238. Das Lischen-Denkmal von Ivenack.

Im Thiergarten von Ivenack bei Stavenhagen steht ein Denkmal, das Lischen-Denkmal genannt, welches ein Ivenacker Graf dem Andenken der Tochter des Statthalters Gilow in Grischow, Anna Elisabeth, nach ihrem Tode errichtete. Er hatte das Mädchen geliebt und sie in sein Schloß zu sich genommen, wo sie nach wenigen Jahren starb.

In dem Schlosse zu Ivenack war es aber nach des Mädchens Tode nicht mehr richtig. Nachts um 12 Uhr ließ sich dort eine weiße, geisterhafte Gestalt blicken, die lautlos alle Räume durchwandelte und mit dem Schlage Eins wieder verschwand. So ging es mehrere Jahre, bis man endlich dieses Treibens überdrüssig wurde. Man ließ den alten Schäfer des Orts, einen weit und breit berühmten Teufels- und Geisterbanner kommen und beauftragte ihn, das Gespenst abzufangen. Das glückte; der Schäfer trug die weiße Gestalt in einem zugeschnürten Sacke nach dem Berge im Thiergarten und scharrte seine Last dort ein. Wenn man aber glaubte, dem Gespenste hiedurch Ruhe verschafft zu haben, so hatte man sich geirrt. Plötzlich verbreitete sich unter den Leuten das Gerücht, daß auf dem Denkmal im Thiergarten ein Groschen läge, der die zauberische Eigenschaft habe, sich durch wieder holtes Umdrehen zu verdoppeln, verdreifachen, vervierfachen und so fort bis ins Unendliche. Indessen jedesmal, wenn sich der Eine oder Andere erkühnte, den zauberhaften Groschen von dem Denkmal zu nehmen, hockte ihm eine schwere Last auf den Rücken, [189] welche ihn nicht eher verließ, als bis er das Stück Geld wieder dorthin legte, wo er es gefunden hatte. Dies konnte jedoch einen kühnen Stavenhäger nicht abhalten, mit der Aneignung des Groschens ebenfalls einen Versuch zu machen. Richtig – da saß auch ihm die Reiterin auf dem Rücken. Er aber war beherzt, packte die verhängnißvolle Bürde mit beiden Händen und trug sie nach einem Kreuzweg, von welchem er gehört hatte, daß ein solcher Ort eine erlösende Wirkung auf Gespenster ausübe. Und siehe! der reitende Geist war augenblicklich aus dem Sattel gehoben und ließ sich auch im Thiergarten niemals wieder blicken. Der glückliche Stavenhäger aber soll durch den Groschen zu großem Reichthum gelangt sein.

Vgl. R. Samm bei Niederh. 4, 231ff.


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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Bartsch, Karl. 238. Das Lischen-Denkmal von Ivenack. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-E952-1