußte, so fertigten sie einen genau passenden Rock und legten ihn des Abends auf des Meisters Stuhl. Sie selbst schauten abwechselnd durch das Schlüsselloch, um zu sehen, was weiter geschehen werde. Um 12 Uhr kam richtig das Männchen wieder, machte Licht, nahm den Rock auf, besah ihn und murmelte ›Hm, hm! jetzt soll ich also reisen.‹ Gleich darauf ward es dunkel in der Stube, und als Meister und Geselle hineintraten, fanden sie Rock und Männchen verschwunden. Von der Zeit an standen aber Schuhe und Stiefel am Morgen genau so wie man sie am Abend hingelegt hatte, und war kein Stich daran geschehen. Der Schuster [44] aber wurde nach und nach wieder so arm wie er vorher gewesen war.


Senator Schultetus in Plau, durch Cantor Ehrich; vgl. Temme 218.


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TextGrid Repository (2012). Bartsch, Karl. 61. Unterirdische in Plau. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-DACC-A