269. III. Das Himmelfahrtsfest und der hl. Blutfreitag mit seinem Blutritt zu Weingarten in Jahren 1840 bis 1850.
Schon am Mittwoch vor dem hl. Blutfreitage kommen Vormittags in Weingarten mehrere »Kreuze« aus den benachbarten Orten bei gutem Wetter zusammen. Diese werden in Prozession nach dem Gottesdienste bis vor das Rathaus begleitet, von wo aus jedes Kreuz seinen Weg der [263] Heimat zu fortsezt. Die vielen Krämerstände werden den Tag hindurch aufgeschlagen.
Am Himmelfahrtsfest Vormittags kommen insbesondere aus der Nachbarschaft Weingartens viele Wallfahrtsleute herbeigeströmt, so daß die dortige geräumige Kirche die Leute kaum zu fassen vermag. Die Festpredigt, die an diesem Tage in der Regel vom Ortspfarrer oder von einem besonders hiezu eingeladenen Geistlichen gehalten wird, bezieht sich auf das Fest des hl. Blutfreitags. – Mittags um 12 Uhr ist Mette und um 3 Uhr Vesper. Vor, während und nach dieser strömen eine Menge Wallfahrtsleute herbei, die aus weiteren Gegenden herkommen. Man kennt sie schon an ihren zwilchenen Zwerchsäcken, in denen sie Viktualien mit sich tragen, so daß sie wenig zu verzehren nöthig haben. Von Einsiedeln her kommen an diesem Tage auch viele Wallfahrtsleute, die dort das Fest der Kreuzerhöhung mitmachten. Jedes hat etwas von einer Stechpalme bei sich 1.
Nach und nach füllt sich die Kirche mit Wallfahrer ganz an. Die Beichtstühle sind stark belagert. Auf jedes nur einigermaßen für's Religiöse empfängliche Gemüth muß es einen wohlthuenden Eindruck machen, wenn man so viele Tausende in der größten Andacht in den verschiedensten Stellungen: knieend, mit ausgespannten Armen etc., zu ihrem Gott und Herrn flehen sieht und hört. Der heilige Blutaltar ist von Andächtigen insbesondere umlagert, jedem Wallfahrer ist Gelegenheit gegeben, die heilige Reliquie küssen zu können. Viele Wallfahrer bringen die ganze Nacht in der Kirche zu, der größere Theil aber in den Gasthöfen und in Privathäusern, ja bei ganz guter Witterung auch im Freien. Wenige erhalten die Nacht über ein Bett und begnügen sich [264] mit einem Lager auf harter Bank oder auf Heu und Stroh. Fremdes Militär und fremde Musikgesellschaften finden sich an diesem Tage auch schon ein. Sie werden in der Regel vor dem Flecken von einer Deputation des Bürgermilitärs in Weingarten abgeholt und in ihr Quartier geleitet.
Abends ist Zapfenstreich, wobei sämmtliches Militär und alle »Musiken« sich einfinden; es wird da vor dem Rathaus noch abwechselnd von ihnen gespielt.
Zu meiner Zeit kam Bürgerwehr von Saulgau, Schussenried, Waldsee, Wurzach, und Musikgesellschaften von Wasserburg (die stets als die besten galten), Weissenar, Waldburg, Amtszell, Ebenweiler, Diepoldshofen und Bodnegg.
Durch die Liberalität des Ortsvorstehers und des Gemeinderats in Weingarten wurden benannten Gesellschaften nicht selten nennenswerthe Gratifikationen zu Theil.
Die Nacht vor dem Blutfreitag ist ein buntes Durcheinander in Weingarten. Die Gasthöfe sind bei guter Witterung überfüllt. An diesem und dem folgenden Tag halten die Wirte, Metzger, Bäcker etc. ihre Ernte. Auch einzelnen Privatleuten kommt diese Festlichkeit zu gut, denn sie dürfen da Kaffee verkaufen. Die einheimischen und auswärtigen Krämer finden hiebei ebenfalls ihre gute Rechnung. Eine Masse »heilig Blütle« werden da verkauft, denn nicht ein Wallfahrer ist da, der nicht solche seinen Angehörigen mit heim brächte. Daß während dieser Zeit auch Mißbrauch und Unfug mitunter vorkommen, läßt sich nicht läugnen; doch hierauf sagte mir mein mehrjähriger, allverehrter Vorstand: Lassen Sie das immerhin, der Mißbrauch hebt den Gebrauch nicht auf.
