436. Der Jungfernsod in Stargard.

1.

Die Burg Stargard war vor Zeiten der Sitz eines Wendenkönigs. Seine Tochter liebte einen Ritter und verabredete mit ihm eine Zusammenkunft unter einer Linde am Fenster des Schlosses, an einem Brunnen. Sie begibt sich auch zur festgesetzten Stunde hin, findet ihn aber noch nicht. Da kracht es in den Zweigen, ein Eber stürzt hervor, die Prinzessin entflieht, verliert aber ihren Mantel dabei, den der Eber nun mit Blut befleckt. Bald darauf kommt der Ritter, sieht den Mantel und da er die Geliebte getödtet glaubt, zieht er sein Schwert und ersticht sich. Die Prinzessin kehrt nach dem Platze zurück und findet ihn todt auf dem Mantel liegend, worauf sie sich ebenfalls mit seinem Schwerte tödtet. Beide wurden bei dem Brunnen, der den Namen ›Jungfernbrunnen‹ führte, begraben und der Platz mit einer Mauer umgeben. Aus dem Schwerte des Ritters wurde ein Trinkgefäß geschmiedet, das an dem Brunnen aufgehangen wurde. Die Gemalin des Herzogs Ulrich III. von Meklenburg-Güstrow († 1603), Elisabeth, Tochter Friedrich's I. von Dänemark, ließ die Mauer erneuern und mit ihrem Wappen schmücken. Seither sind Brunnen und Mauer ver schwunden. Die Linde aber blüht noch heute.


W. Zimmermann in Neu-Strelitz; W. Heyse in Leussow; vgl. Niederh. 3, 243 ff.; Studemund 57, 62, 193. Es werden auch Namen in dieser meklenburgischen Pyramus-Sage genannt, der Köng heißt Alberich II. und wird die Geschichte um 520 gesetzt. Seine Gemalin Syrita, Tochter eines Polenkönigs. Der Liebende Turturell, ein Graf aus England, den König Arthur an Alberich um Hilfe sendete. Eine romanartig ausgeschmückte Darstellung in Fischer's Meklenburg. Sagen der Vorzeit (1796).

2.

Den Herrn tau Stargard, wat bi Nibrandenborg liggt, sin Dochter, dei hadd sik in einen jungen Ridder verleiwt, œwest de [324] Vadder wir ein gar tau bös Mann un dei jungen Lüd künnen sik man heimlich spręken. Einmal hadden sei sik na den Sod bestellt, dei nich wit von de Borg liggt, un as de Jumfer dor henkümt, so süt sei dor nen ollen bösen Wulf un löpt wedder taurügg, wurbi sei ęren Mantel verlüst, den de Wulf in sin Wut intweiritt. As ęr Leiwster nu kümt un ęren Mantel so finnt, glöwt hei in sin Angst, de Jumfer is von ein willes Dirt ümbröcht un steckt sik mit sinen Dęgen dörch 't Hart. De Jumfer kümt na ne lütt Tid, as sei denkt, dat de Wulf weg is, wedder tau den Sod un süt ęren Leiwsten in sin Blaut liggen. Donn treckt sei den Dęgen ut sinen Harten un steckt sich ok dormit dod. Davon heit de Sod de Jumfernsod.


Raabe, plattd. Volksbuch S. 240.


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TextGrid Repository (2012). Bartsch, Karl. 436. Der Jungfernsod in Stargard. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-DE04-E