245. Geist wird erlöst.

1.

Ein Nachtwächter zu Stargard hört, als er seine Runde in der Nacht macht und zu den Neubrandenburger Scheunen kommt, [192] von einer nahen Mauer her ein ängstliches Geschrei. Er hält es für seine Pflicht, sich näher zu begeben, und da sieht er denn auf der Mauer ein Männlein wanken, das immer fort gerufen hat ›Hilf mir! Hilf mir!‹ Er fragt ›Womit soll ich helfen?‹ Aber siehe, das Männlein gibt keine Antwort. ›So sage mir doch, auf welche Weise kann ich dir helfen?‹ fragt der Nachtwächter wiederholt, aber außer dem Hilferuf gibt das Männlein keine Rede, und Ersterer wendet sich zuletzt von ihm ab. Aber in den folgenden Nächten wiederholt das Männlein seinen Hilferuf immer angstvoller und da hat denn endlich der Nachtwächter gesagt ›Ich kann dir nicht helfen, so helfe dir denn Gott Vater, Sohn und heiliger Geist!‹ Kaum hat das Männlein dieses Wort vernommen, so hat es dem Wächter gedankt und ist dann unter Jauchzen vor seinen Augen gen Himmel gefahren.


F.C.W. Jacoby bei Niederh. 2, 231.

2.

Zur Zeit, als die Leute in Wredenhagen ihr Korn noch nach der Hinrichshöfer Mühle bringen mußten, trug eines Abends eine Frau aus Wredenhagen einen Sack mit Roggen zum Mahlen nach der Mühle. Als sie heimkehrte, kam ein Mann hinter ihr her, der kein Wort mit ihr sprach. Wie sie bei der Koppel war und eben hinübersteigen wollte, erbot er sich, ihr den Sack eine Strecke weiter zu tragen. Sie lehnte es anfänglich ab, aber er drang in sie, so daß sie endlich nachgab. Als sie beide also das Dorf Wredenhagen fast schon erreicht hatten, begann plötzlich der Hahn zu krähen. Beim ersten Hahnenschrei sagte der fremde Mann ›Du deist mi noch nicks!‹ Dasselbe äußerte er auch beim zweiten; als er aber den dritten Schrei vernommen, sprach er ›Nu möt ik gan; wat gifft mi œwer dorför,‹ setzte er fragend hinzu, ›dat ik di 't Mehl so wid dragen hevv?‹ ›Ach,‹ erwiderte die Frau, ›wat sall ik di woll gęb'n? ik bün ne arm Fru un hevv nicks!‹ ›Du kannst mi doch wat gęb'n!‹ antwortete der Fremde. ›Nicks Anners,‹ sprach die Frau, ›as vęl schön Dank un dusend Gotts Lohn!‹ ›Gott Loff un Dank! dorna hew ik all vęl Johr vergęws wankt; nu bün ik erlöst un kann endlich ruhig schlapen!‹ rief freudig bewegt der Geist aus – denn ein solcher war er – und verschwand.


Niederh. 3, 169ff.


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TextGrid Repository (2012). Bartsch, Karl. 245. Geist wird erlöst. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-E9FD-5