Mit Tagesgrauen wird's am heiligen Blutfreitag im ganzen Flecken schon überall lebhaft. Die Tagwache um [265] 3 Uhr lockt die Gäste schon aus den Wirtshäusern heraus, die sich größtentheils der Kirche zu bewegen. Von auswärts strömen aber auf allen Straßen Wallfahrtsleute herbei, die entweder auf benachbarten Orten übernachteten, oder die nur wenige Stunden nach Weingarten haben. Tausende sammeln sich nach und nach an, so daß man oftmals die Anzahl Aller auf 30 bis 40,000 schäzte.
Um 51/2 Uhr ist stille heilige Messe, um 6 Uhr beginnt der sog. Blutritt. Der Geistliche trägt das Blut nicht mehr, wie früher, im Oesch herum, sondern er reitet seit mehreren Jahren wieder. Es wird hiezu ein schönes, rüstiges Pferd gewählt, und fast allgemein wird behauptet, daß das mutigste Pferd sich ganz ruhig und zahm benähme, wenn nur einmal der Geistliche mit dem hl. Blute auf demselben sitze.
Voran des unzählbaren Zuges gehen Kreuz und Fahne, hernach alles Volk untereinander: Mann und Weib, Jüngling und Jungfrau, Knabe und Mädchen, an der Zahl oft mehrere Tausend. Nicht alle anwesenden Wallfahrer machen den Umzug mit, viele bleiben in der Kirche zurück, um heilige Messen anzuhören und die heiligen Sakramente der Buße und des Altars zu empfangen, andere bewegen sich auf dem Marktplatz herum, wiederum andere sind in den Wirtshäusern zu treffen. Dann kommt fremdes Militär und die verschiedenen Musikgesellschaften, die abwechselnd ihre Instrumente ertönen lassen; jezt erst kommt der Zug mit dem heiligen Blute, voran der Musikchor in Weingarten und ein Theil des dortigen Bürgermilitärs. Um den Geistlichen sind vier Reiter mit Standarten, dann Personen mit Fahnen und Kreuz und ein Glöckner, der ein schon alter Bauernknecht ist und früher schon convertirte, und der sich diese Ehre um keinen Preis nehmen ließe. Hinter dem Geistlichen ist[266] wiederum ein Theil der Bürgerwehr von Weingarten, sowol zu Fuß als zu Pferd, aufgestellt. Die in Weingarten bestehende Musikgesellschaft ist vor dem Sängerchor placirt. Festordner sind ebenfalls etwelche auf Pferden da; sie suchen die Ordnung, wenn es dessen bedarf, aufrecht zu erhalten, sie sind an ihren weißen Armbändern kennbar. Der Geistliche mit dem heiligen Blute ist wieder in schönen, kostbaren Ornat gekleidet, der durch milde Gaben unter dem verstorbenen Pfarrer Frick angeschafft wurde, dem die Kirche Weingartens in dieser Beziehung Manches zu verdanken hat. Nach dem Geistlichen und hinter dem Bürgermilitär Weingartens kommen noch viele unmontirte Reiter, untermischt von Fußgängern, und doch ist ein Unglücksfall unerhörbar. So bewegt sich nun der Zug durch den Klosterhof und durch den ganzen Flecken hindurch. Schon am Ende desselben verlassen Viele den Zug und kehren nach Weingarten zurück. Das erste Evangelium ist beim Hänslishof, das zweite beim Missionskreuz an der Straße nach Berg, das dritte in Hofs und das vierte beim Kreuz an der Rebhalde. Beim dritten Evangelium in Hofs geht der ganze Zug durch eine dortige Scheuer, so daß man alle Reiter gut abzählen könnte. In diesem Bauernhause soll es früher nicht geheuer gewesen sein; bewegt sich aber die Prozession durch die Scheuer, so hat das Haus ein ganzes Jahr Ruhe. Muß aber der Blutritt einmal wegen schlechten Wetters unterlassen werden, so spuckt es das ganze Jahr hindurch wiederum. Beim lezten Evangelium sammeln sich allmählig wieder eine Masse Leute, auch alles Militär und alle Musiker treffen wiederum ein, alle Glocken erschallen vom Thurme. Das heißt man das heilige Blut abholen, obwohl dies erst im Klosterhofe auf feierliche Weise geschieht. Beim Brunnen im Klosterhofe ist ein [267] Gezelt aufgeschlagen; unter das begeben sich beim Herannahen des Zuges alle bei diesem Feste anwesenden Geistlichen, oft 20 und mehr an der Zahl; der Geistliche, welcher das heilige Blut in Empfang nimmt, ist mit einem schönen Ornat versehen, während die andern nur Chorhemden tragen. Da ist nun Alles weit umher dicht mit Menschen gefüllt, alle Fenster in der Nähe bevölkert. Nach den entsprechenden Gebeten und Gesängen und nach dem gegebenen Segen mit dem heiligen Blute geht der Zug in die Kirche – es mag so um 11 Uhr herum sein – allwo das sog. heilige Blutamt abgehalten wird. Während des ganzen Zuges werden viele heilige Messen gelesen und die üblichen Sakramente für die Wallfahrer gespendet. An diesem Tage werden auch viele heilige Messen bezahlt. Nach beendigtem heiligen Blutamte begeben sich die Geistlichen in den Pfarrhof zum Mittagsmahl. Die Volksmenge, die während des Amtes in der Kirche, auf dem Vorplatz etc. war, strömt nun auf den langen Marktplatz und in die Wirtshäuser; Viele machen sich aber auch schon auf den Weg ihrer Heimat zu. Bei gutem Wetter haben die Wirte, welche einen Sommergarten haben, den meisten Zulauf, z.B. der Gasthof zur Schwane bei der Kirche. Bei dem Bäcker und Weinwirt Rundel unterhalb dem Hirsch werden den ganzen Tag hindurch sog. »Straubeten« gebacken, und kaum können diese Leute allen Consumenten Genüge leisten. Daß in diesen zwei Tagen in Weingarten eine Masse Geld verzehrt wird, brauche ich kaum zu erwähnen.
Auf dem Markte, der auch zwei Tage währt, wird ein großer Umsatz in allen Artikeln erzielt, namentlich aber in den sog. Heiligenblütlein, die eine Nachbildung des heiligen Blutes auf der Kirche sind.
[268] Lahme, Blinde, Taube, Presthafte etc. geben reichliche Gelegenheit zum Almosengeben. An Menagerien, Gauklern etc. fehlte es früher auch nicht, kurz an all dem, was man eben auf einem sehr besuchten Markte findet.
Von Herrn Oberamtmann Hoyer in Ravensburg wurde a. 1838 den 25. März eine Denkschrift 2 bezüglich des Blutritts verfaßt gegen die Aufhebung desselben, was dem Herrn seine Versetzung zur Folge hatte.
Seite 1 und 2 enthält allgemeine Bemerkungen über das hochheilige Blut, Wunder, Reliquiencult etc. S. 3 ff. historische Notizen über das hl. Blut in Weingarten, die Stiftungen ihm zu Ehren, »woraus ein kirchliches Institut erwuchs, dessen Rechtsverhältniß anzuerkennen und zu beachten sey.« S. 6 ff. die sog. Reformation; das rationalistische 18. Jahrhundert und das hl. Blut etc. Verbot des Blutritts und jeder weitern, über die verstattete Prozession hinausgehenden Feierlichkeit.
»Also verblieb es, bis das im Februar 1838 verkündete neueste Kirchengebet vom Junius 1837 in seinen 24 und 25 Paragraphen sogar 1) die Aufstellung der Reliquie auch nur auf dem Altar verbot, und 2) alles Herumtragen dieses Kirchenschatzes niederschlug.
In (S. 8) Gemäßheit der ergangenen Verordnungen hat seit 26 Jahren diejenige Solennität aufgehört, wo aus vielen umliegenden Kirchspielen Compagnien Weise geordnete und eigens ausgerüstete Reuter, der Jahrs Prozession einen mit der Religion des Friedens und der Demuth vielleicht contrastirenden Glanz gaben.«
[269] Er beruhte aber wesentlich auf dem frommen Volksglauben, an einen auf Feld, Haus und Vieh aus diesem Dienst für das ganze Jahr sich verbreitenden Segen, und daher ist auch die Sitte geblieben, daß an diesem Tage viele hundert Männer, einzeln oder in Gruppen, die Altorfer Flur umreiten.
In den folgenden Seiten vertheidigt der Verfasser die Rechtgläubigkeit der Väter gegen die sog. Denkgläubigkeit der modernen Zeit. Die ganze Schrift ist kräftig geschrieben und gibt Zeugniß ächt katholischer Gesinnung.